2019 könnte kritisch werden
Warum die US-Leitzinsen die Märkte erschüttern und wann Anleger aussteigen sollten, erklärt Aktienguru Jens Ehrhardt.

Die Schwellenländer bewertet Ehrhardt aktuell als besonders lohnenswerte Investitionsmöglichkeit.
Foto: imago/argum/Falk Heller
VDI nachrichten: Herr Ehrhardt, US-Präsident Donald Trump hat Zölle auf Stahl- und Aluminiumeinfuhren erlassen. Gab es vergleichbare Ereignisse in der Vergangenheit?
Jens Ehrhardt: George W. Bush hat 2002 mit einem Stahlimportzoll von bis zu 30 % schon einmal ausprobiert, was auf solche Maßnahmen folgt. Bei den damals 200 000 Jobs der amerikanischen Stahlindustrie passierte nicht viel, aber es gab über 1 Mio. Arbeitsplatzverluste bei der stahlverarbeitenden US-Industrie. Auch heute dürften US-Industrien mit über 7 Mio. Arbeitsplätzen belastet werden bzw. sie verlieren indirekt an Konkurrenzfähigkeit. Direkt betroffen sind ausländische Stahl- und Aluminium-Produzenten, deren Aktienkurse bereits gefallen sind.
Der gebürtige Hamburger (geb. 1942) und begeisterte Segler verfügt über ein halbes Jahrhundert Börsenerfahrung. Ehrhardt gehört zu den bekanntesten und erfolgreichsten Fondsmanagern und Vermögensverwaltern in Europa.
Nach Abschluss des BWL-Studiums und der Promotion über „Kursbestimmungsfaktoren am Aktienmarkt“ 1974 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und gleichzeitiger Tätigkeit bei einem Vermögensverwalter gründete Ehrhardt 1974 eine eigene, unabhängige Wertpapiervermögensverwaltung, aus der die heutige DJE Kapital AG hervorging.
Als erster Vermögensverwalter in Deutschland legte er 1987 einen Aktienfonds auf.
Und wie haben die Börsen in dieser Zeit reagiert?
2002 war besonders in der zweiten Jahreshälfte ein generell schlechtes Börsenjahr. Die 2000 begonnene Internet-Blasenbaisse setzte sich fort. Hauptgrund war damals aber nicht der internationale Handel, sondern die vorangegangene Bremspolitik der US-Notenbank, die vorher mit einer Politik unverantwortlich niedriger Zinsen zu einer Schuldenblase in den USA geführt hatte. Diese Faktoren waren im Jahr 2002 weit wichtiger als die Bush-Handelshemmnisse. Auch 2018/2019 besteht die Gefahr, dass die US-Notenbankpolitik zum Hauptbelastungsfaktor für die Börsen wird.
Wird es neben Verlusten bei Stahl- und Aluminium auch den allgemeinen Markt treffen?
In der Vergangenheit haben sich Einzelmaßnahmen bei US-Zöllen sowohl unter Bush als auch Nixon nicht zu einem Handelskrieg ausgeweitet. Sollte es diesmal dazu kommen, ist sogar eine internationale Rezession möglich. Schätze ich Trump charakterlich richtig ein, so könnte aber ein Verzicht europäischer Gegenmaßnahmen von Trump als Schwächezeichen gewertet werden und zu neuen protektionistischen Maßnahmen einladen. Bei einem richtigen Handelskrieg schätzt man sogar in den USA mit bis zu fast 4 Mio. zusätzlichen Arbeitslosen und das alles, um rund 400 000 Arbeitsplätze in den USA in teilweise veralteten Produktionsstätten der Stahl- und Aluminiumindustrie zu schützen.
Ist sich Trump dieser Gefahren bewusst?
Trump scheint sich der Gefahren nicht bewusst zu sein, wenn er sagt, dass „Handelskriege gut sind und für Amerika leicht zu gewinnen“. Tatsächlich sitzen die USA am längeren Hebel. Sie können weitaus mehr Importe stoppen als China oder Europa. Allein das Handelsbilanzdefizit gegenüber China ist auf den Rekordbetrag von fast 400 Mrd. $ in den letzten 12 Monaten gewachsen. Gegenüber Europa liegt es ebenfalls in 3-stelliger Milliardenhöhe, auf Rekordniveau.
Sollte es zu einem Handelskrieg kommen – wen würde er am heftigsten treffen?
Am meisten betroffen wäre die deutsche Automobilindustrie. Zusammen mit den sonstigen Problemen dieser, für die deutsche Konjunktur wichtigsten Branche (gigantisches Investitionsvolumen für Elektroautos, mögliche Umrüstungskosten in Sachen Diesel, Verluste der Leasingtöchter durch massive Wertrückgänge von gebrauchten Diesel-Fahrzeugen, möglicherweise Milliardenverlust durch Brexit, Überinvestierung der Anleger speziell in Daimler und VW wegen der erhofften Kursgewinne durch Abspaltung der Lkw-Töchter, was zunächst nur 3-stellige Mio.-Euro-Beträge kostet) würden US-Zölle stark belasten. Die Multiplikatoren-Effekte eines verschlechterten deutschen Automobilabsatzes sind für die deutsche Konjunktur extrem negativ.
Gerade sind die Börsen aufgrund von Zinssteigerungen in den USA eingebrochen. Sind Zinssteigerungen stets eine Gefahr für die Börse?
Die Erfahrung zeigt, dass dies nicht grundsätzlich der Fall ist – nämlich nicht, solange die Zinsen noch tief sind und die Konjunktur gut läuft. Das ist in den USA derzeit noch der Fall. Die ersten Zinssteigerungen, wie wir sie in den USA erleben, sind noch keine große Gefahr. Erfahrungsgemäß ist aber Achtung geboten, wenn die Kurse nicht mehr monetär sondern nur fundamental – von guten Unternehmensgewinnen – getrieben werden. Zwar bricht die Börse dann noch nicht gleich ein, aber ihr Weg nach oben wird sichtbar mühsamer und die Baisse- und Konjunkturgefahren werden größer.
Was steckt also hinter dem aktuellen Absturz?
Das war eine technische Reaktion. Der Markt in den USA war einfach überhitzt, da brauchte es nur noch den berühmten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der zeigte sich in einem Anstieg der Löhne und der Ölpreise, was Inflationsängste schürte, die sofort Befürchtungen vor einer Verschärfung der Geldpolitik der US-Notenbank Fed und schneller steigenden Zinsen aufkommen ließen.
Gibt es zur heutigen Situation an der Börse historische Parallelen, wie etwa in den Jahren 1998 bis 2000?
Die derzeit historisch niedrigen Zinsen – z. T. Negativzinsen – machen einen Vergleich mit der Vergangenheit schwierig. Aber aufgrund einiger anderer Parallelen würde ich eher auf das Börsenjahr 1986/87 schauen. Damals gab es einen kräftigen Kursrückschlag, obwohl wir – wie derzeit – eine gut laufende Konjunktur hatten und keine Rezession zu befürchten war. Der Kursrückgang, der seinerzeit wie heute hauptsächlich markttechnisch und z. T. monetär begründet war und ist, sollte diesmal mit etwa maximal 15 % allerdings niedriger als damals ausfallen.
Ist die Talfahrt jetzt überstanden?
Ich schließe einen weiteren Rückschlag nicht aus. Es gibt zu viel Optimismus, besonders an der US-Börse. Eine gesunde markttechnische Korrektur geht mit mehr Pessimismus der Anleger einher, als dies derzeit der Fall ist. Ein deutlicheres Maß an Pessimismus ist notwendig, damit es nach einem Rückschlag wieder aufwärts gehen kann.
Wie wird sich der Dax dieses Jahr entwickeln?
Bei der gegebenen wirtschaftlichen Situation könnte sich die Börse nach einem möglichen – kurzfristig eintretenden – zweiten Rückschlag bis März/April wieder erholen, wobei wir mit etwas Glück auch die Höchstkurse vom letzten Januar nochmals testen könnten. Dann aber sollte man doch eher einen Verkauf ins Auge fassen, weil das Potenzial nach oben nicht mehr hoch sein dürfte. Im Herbst diesen Jahres könnten sich dann wieder neue Kaufgelegenheiten bieten. Sicher ist indes, dass die steile Aufwärtsbewegung, wie wir sie seit Jahren – ohne nennenswerte Unterbrechung – erlebt haben, vorbei ist.
Wie groß ist die Gefahr, dass höhere Zinsen eine Rezession und eine Börsenbaisse auslösen ?
Die Gefahr ist durchaus gegeben, denn in den USA ist die Verschuldung sehr hoch – gerade bei den Unternehmen und Haushalten, deren Konsum mit einem Anteil von 75 % an der Wirtschaftsleistung der wichtigste Träger der US-Konjunktur ist. Ein anhaltender Zinsanstieg wird irgendwann bei den relativ hoch verschuldeten Verbrauchern zu Konsumeinschränkungen führen – zumal die US-Sparquote bei sehr niedrigen 3,2 %, nahe dem 12-Jahres-Tief, liegt. Und da die privaten Haushalte in den USA vergleichsweise hoch an der Börse investiert sind, werden erfahrungsgemäß auch Aktien verkauft.
Und bei welcher Zinshöhe wird es gefährlich?
Der Gefahrenpunkt ist derzeit noch nicht erreicht. Aber wenn die Verzinsung von Staatsanleihen mindestens bei 3,5 % liegt, sind Negativ-Folgen realistisch. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Fed nicht nur den Leitzins erhöht sondern mittlerweile auch – und das ist ganz wichtig – Anleihen verkauft und damit dem Markt Liquidität entzieht, was nicht nur den Marktzins zusätzlich treibt, sondern auch die Kreditvergabe der Banken in Zukunft erschwert. Allerdings ist sich die US-Notenbank der Gefahr bewusst. Sie hat mehrfach erklärt, sie sei in ihrer Geldpolitik durchaus flexibel.
Ein weiteres Risiko: Ende 2018 beginnt die aggregierte Bilanz der großen Zentralbanken zu schrumpfen. Dann wollen alle wichtigen Zentralbanken Anleihen verkaufen. Werden die Börsen den Rückzug aus der unkonventionellen Geldpolitik gut verkraften, oder droht Ungemach?
Ende 2018 werden sich die größten Notenbanken in der Tat in die gleiche Richtung bewegen und per Saldo Liquidität abschöpfen. Schon allein die 600 Mrd. $ p. a. der US-Liquiditätsrückgänge werden international die Börsen belasten. Das dürfte gefährlich werden. Deshalb rate ich zu besonderer Vorsicht an den Börsen. 2019/20 könnte dann – aufgrund eines umfassenden Liquiditätsentzugs und steigender Zinsen – auch die Wirtschaft weltweit in Schwierigkeiten geraten. Allerdings reagiert die Börse auf Liquiditätsentzug erfahrungsgemäß erst mit einer Zeitverzögerung, sodass sich der aufmerksame Anleger rechtzeitig positionieren kann.
Setzen Sie in Ihren Fonds noch voll auf Aktien?
Wir haben aufgrund der beschriebenen Unsicherheiten etwas abgespeckt und sind nicht mehr in vollem Umfang am Markt investiert.
Wie halten Sie es mit Nachzüglern aus den Sektoren Energie und Rohstoffe?
Rohstoffwerte sind immer noch interessant, da sie erfahrungsgemäß auch in der Spätphase eines Wirtschaftsaufschwungs gut laufen. Zudem wirkt die Dollarschwäche positiv auf Rohstoffe. Bei einem Handelskrieg gilt dies allerdings nicht. Agraraktien und Düngemitteltitel könnten profitieren.
Und Technologie- und Industrieunternehmen?
US-Technologiewerte haben sich bereits sehr gut entwickelt, sie sind recht teuer, wenn auch gewinnstark und von Aktienrückkäufen speziell begünstigt.
Wie gewichten Sie Energietitel?
Sind als europäische Dividendenaktien haltenswert, aber der wohl fallende Ölpreis bremst die Kursentwicklung.
Sind Finanz-, Versicherungs- und Banktitel wieder interessant? Schließlich zieht der Zins am langen Ende auch bei uns bereits an und die EZB dürfte in einem Jahr mit Leitzinserhöhungen beginnen.
Finanzwerte profitieren von Zinssteigerungen aufgrund ihrer Geschäftsstrukturen. Wir halten sie auch deshalb für sehr interessant, weil sie ebenfalls zu den besser laufenden Werten in der Spätphase eines Wirtschaftsaufschwungs zählen.
Welche Branchen gewichten Sie unter?
Die Zykliker sind im Vergleich zu den defensiven Titeln bereits gut gelaufen. Untergewichten würde ich Industrie- und Autowerte, wo die Prognosen der Hersteller zurückhaltend ausfallen.
Sind europäische Aktien aussichtsreicher als amerikanische oder japanische Titel?
Ein Investment an den Börsen in den Schwellenländern, in Japan und in Europa halte ich – in dieser Reihenfolge – aus dem Blickwinkel der Bewertungen für aussichtsreicher als in den USA. Unser Vergleich über Jahrzehnte zeigt, dass der Bewertungsabstand zwischen deutschen, europäischen und US-Aktien – zugunsten der amerikanischen Titel – noch nie so hoch wie heute war. Positiv für US-Aktien sind die angekündigten Rekordaktienrückkäufe. Die US-Notenbankpolitik spricht aber eher gegen US-Aktien, besonders wenn die Liquidität in den USA, wie angekündigt, stark vermindert wird.
Nach welchen Kriterien sollten Anleger beim Aktienkauf heute vorgehen?
Heute sollte vor allem das Timing im Vordergrund stehen. Und nicht „America first“, sondern die Schwellenländer sowie Japan und Europa sind interessant.
Und weiterhin Vorsicht vor Anleihen?
Gegenüber Anleihen herrscht hoher Pessimismus. Nur bei einer Umkehr des guten Konjunkturverlaufs werden Anleihen wieder interessant. Dafür sehe ich aber keine Anzeichen.
Obwohl in den USA der Leitzins deutlich über dem Zins in der Eurozone liegt, die Brexit-Verhandlungen immer noch kein klares Bild ergeben und der Wahlausgang in Italien eine schwierige Regierungsbildung signalisieren, steigt der Euro gegen Dollar. Warum?
Gemessen an seiner Kaufkraft ist der Dollar überbewertet. Dennoch, mit Blick auf die Zinsdifferenz zwischen den USA und Europa, die deutlich zugunsten der USA ausfällt, müssten die Geldströme eigentlich via USA fließen und den Dollar stärken. Verunsichernd wirken aber vor allem die US-Zwillingsdefizite – das hohe Haushalts- und Handelsbilanzdefizit. Dieses Problem ist zwar nicht neu: Die Situation droht aber nun, aufgrund der Trumpschen Steuerreform, des kostspieligen Infrastrukturprogramms sowie der protektionistischen US-Handelspolitik zu eskalieren.
Wird der Euro weiter steigen?
Den größten Teil seines Anstiegs dürfte der Euro hinter sich haben. Bis zum Jahresende sollte die Gemeinschaftswährung allenfalls bis auf 1,30 gegen Dollar steigen, damit dürfte das Ende der Fahnenstange aber erreicht sein und vorher ist ein Test von 1,20 möglich.
Und nun zu Ihrem Lieblingsthema – dem Gold.
Kurzfristig betrachtet ist das Thema Gold nicht so spannend. Auch hier ist zu viel Optimismus im Markt. Zudem wächst die Nachfrage aus China und Indien derzeit kaum. Auch sind die Hedgefonds und die Spekulanten gegenwärtig nicht stark engagiert. Bis Ende des Jahres sollte der Goldpreis aber leicht aufwärts gerichtet sein. Längerfristig sehe ich Chancen am Goldmarkt, da sich die genannten Einflussfaktoren wieder drehen und positiv auf den Markt einwirken sollten. Ferner scheint die Weltgoldproduktion 2016 ihr Hoch erreicht zu haben, sodass künftig eher mit einer Verknappung des Angebots zu rechnen ist. Positiv sind die steigenden Inflationserwartungen. Zudem gilt: In unsicheren Börsenjahren überwintert man ganz gut mit etwas Gold im Tresor.
Zunehmend treten Bitcoins in den Blick der Öffentlichkeit. Ist die Kunstwährung mehr als ein Spekulationsobjekt?
Aufgrund der extremen Kursschwankungen, die wir bei Bitcoins sehen, dürften sich Bitcoins als Währung nicht durchsetzen. Die Investoren in Bitcoins sind hochgradige Spekulanten, die nur von der Gier nach schnellen, möglichst hohen Kursgewinnen getrieben werden. Im Gegensatz zu guten Aktien steht hinter Bitcoin keine Substanz und zukünftige Ertragskraft. Tulpenzwiebeln hatten mehr Substanz.