ENERGIE 15. Jun 2017 Wolfgang Schmitz Lesezeit: ca. 4 Minuten

Der erste Schock ist überwunden

Die Unternehmen der Branche hinken der Arbeitswelt 4.0 hinterher. Der Wandel ist eher kultureller als technischer Natur.

Auch der grüne Strom kommt aus der Steckdose. Die Arbeitskulturen dahinter haben sich jedoch erheblich verändert.
Foto: panthermedia.net/Andriy Popov

Alexandra Ernst war 15 Jahre lang in der IT-Branche unterwegs, bevor sie sich für einen Tapetenwechsel entschied. Beim Projektentwickler Juwi sammelte die Volkswirtin mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik in fünf Jahren Erfahrungen in den erneuerbaren Energien. Zwei lehrreiche Jahrzehnte lagen hinter ihr, in denen sich Alexandra Ernst mit tiefen und grundlegenden Einblicken in die Berufswelt vollgesogen hatte. Sie wusste, wie die Wirtschaftswelt tickt und wie Unternehmenskulturen funktionieren. So schnell konnte sie nichts umwerfen – dachte sie, bis sie erneut die Branche wechselte.

Die ersten Arbeitstage beim Branchenverband Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) im Herbst 2015 bedeuteten für das neue Vorstandsmitglied einen „Kulturschock“, wie Ernst es nennt. Mit der zähen Umsetzung der Digitalisierung war in den stark von Traditionen geprägten Mitgliedsunternehmen noch zu rechnen, nicht aber mit starren und verkrusteten Strukturen von anno dunnemals; Firmenkulturen, die herzlich wenig mit den flachen Hierarchien und dem Teamdenken zu tun hatten, die sie von der IT und erneuerbaren Energien her kannte. In der Gas- und Wasserbranche regierte nicht selten die Gutsherrenart.

Das Präsidium des DVGW hatte die Zeichen der Zeit erkannt und verpflichtete Alexandra Ernst nicht allein aufgrund ihrer Wirtschaftskompetenz, sondern auch wegen „Persönlichkeit und Führungsstil“. Die positiv ansteckende und motivierende Art und Weise, wie sie mit Menschen umgeht, soll künftig auf die Unternehmenslandschaft der Gas- und Wasserwirtschaft durchschlagen.

Dass Alexandra Ernst ein dickes Brett zu bohren hat, ist ihr klar. Neben der Digitalisierung stellt der demografische Wandel eine weitere Herausforderung dar, der sich gravierender auswirkt als in vielen anderen Branchen. „Die traditionell geprägte Energiebranche hat sich gefühlte 30 Jahre nicht verändern müssen. Lange Betriebszugehörigkeiten gehen mit einem hohen Altersdurchschnitt einher. Ein Drittel der Belegschaften scheidet in den nächsten zehn Jahren aus. In der Energiebranche ist es immer noch üblich, dass Menschen in ein und demselben Unternehmen beruflich starten und dort am Ende ihres Berufslebens auch in den Ruhestand gehen.“ Da wird nicht nach Neuerungen gefragt, da werden Neuerungen gemieden.

Die aber sind fällig. Mit der Energiewende kam vor 15 Jahren auch die kulturelle Wende. Ernst: „Da hat es eine Zäsur gegeben. Die Branche muss sich seitdem neu erfinden. Arbeit ist inzwischen für die Digital Natives mehr Projekt denn Lebensarbeitszeit. Heute stellen junge Menschen Forderungen an Arbeitgeber. Das neue Rollenverständnis sind die Unternehmen in den klassischen Branchen nicht gewohnt.“

Der Berg an Veränderungen ist nicht an einem Tag abzutragen. Oder, wie es Ernst ausdrückt: „Wie isst man einen Elefanten? In Stücken!“ Von Organisation zu Organisation seien die Anforderungen und damit die Optimierungsschritte, um Strukturen für eine neue Kultur des Miteinanders zu schaffen, unterschiedlich. „Es geht darum, Teamarbeit, Entwicklungspotenziale und Selbstverantwortung zu stärken. Das ist ein großer Befähigungsprozess.“ Die Mitarbeiter müssten erfahren, dass ihnen nicht der Kopf abgerissen wird, wenn sie ihre Meinung sagen. „Fehlerkultur muss vorgelebt werden.“ Bis die alten Rituale des Kopfabreißens abfallen, brauche es aber seine Zeit.

Auf dem Bonner „Personalforum Energie“ traf Ernst vor wenigen Tagen auf Praktiker und fachkundige Beobachter, deren Eindrücke sich häufig deckten und die sich auf einen Nenner bringen lassen: Die Energiebranche läuft hechelnd hinter der Entwicklung, die sie verschlafen hatte, hinterher. „Ich sehe sehr wohl, dass einiges in Bewegung ist, etwa bei der Auflösung alter Hierarchien und bei der Führungskräfteschulung“, sagte Felix Kratz vom Beratungsunternehmen Baumgartner & Co Business Consultants. Die Einzelmaßnahmen sowie die wachsende Aufgeschlossenheit gegenüber der Digitalisierung seien zu begrüßen, was aber fehle, sei das systemische Denken. „Die technischen Prozesse bilden nur die Werkbank für Arbeit 4.0. Die eigentliche Veränderung ist, vom Kunden her zu denken.“

Um den Trend erfolgreich zu gestalten, so Kratz, sei Eile geboten. Man könne nicht warten, bis erfahrene Führungskräfte, die sich Veränderungen nicht mehr antun wollten und denen es vor dem großen Strauß an Herausforderungen grause, aus den Firmen ausscheiden. Unternehmen müssten ihnen die Ängste, etwa vor der Digitalisierung und flexibleren Arbeitszeitmodellen, nehmen.

Veränderungen schaffen Unsicherheiten. Und wer sich unsicher fühle, suche nach Schutz und nach Routinetätigkeiten, erklärte der Change-Coach Andreas Kakarougas-Koch. Die Folge: 67 % der Angestellten in Deutschland leisten Dienst nach Vorschrift. Neun von zehn Mitarbeitern, so der Experte für Neuroleadership, stehen neuen Projekten pessimistisch gegenüber, wenn sie nicht ausführlich darüber informiert werden. Die Unsicherheit erzeugt Angst und diese wiederum Stress, der das Hirn blockiere. „Der Mitarbeiter muss den persönlichen Nutzen erkennen und er muss seine Entscheidungen in einem geschützten Raum treffen können“, lautet die Botschaft des Beraters.

Nicht nur die Älteren tun sich schwer, den Wandel in all seinen Facetten zu vollziehen, war eine Erkenntnis des Forums. Auch die Jungen stehen in der Pflicht. So beobachtet Marco Westphal, Arbeitsdirektor der Stadtwerke Bonn, dass jüngere Kollegen weniger leistungsbereit sind als die Generation 45 plus. Den Digital Natives fehle häufig die nötige Knigge-Sensibilität, beanstandet Monika Hackel vom Bundesinstitut für Berufsbildung. „Digitale Kommunikationsfähigkeit haben junge Menschen meist nicht gelernt. Sie sollte in die Ausbildung integriert werden.“

Ob sie wollen oder nicht: Die Welten wachsen zusammen. Das Bild des Nerds, der mit Pizza und PC im Keller sitzt, ist überholt. Er ist auf dem Arbeitsmarkt und in den Energieunternehmen angekommen – und dort nicht mehr wegzudenken. „Wir stellen derzeit Big-Data-Experten ein“, erläuterte Matthias Trunk von der Gasag, der Berliner Gaswerke AG „Da kommen dann seltsame Menschen zu uns.“ Trunk wird sich an die fremde Spezies gewöhnen müssen. Sie hilft der Energiebranche auf der Reise in die Neuzeit.

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