KLIMAWANDEL 06. Dez 2018 Karl-Heinz Land Lesezeit: ca. 6 Minuten

Die Zukunft provozieren

Die Digitalisierung der Gesellschaft ist die größte Gestaltungsaufgabe unserer Zeit. Digitalpionier Karl-Heinz Land malt daraus eine Blaupause für eine Erde 5.0.

Die Digitalisierung hat mehr Potenzial für existenzielle Probleme als man denken mag!
Foto: Karl-Heinz Land

Die Digitalisierung wird nie wieder so langsam sein wie heute. Ob Blockchain, KI-gesteuerte Sprachassistenten, das „Smart Home“, autonome Versorgungs- und Mobilitätssysteme – die Menschheit erreicht in immer kürzeren Abständen neue Tipping Points. Die Digitalisierung durchzieht als Matrixfunktion das Leben, die Wirtschaft und das gesellschaftliche Miteinander. Sie ist die größte Gestaltungsaufgabe unserer Zeit.

Karl-Heinz Land ist Autor, Redner und Investor.

Sein Herzensthema – die Digitalisierung – erlebt und gestaltet der 56-Jährige seit über 35 Jahren, unter anderem in Führungspositionen bei international operierenden Unternehmen wie Oracle, BusinessObjects (SAP) und Microstrategy.

Mit neuland hat er 2014 eine Digital- und Strategieberatung ins Leben gerufen, die laut Ranking der Zeitschrift „brandeins“ wiederholt zu den besten Deutschlands zählt.

Er setzt auf innovative Technologien wie die Blockchain und das Internet der Dinge.

Das World Economic Forum (WEF) und das „Time Magazine“ zeichneten Land bereits 2006 mit dem „Technology Pioneer Award“ aus.

Politik und Parteien, Gesellschaft und Wirtschaft, internationale Organisationen und NGOs haben die Wahl, dem Fortschritt weiter hinterherzulaufen oder aktiv eine neue Infrastruktur des Wohlstands, eine „Erde 5.0“ aufzubauen. Die Digitalisierung und der technologische Fortschritt eröffnen die Chance, den Zugang zu Bildung und Information, zu Sozial- und Gesundheitsleistungen sowie zu Kapital und Märkten weltweit zu demokratisieren.

Gleichzeitig verfügt die Digitalisierung als einziges Innovationsfeld über das Potenzial, existenzielle Herausforderungen der Menschheit und des Planeten auf einer systematischen Ebene zu messen, zu managen und letztlich zu lösen – von Klimawandel und Umweltzerstörung über Hunger und Armut, Ungleichheit und Ungerechtigkeit bis hin zu tief greifender sozialer Instabilität. Alles hängt mit allem zusammen.

Neuerscheinung: Erde 5.0

Land hat als Co-Autor Managementbücher zu den Themen „Digitaler Darwinismus“, „Dematerialisierung“ und „Digital Branding“ veröffentlicht.

Mit „Erde 5.0 – Die Zukunft provozieren“ wendet er sich an die breite Öffentlichkeit und zeigt auf, wie die Digitalisierung und technologischer Fortschritt helfen können, Menschheitsprobleme wie Hunger, Armut, Ressourcenverschwendung und Klimawandel zu lösen.

Allerdings wirft diese Vision einer digital optimierten und dicht vernetzten Welt ein Problem auf: Durch ihren immensen Energiehunger forcieren die Systeme und Netze den Ausstoß klimaschädlicher Gase, bevor sie dazu beitragen, den Energieverbrauch drastisch zu senken.

Anders gesagt: Die Digitalisierung verschärft zunächst die ökologische Krise, die sich in Erderwärmung und Klimawandel manifestiert. Dennoch stellt sie den entscheidenden Hebel dar, um die Energie- und Klimakatastrophe zu vermeiden. Der Digitalphilosoph Luciano Floridi spricht in diesem Kontext von einem „Gambit“, einer Strategie im Schachspiel, bei der ein Spieler einen Bauern opfert, um später einen Vorteil zu erreichen.

Das Energie-Gambit

Das vor drei Jahren in Paris vereinbarte Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, kann die Staatengemeinschaft unter großen Anstrengungen doch noch erreichen, wie der Weltklimarat kürzlich in einem neuen Sonderbericht deutlich machte. Damit die Wettersysteme nicht in einen chaotischen Zustand kippen, muss die Emission klimaschädlicher Gase jedoch radikal gesenkt werden. Ein Dilemma, denn das Gegenteil passiert – der Energiebedarf auch aus klimaschädlicher Produktion steigt in den Industrie- und Entwicklungsländern weiter.

Das Potenzial der Digitalisierung, um dieses Dilemma aufzulösen, ist enorm. Die Global e-Sustainability Initiative (GeSI) geht in ihrer Studie „Smarter2030“ davon aus, dass die CO2-Emissionen durch den strategischen Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologien bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts um 20 % und damit auf das Niveau von 2015 gesenkt werden könnten.

Schaut man sich einzelne Technologiefelder an, so wird deutlich, dass sie kurz nach der Einführung den Malus des zu hohen Energieverbrauchs überwinden. So warnte die Internationale Energieagentur (IAE) noch vor wenigen Jahren vor dem hohen Energieverbrauch der Geräte im IoT (Internet of Things) und bezifferte deren Verbrauch für das Jahr 2013 auf rund 616 TWh, von denen 400 TWh ohne jeden Nutzen verschwendet würden.

IoT-Geräte der neuen Generationen können ihren Energiebedarf smart managen. Mittlerweile ist das Internet der Dinge zum Hoffnungsträger avanciert, um die Effizienz der weltweiten Energiesysteme zu steigern. Die IAE hält es für möglich, dass bis 2040 weltweit 1 Mrd. Haushalte mit insgesamt 11 Mrd. Geräten in einem vernetzten System verbunden sind. Durch Smart Meter und den Einsatz digitaler Technologien könnte der Stromverbrauch so optimiert werden, dass eine Flexibilitätsreserve von 185 GW zur Verfügung steht. Dies wiederum würde den Staaten Investitionen von 270 Mrd. $ in die Energieinfrastruktur ersparen. Im Klartext: Es werden weniger Kraftwerke benötigt.

Die mit Kryptowährungen wie Bitcoin verbundene Blockchain-Technologie gerät auch immer wieder in die Schlagzeilen, weil enorm viel Energie verbraucht wird, um neue „Coins“ zu schürfen. Jede einzelne dieser Transaktionen verbraucht so viel wie acht oder neun US-Haushalte täglich oder 10 000 Kreditkartenbuchungen.

Weil auf der Hand liegt, dass dieser Energiehunger für den Einsatz der Blockchain in Unternehmen, Behörden und NGOs indiskutabel ist, entwickeln Anbieter bereits energieschonende Blockchains, die ohne das rechen- und energieintensive „Mining“ auskommen.

Auch beim Betrieb der Serverfarmen und Rechenzentren zeigt sich der Effekt, dass die ITK-Industrie mit dem Energieeinsatz zunächst sorglos umgeht und erst später die Einsparpotenziale realisiert. Mitte dieses Jahrzehnts verbrauchten alle Rechenzentren der Welt pro Jahr 460 TWh – so Untersuchungen der Universität Leeds – ein Drittel mehr als der jährliche Energieverbrauch Großbritanniens.

Die beunruhigende Prognose damals: Der Verbrauch der Rechenzentren werde sich alle vier Jahre verdoppeln. Doch der Trend wird gebremst und umgekehrt, und zwar durch künstliche Intelligenz.

KI als Effizienztreiber

Google hat schon vor zwei Jahren begonnen, die Energieeffizienz seiner Rechenzentren mit Hilfe der KI seiner Schwesterfirma DeepMind zu verbessern. Die KI sorgte dafür, dass die Server nicht rund um die Uhr voll gekühlt werden, sondern nur gemäß ihrer zu erwartenden Auslastung. Dahinter steckt eine Analyse- und Prognoseleistung, die nur KI sichern kann. Allerdings setzte die KI lediglich von den Google-Experten vorgegebene Steuerungsroutinen in Gang. Diesen „menschlichen Faktor“ hat Google mittlerweile ausgeschaltet. Seit diesem Jahr optimiert die KI den Stromverbrauch der Rechenzentren vollautomatisch, macht sich ihren eigenen Reim auf Auslastung, zu erwartenden Datenverkehr, Stromeinsatz, Kühlung und Wetter. Im Schnitt sei der Stromverbrauch der Rechenzentren nach wenigen Monaten um 30 % gesunken.

Keine Frage: Solche smarten Lösungen werden schon bald im gesamten Stromnetz eingesetzt und zu einem effektiveren Energiemanagement beitragen. Nutzungsdaten werden digital erfasst und ausgewertet. Verbrauchsstellen werden aus der Ferne überwacht und so gesteuert, dass sie keine Energie verschwenden. In Gebäuden und Städten der Zukunft wird Energiemanagement das zentrale Thema sein. Baustoffe und -komponenten werden zunehmend klimaintelligent und selbstregulierend.

Sonnenenergie in großem Stil

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist der rigorose Ausbau erneuerbarer Energien. Jedoch kann nationale Energiepolitik die Herausforderungen in diesem Sektor nicht lösen. Globale „New Energy Deals“ sind gefragt. Das Augenmerk liegt dabei auf Nordafrika und dem Nahen Osten.

Auch wenn der erste, groß angelegte Versuch, das Wüstenkraftwerk Desertec in der Sahara zu bauen aufgrund unausgereifter Technologie, zu teurer Solarstrom- und Photovoltaikkomponenten und politischer Naivität gescheitert ist: Die von einem internationalen Konsortium entwickelte Idee, Wind- und Sonnenenergie zu nutzen, bleibt zielführend.

Verschiedene Studien, u. a. vom DLR sowie vom Fraunhofer-Institut ISI, hatten grundsätzlich die Chance bestätigt: Durch große Solar- und auch Windkraftwerke lässt sich im Mittelmeerraum so viel Energie erzeugen, dass sowohl der steigende Bedarf der dortigen Staaten als auch ein Teil des wachsenden Verbrauchs in Europa abgefedert werden kann.

Das Potenzial ist enorm: Die Sonne schickt im Jahr 1,6 Mrd. TWh Energie zur Erde. Wenn wir davon ein Zehntausendstel in Strom umwandeln könnten, wäre der Strombedarf der Erde in Höhe von knapp 22 000 TWh im Jahr 2017 (Quelle: Enerdata) erst einmal gedeckt.

Wie die Vision Realität werden kann, zeigen diverse Projekte. In Marokko entsteht Noor, eines der größten Sonnenkraftwerke der Welt und damit gleichzeitig ein Testlabor für die innovative Nutzung von Sonnenenergie. Ägypten möchte den Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtbedarf von jetzt 10 % auf 20 % in drei Jahren steigern.

Die Solarkraftwerke der nahen Zukunft produzieren genauso viel Strom wie manches Kernkraftwerk. Sie liefern die Energie für die wachsende Bevölkerung, für den wirtschaftlichen Aufschwung, für die Entsalzung von Meerwasser – und für den Export.

Neben gigantischen, zentralen und langfristig angelegten Solarkraftwerken wird die dezentrale Produktion von Strom aus erneuerbaren Energien das Saldo weiter verbessern. Im einfachsten Falle helfen sie, in Entwicklungsländern Wasserpumpen und Kochstellen, Computer und Smartphones mit Sonnenenergie zu betreiben.

Megatrend Dematerialisierung

Doch weder die intelligenten Netze noch der im internationalen Maßstab angelegte Ausbau erneuerbarer Energien werden genügen, um die globale Energiewende wirklich zu erreichen. Sie wird nur möglich, weil die Digitalisierung einen Megatrend ausgelöst hat, der weithin übersehen wird: die Dematerialisierung. Deutlich weniger Güter zu produzieren und zu transportieren ist eine Schlüsselstrategie im Kampf gegen den Klimawandel.

Viele physische Produkte verwandeln sich in Software und Apps, sie „dematerialisieren“. „Software is eating the world“ nannte der Internetpionier Marc Andreessen diesen Effekt. Meine These ist: In Kürze werden wir erleben, wie ganze Wertschöpfungsketten mit Fabriken, Maschinen und Arbeitsplätzen verschwinden. Zwei Beispiele mögen dies illustrieren:

– Automatisierte Mobilitätssysteme und autonome Fahrzeuge werden den Bedarf an individuellen Pkw massiv sinken lassen. Für die deutsche Automobilindustrie ist dies keine gute Nachricht.

– Viele Konsum- und Industriegüter degenerieren zu Datensätzen und werden in dezentralen Hubs für 3-D-Druck hergestellt. Es liegt auf der Hand, dass die Bedeutung zentraler Produktionsstätten damit sinkt und auch Teile der globalen Logistik entfallen werden.

Die Liste der Dematerialisierungseffekte ließe sich beliebig fortsetzen. Die Umweltschutzbewegung hat in den 1990er-Jahren die Reduzierung der Stoffströme in den Industriestaaten auf ein Zehntel gefordert. Ob es so weit kommt, steht in den Sternen. Aber dass eine weitreichende Dematerialisierung stattfindet, erscheint unausweichlich.

So paradox es klingen mag: Mithilfe einer umfassenden Digitalisierung und des technologischen Fortschritts können wir die „Grenzen des Wachstums“ endlich ziehen, die der „Club of Rome“ bereits 1972 in seiner berühmten Studie beschrieben hat. Ausschlaggebend sind intelligente Netze, der mutige Ausbau der Solarenergie sowie die Dematerialisierung. Diese Zukunft müssen wir provozieren. Oder wie es Luciano Floridi ausdrückt: Wir brauchen einen smarten Schachzug.

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