Stahl 30. Jan 2015 Iestyn Hartbrich, Markus Henrichs Lesezeit: ca. 3 Minuten

„Hochfesten Stahl designen kann jeder“

Atome unter der „Lupe“: Stahlforscher haben immer mehr Möglichkeiten, Werkstoffeigenschaften bedarfsgerecht einzustellen.
Foto: MPIE

VDI nachrichten: Herr Raabe, wenn Sie die vergangenen zehn Jahre Revue passieren lassen, was waren in Ihrem Fachbereich die größten Werkstoffinnovationen mit Blick auf die Automobilindustrie?

Dierk Raabe: Einerseits sind das sicherlich die hochfesten Dual-Phasen-Stähle, die aus den beiden Phasen Ferrit und Martensit bestehen. Sie sind besonders gut designbar, indem man die Gefügebestandteile und die Wärmebehandlung passgenau auf die jeweilige Anwendung abstimmt.

Und andererseits?

…die sogenannten QP-Stähle (Quench and Partitioning, A. d. Red.), die darauf beruhen, dass man auf mikroskopischer Ebene die Legierungselemente klug partitioniert. Beide Werkstoffklassen haben in der Autoindustrie gezündet: Aufgrund ihrer hervorragenden mechanischen Eigenschaften und schlanken, d. h. ihren preiswerten Legierungszusammensetzungen fanden sie sich schnell in Produkten wieder – und zwar in den neuralgischen, crash-relevanten Bauteilen des Fahrzeugs.

Was war die Schwierigkeit, diese Werkstoffe in die Serie zu bringen?

Zwei Dinge mussten zusammenkommen: Die Vorgänge auf atomarer Ebene müssen zunächst verstanden werden und sich einerseits präzise steuern lassen. Andererseits müssen sich die Werkstoffe in sehr großen Mengen und mit der erforderlichen Produktsicherheit herstellen lassen. Einen hochfesten Stahl designen kann – etwas übertrieben formuliert – jeder.

Jeder?

(lacht) Jeder Student im dritten Semester. Eisen, viel Kohlenstoff und vielleicht noch etwas Stickstoff, alles abschrecken und fertig ist der ultrahochfeste Stahl. Die Kunst besteht darin, die mechanischen Eigenschaften auch gleichzeitig mit ausreichender Umformbarkeit und Duktilität auszustatten sowie ihre kostengünstige Herstellbarkeit auf die vorhandenen Großprozesse der Stahl- und Autoindustrie abzubilden. Die Festigkeit, Duktilität und Prozesssicherheit müssen jeweils hoch sein, sonst wird das nichts mit der Autoindustrie. Ebenso interessant ist im Übrigen der vorwettbewerbliche Forschungsbereich…

…in dem Sie sich mit Ihrem Institut ja bewegen.

Im Vergleich zu dem, was wir in den Labors erzeugen können, sind die heutigen Automobilgüten viel, viel schlechter. Das Legierungselement Mangan zum Beispiel. Wenn Sie in größeren Mengen Mangan hinzu legieren – und damit meine ich Größenordnungen von 5 % – 20 % – dann erhalten Sie Stähle mit extremen Eigenschaften hinsichtlich Festigkeit und Dehnbarkeit, die mit heutigen Stählen allerdings nicht mehr viel zu tun haben.

Welche Eigenschaften betrifft das?

Es geht vor allem um die Duktilität, also die Umformbarkeit bei gleichzeitig sehr hohem Festigkeitsniveau. Herkömmliche Stähle weisen eine kubisch-raumzentrierte Gitterstruktur auf, hochmanganlegierte Materialien hingegen eine kubisch-flächenzentrierte. Das bedeutet: Ich habe als Forscher ganz neue Möglichkeiten, Duktilitäten einzusteuern, die es vorher gar nicht gab. Soll ich ins Detail gehen?

Gerne.

Auf der Kristallebene erzeugt man sogenannte Zwillinge, d. h. winzige, atomar feine Fehler in der Kristallbaustruktur, die zusätzliche innere Grenzflächen bereitstellen. Das Material verfestigt sich enorm, wird deutlich härter und fester, aber es versprödet eben nicht! Diese sogenannten „TWIP-Stähle“ haben in der Stahlforschung einen regelrechten Rush ausgelöst. Die Entwickler und Wissenschaftler haben erkannt, dass sich ganz neue Klassen von Gitterfehlern, die für die mechanischen Eigenschaften maßgeblich sind, herstellen lassen. Ein ganz neues Feld…

…das den stahlerzeugenden Unternehmen auch bei der Vermarktung der Stähle neue Möglichkeiten eröffnet?

Das ist so, ja. Die Palette beim Stahl – ohnehin schon enorm aufgefächert – wird noch breiter. Dafür werden unter anderem die TWIP-Stähle sorgen. Aber die Stähle erfüllen diese breiten Anforderungen eben.

Können Sie – aus Ihrer Forschererfahrung – mal ein Extrembeispiel nennen?

Schauen Sie sich den 300M-Stahl an, der sich im Landegestell des Airbus A380 findet. Das ist ein sogenanntes Safe-life-Bauteil, das auf keinen Fall versagen darf, sonst sterben Menschen. Sie können sich vorstellen, dass die Anforderungen auf den Herstellungsprozess hier sehr, sehr hoch sind. Ähnlich extreme Möglichkeiten eröffnen sich derzeit bei den sogenannten gewichtsreduzierten Stählen, welche durch Aluminiumbeimischung bei bis zu 15 % Gewichtsreduktion die Vorteile der TWIP-Stähle aufweisen.

Welchen Anteil an dieser Palettenbreite hat die Automobilindustrie? Haben die Autobauer mit ihrer wirtschaftlichen Zugkraft die deutschen Stahlhersteller nach der Krise wieder in die Spur gebracht?

Das möchte ich als Wissenschaftler nicht beurteilen. In einem Punkt aber haben Sie Recht: Die Autoindustrie ist ein gewaltiger Innovationstreiber, ein hoher technischer Pull-Faktor für die Stahlwelt. Wie im Übrigen das gesamte Feld der Mobilität und Energietechnik, auch außerhalb der Autoindustrie.

Nimmt der Wettbewerb der Werkstoffe vor diesem Hintergrund zu?

Zwischen Stahl und Aluminium nimmt der Wettbewerb rapide zu. Und das beflügelt beide, immer neue Hochleistungswerkstoffe zu entwickeln.

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