Arbeitsmarkt Verteidigung 21. Juni 2025 Von Sebastian Wolking Lesezeit: ca. 4 Minuten

Ingenieure aus der Automobilindustrie: Bitte umsteigen

Deutschlands Automobilindustrie ist auf dem Rückzug, die Rüstungsbranche auf dem Vormarsch. Das hat Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Doch daran, dass die Verteidigungsindustrie wirklich den Automotive-Bereich als Deutschlands Leitbranche ablöst, gibt es Zweifel.

DC: Military Parade Celebrating President Trump's Birthday in Washington
Hochkonjunktur für Militärfahrzeuge: Winkende Soldaten bei der umstrittenen US-Militärparade am 14. Juni in Washington.
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Allein im vergangenen Jahr sind nach einer Studie des Beratungsunternehmens EY 19.000 Jobs in der deutschen Automobilindustrie weggefallen – ein Ende der Talfahrt ist nicht absehbar. Im Gegenzug könnten 100.000 neue Arbeitsplätze in der Industrie entstehen und das Bruttoinlandsprodukt um einen halben Prozentpunkt steigen, wenn die deutschen Rüstungsausgaben auf 3 % des BIP erhöht würden, so EY in einer anderen Studie in Kooperation mit der Dekabank. Noch einen drauf legen das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zusammen mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS), die sogar 200.000 neue Jobs vorhersehen für den Fall, dass die deutschen Verteidigungsausgaben – freilich schuldenfinanziert – von 2 % auf 3 % des BIP klettern. Neben dem Stellenaufbau bei der Bundeswehr würden auch am Bau oder bei der Metallerzeugung Arbeitsplätze entstehen.

„Frei werdende Ressourcen im Automobilbereich für Rüstung nutzbar machen“

Eine Entwicklung, der man beim Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) wohlwollend gegenübersteht. Deutschland habe „in angrenzenden Feldern – wie im Automobilbereich – gerade jetzt frei werdende Ressourcen, die unbedingt für Rüstung nutzbar gemacht oder nutzbar gehalten werden müssen“, meinte Hans C. Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des BDSV, unmittelbar nach der Reform der Schuldenbremse durch den Deutschen Bundestag im März. „Das Motto ‚Autos zu Rüstung‘ muss zu einem gesamtgesellschaftlichen Aufbruch genutzt werden“, so Atzpodien. Das Interesse seitens potenzieller Fachkräfte ist vorhanden. Laut einer Analyse des Jobportals Indeed hatte sich das Interesse an Stellen in der Rüstungsbranche seit der Lockerung der Schuldenbremse am 18. März im Vergleich zum Vormonat Februar verdreifacht. Insbesondere Fachkräfte aus der kriselnden Automobilbranche, so Indeed-Expertin Virginia Sondergeld, würden Verteidigungsunternehmen häufig als berufliche Alternative nennen.

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„Wir sehen viele Bewerber aus der Automobilindustrie und profitieren natürlich davon“, sagte der Vorstandsvorsitzende des Getriebebauers Renk, Alexander Sagel, kürzlich zum US-Sender CNBC. „Wir suchen wirklich nach Ingenieuren, die Methoden wie kontinuierliche Verbesserung und Lineback-Prinzipien aus der Autoindustrie einbringen können“, ergänzte Renk-COO Emmerich Schiller. Beide stehen stellvertretend für die Zeitenwende auf dem Arbeitsmarkt. CEO Sagel, der ein Studium in Materialwissenschaften und Festkörperphysik in seiner Vita stehen hat und seine Promotion nach eigenen Angaben mit summa cum laude beendete, fing nach dem Studium als Trainee bei der damaligen Daimler AG an, wechselte Mitte der 2000er-Jahre zu Rheinmetall, um im April 2024 bei Renk in Augsburg anzuheuern. Im Februar 2025 löste er Susanne Wiegand als Vorstandsvorsitzender des Getriebespezialisten ab. Auch Vorstandskollege Emmerich Schiller fuhr einen Schwenk von der Auto- zur Rüstungsbranche, stieg nach dem Studium in Wirtschaftsingenieurwesen ebenfalls bei Daimler ein, wo er insgesamt fast 25 Berufsjahre verbrachte. Bei Renk ist er seit Februar 2024.

Viele Interessenten, wenige Vertragsabschlüsse

Bei Sensorspezialist Hensoldt fangen die ersten Mitarbeitenden aus der Automobilindustrie im Juli an. „Wir haben tatsächlich sehr viele Interessenten, mit denen wir derzeit Gespräche führen“, sagt Unternehmenssprecher Lothar Belz. „Bis es zu einem Abschluss kommt, dauert naturgemäß, weil die Interessenten unser Angebot prüfen und wir unsererseits die Qualifikationen abgleichen. Wir sind ein hoch spezialisiertes Unternehmen und müssen uns deshalb genau ansehen, ob ein Bewerber zu uns passt.“ Das Unternehmen aus Taufkirchen bei München hat im vergangenen Jahr 1000 neue Jobs besetzt und rechnet in diesem mit ebenso vielen Neueinstellungen. „Wie viele davon letztendlich aus der Automobilindustrie kommen, ist schwer zu sagen, aber es könnte eine niedrige dreistellige Zahl sein“, so Belz. „Wir suchen vor allem Mitarbeiter für die Produktion, wo wir uns von Automobilmitarbeitern wertvolle Impulse vor allem für den Ausbau der Kapazitäten, die Serienfertigung, erhoffen. Darüber hinaus sind Systemingenieure gefragt, aber auch Softwareexperten und Elektrotechniker“, so Belz. Ein Vorteil sei, so heißt es bei Hensoldt, dass Automobilexperten ans Just-in-time-Prinzip gewöhnt seien. Dies könne helfen, die Massenproduktion in der Verteidigungsbranche voranzutreiben.

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Bis zu 8000 neue Mitarbeitende pro Jahr will Rüstungsriese Rheinmetall einstellen. Der Panzer- und Munitionshersteller mit Sitz in Düsseldorf betreibt Werke im niedersächsischen Unterlüß in Niedersachsen, in Kassel, Kiel, Bremen und München. In einer Absichtserklärung hatte Rheinmetall vor rund einem Jahr angekündigt, Mitarbeitenden des Automobilzulieferers Continental den Wechsel erleichtern zu wollen. Bis zu 100 Conti-Beschäftigte sollten demnach vom Standort Gifhorn zu Rheinmetall in Unterlüß, nur rund 55 km von Gifhorn entfernt, wechseln. Doch knapp ein Jahr später wurden nach Angaben von Continental lediglich 34 Verträge unterschrieben. Mit wie vielen Mitarbeitenden es letztlich noch zu einer vertraglichen Einigung komme, lasse sich nur schwer abschätzen, heißt es auch bei Rheinmetall.

„Übertragung der Kompetenzen nur in Teilbereichen möglich“

„Ich bin mir der Bemühungen der Defence-Unternehmen bewusst und schätze diese Initiativen sehr, Arbeitskräfte aus der Automobilindustrie in die Rüstungsbranche zu integrieren“, sagt Eva Brückner, Beraterin und Geschäftsführerin der Personalberatung Heinrich & Coll in München. Seit vielen Jahren rekrutiert Brückner Fach- und Führungskräfte für Rüstungsunternehmen, muss sich selbst aber eines wachsenden Wettbewerbs erwehren. Denn auch die Headhunter-Branche wirbt immer offensiver um Rüstungskunden. Eva Brückner gibt zu bedenken: „Die Ergebnisse sind jedoch bislang aus meiner Erfahrung eher begrenzt, da eine vollständige Übertragung der Kompetenzen nur in bestimmten Teilbereichen möglich ist.“ Punktuell könne man Überschneidungen zwischen Automobil und Verteidigung nutzen, in der Produktion und Logistik etwa. „Andererseits ist es wichtig, die Erwartungen realistisch zu halten, da nicht alle Fähigkeiten und Erfahrungen in vollem Umfang genutzt werden können. Wir vermitteln mehr branchenfremde Mitarbeitende als früher, aber längst nicht so viele wie wünschenswert“, so Brückner.

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„Wir werden einen Caesar nicht auf die gleiche Weise herstellen wie einen Peugeot 308. Wir müssen uns ein sehr, sehr spezifisches Know-how aneignen, das ganz besondere Fähigkeiten erfordert. Und die sind auf dem Arbeitsmarkt rar“, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen Sprecher des Rüstungskonzerns KNDS, der aus einer Fusion des deutschen Panzerherstellers Krauss-Maffei Wegmann mit dem französischen Waffenhersteller Nexter hervorgegangen war. Der Caesar ist eine selbstfahrende, ungepanzerte Haubitze, die in Frankreich produziert wird. „Gleichzeitig müssen wir darauf achten, die Candidate Experience positiv zu halten, um auch einen langfristigen Transfer zu gewährleisten, und da gibt es bei den Unternehmen sicherlich noch Verbesserungspotenzial“, sagt Brückner. Für Unmut sorgen zum Beispiel die teils langwierigen Sicherheitsüberprüfungen, die Bewerbende über sich ergehen lassen müssen.

Neue Wege für Ingenieure: vom Flugtaxi- zum Drohnen-Start-up

Mittlerweile geht der Blick noch weiter über den Tellerrand. In den sozialen Medien werden Beschäftigte des insolventen Flugzeugbauers Lilium aus München umworben, zum Beispiel vom Drohnenproduzenten Quantum Systems. Tatsächlich haben nach Angaben in den sozialen Medien mehrere Ex-Lilium-Mitarbeitende den Weg zu Quantum Systems gefunden, zum Beispiel ein Prototyping-Ingenieur und ein Ingenieur für Automatisierungstechnik. Trotzdem steht für Hensoldt-Sprecher Lothar Belz fest: „Die Verteidigungsindustrie allein kann die Jobverluste in der Automobilindustrie sicher nicht ausgleichen.“

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