VERBRAUCHERSCHUTZ 07. Sep 2017 Susanne Donner Lesezeit: ca. 3 Minuten

Viren schützen Lebensmittel

Bakteriophagen sollen den bakteriellen Verderb von Nahrungsmitteln verhindern. Erste Lebensmittel- und Pharmakonzerne erforschen nun den Einsatz solcher Viren.

Phagen bohren sich durch die Oberfläche von Bakterien, vermehren sich dort massenhaft, bis das Bakterium abstirbt. Diesen Effekt wollen Pharmakonzerne jetzt ausnutzen.
Foto: Panthermedia.net/Andreus

Ausgerechnet Viren sollen Lebensmittel schützen. Sie heißen Bakteriophagen, wörtlich: Bakterienfresser, weil sie die Mikroben aushöhlen. Ein Phage ernährt sich von jeweils nur wenigen Bakterienarten. Er dringt in sie ein und vermehrt sich, bis ihre Zellhüllen platzen. Lebensmittelinfektionen sollen so zurückgehen, versprechen die Entwickler der Phagentechnologie. In der EU, der Schweiz, in den USA, Australien und Kanada wird die Methode bereits praktiziert, sogar auf Bioprodukten.

Das niederländische Unternehmen Micreos ist einer der Hersteller. Auch in Deutschland würde ein Phagenspray gegen Listerien eingesetzt, heißt es von dort. Fleisch, Fisch und Käse könnten mit dem Virencocktail behandelt sein. Die Namen der Geschäftskunden hält Micreos jedoch geheim. Aktuell plane man die Behandlung von Zwiebeln, Salat und anderen Gemüsesorten mit der Phagentinktur. Auch die Unternehmen Nestlé und Eli Lilly erforschen den Einsatz der Phagen.

Dem Menschen werden die Viren nicht gefährlich. Sie sind seit den 1920er-Jahren bekannt und können Choleraerreger oder Wundinfektionen zurückdrängen. „In Russland gibt es noch frei verkäufliche Phagenpräparate in den Apotheken. Durch den Siegeszug der Antibiotika sind solche Präparate in Vergessenheit geraten. Doch wegen zunehmender Antibiotikaresistenzen erfährt diese Technik eine Renaissance, gerade auch zur Bekämpfung von Lebensmittelinfektionen“, sagt der Biologe Stefan Hertwig vom Berliner Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).

Salmonellen auf Eiern und Hühnerfleisch, Listerien auf vorgeschnittenem Gemüse oder Rohmilchkäse und Colibakterien auf Sprossen und Fleisch – hierzulande melden Ärzte den Behörden ca. 200 000 Lebensmittelinfektionen pro Jahr. Die Dunkelziffer ist weit höher, da nicht jeder, der sich den Magen verdirbt, einen Arzt aufsucht. Dabei gibt es neben Übelkeit und Durchfall auch schwerwiegende Folgeerkrankungen: etwa infektionsbedingte Arthrosen, die ein Hüftimplantat nötig machen. Weltweit sterben 420 000 Menschen pro Jahr an Lebensmittelinfektionen.

Phagen sollen das ändern. Micreos hat dafür zwei Produkte entwickelt: eines gegen Salmonellen und eines gegen Listerien. Die Kunden besprühen Putenfleisch, Hähnchen, Fisch, Milchprodukte und geschnittenes Gemüse mit den Phagen, um Bakterien abzutöten.

Die US-Zulassungsbehörde FDA winkte die Technik ohne Sicherheitsbedenken als „grundsätzlich sicher“ durch. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) tat sich da schwerer. Erst nach 33 unterschiedlichen Experimenten durch den Hersteller gab die Behörde 2016 eine verhalten positive Stellungnahme ab. Die Belastung mit Listerien auf Fleisch, Milchprodukten und Fisch könne um bis zu 95 % zurückgehen, schätzt die Behörde. Aber sie fordert vom Hersteller mehr Feldstudien. Micreos müsse auch Resistenzen beobachten, „da eines unter Hundert Millionen Bakterien auf natürliche Weise gegen Phagen widerstandsfähig wird“, sagt Bert de Vegt, Geschäftsführer von Micreos. Da die Waren aber erst kurz vor Verlassen der Fabrik behandelt würden, könnten sich resistente Bakterien nicht in der Produktion ansammeln, glaubt er.

Man könnte behaupten, dass das Unternehmen die Zulassung als Lebensmittelzusatzstoff derzeit umgeht, indem der Phagencocktail nur als Verarbeitungshilfsstoff in den Fabriken eingesetzt wird. Legitim ist das. Solche Stoffe dürfen in Spuren im Produkt nachweisbar sein, zum Beispiel Backenzyme in Brötchen. Und sie müssen weder zugelassen noch deklariert werden.

Auch Forschungen an der Tierärztlichen Hochschule Hannover und am BfR bestätigen die Wirksamkeit von Phagen. Brennpunkt Hühnerstall: Im Darm der Broiler vermehrt sich der häufigste Lebensmittelkeim überhaupt, Campylobacter. Oft genügt ein infiziertes Tier im Schlachthof, um ganze Chargen zu kontaminieren.

Im Kot der Tiere fanden Forscher vier Phagen als natürliche Gegenspieler. Um den Faktor Tausend lassen sich die Keime zurückdrängen, wenn Hühner die Viren mit dem Wasser trinken, fand Tiermedizinerin Sophie Kittler von der Tierärztlichen Hochschule Hannover heraus. Sie setzte die Phagenmixtur auch in Hühnerställen mit bis zu 20 000 Tieren ein. Allerdings mit gemischtem Erfolg. Einmal verschwand Campylobacter ganz, ein andermal stagnierte die Besiedlung lediglich.

Sind Antibiotika doch die effektivere Waffe? „Ihre Wirksamkeit ist nicht per se besser“, sagt Hertwig. „Phagen sind ein innovativer Ansatz, der zur Lebensmittelhygiene beitragen kann. Aber sie sind sicher kein Allheilmittel.“

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