„Überlebenskampf der Radioastronomie“
Michael Kramer, geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in Bonn, erklärt, wie sich sein Wissenschaftsbereich in den letzten 50 Jahren entwickelt hat und wo dessen Zukunft liegt.

Foto: Norbert Junkes/MPIfR
VDI nachrichten: Herr Kramer, wie hat sich die Hauptaufgabe des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie seit der Gründung entwickelt? Was war sie früher, was ist sie heute? Oder ist sie gleich geblieben?
Michael Kramer: Die Grundfragen sind die gleichen, nämlich die Untersuchung der Vorgänge und Zustände im Universum und die astrophysikalischen und physikalischen Vorgänge an sich. Natürlich ändert sich mit dem Erkenntnisgewinn und den technischen Möglichkeiten auch, welche und wie die Fragen gestellt werden.
Zum Beispiel werden heute am Effelsberger Teleskop mindestens 60 % auf die Forschung von Fundamentalphysik und VLBI (very long baseline interferometry, eine Technik, die hochauflösende Bilder liefert, Anm. d. Red.) verwendet. Weiterhin gibt es auch Untersuchungen zur Astrochemie, zur Physik von Molekülen, von Sternen, des interstellaren Mediums wie auch von Magnetfeldern – wie am Anfang des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie.
Wir machen heute Dinge, die man sich am Anfang des Instituts einfach nicht hätte erträumen können. Hinzu kommt, dass wir mit unseren Instrumenten wie Apex, den Empfängern auf Sofia oder vor Kurzem mit Herschel und bald auch mit Meerkat die Wissenschaft mit dem Effelsberger 100-m-Teleskop ideal ergänzen. Wir sind also sicherlich vielseitiger geworden.
Ist das Max-Planck-Institut für Radioastronomie ohne das Effelsberger Teleskop denkbar? Falls ja, wie sähe eine Radioastronomie der Zukunft aus?
Im Prinzip natürlich ja, aber das hängt von dem Zeitpunkt und dem Ersatz ab. Das Teleskop ist immer noch ein Spitzeninstrument von Weltklasse. Nur die Stahlstruktur ist 50 Jahre alt, alles andere ist hochmodern und auf dem neuesten und besten Stand. Es zu ersetzen, wird schwer sein, da ein besseres Gerät schwer zu bauen ist.
Natürlich wird zum Beispiel das Square Kilometre Array (SKA) die zehn- bis 100-fache Empfindlichkeit von Effelsberg haben (das SKA besteht aus Tausenden von kleineren Radioantennen, die in Australien und Südafrika errichtet werden; zusammen bilden sie ein Radioteleskop, Anm. d. Red.). Aber das SKA ist auf der Südhalbkugel. Man sieht damit andere Himmelsregionen als mit Effelsberg; und weil man direkt Tausende von Schüsseln mit neuen Instrumenten ausrüsten müsste, ist man mit einem einzelnen Großteleskop wie Effelsberg weiterhin in der Lage, schnell innovative Technologie zu entwickeln und einzusetzen. Dieses darf dann auch im Vergleich pro Stück deutlich teurer (und damit meistens besser) werden, da man Einzelstücke anfertigen kann und keine Massenproduktion braucht. Man kann also Techniken ausprobieren, die man sonst nicht einsetzen kann oder würde.
Das bedeutet, dass Effelsberg auch weiterhin in der Zukunft konkurrenzfähig sein kann und wird. Ich sehe also für die nächste Zukunft keine Situation, wo Effelsberg ersetzbar wäre.
Wo liegen in Zukunft die Perspektiven der Radioastronomie und damit des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie – wissenschaftlich und technologisch?
Das ist vielleicht eine subjektive Ansicht, aber meiner Meinung nach sind die großen Fragen die der gesamten Astronomie und Physik: Was sind Dunkle Energie und Dunkle Materie? Was sind die Bedingungen für die Entwicklung und Existenz von Leben? Und was sind die fundamentalen Gesetze der Natur, zum Beispiel: Ist die Relativitätstheorie die richtige Theorie der Schwerkraft?
Für alle diese Fragen spielt die Radioastronomie eine wichtige und oft entscheidende Rolle, das heißt, sie gibt entweder in Wechselwirkung mit anderen Beobachtungen wichtige Hinweise, oder ist gar die einzige Methode, die Frage richtig zu beantworten.
Hinzu kommt die momentane Öffnung des Fensters der Gravitationswellenastronomie. Auch hier kann die Radioastronomie wichtige Beiträge liefern, denn nur sie ist über Pulsare (pulsating source of radio emission) in der Lage, die Signale von den schwersten Schwarzen Löchern im Zentrum von entfernten Galaxien zu empfangen.
Technologisch ist die große Perspektive die Fortsetzung der digitalen Revolution. Wir werden in naher Zukunft fast alles digital verarbeiten und im Wesentlichen jegliche analogen Teile aus unseren Empfangsketten verdrängen. Das erlaubt völlig neue Ansätze bei der Datenauswertung und -kombination.
Hinzu kommt unser wichtiger Kampf um die Erhaltung der Frequenzbänder. Beobachtungen werden immer schwieriger und die Welt herum „verschmutzt“ den Himmel so sehr, dass wir eine ähnliche Situation haben wie in der optischen Astronomie, wo junge Menschen, wenn sie in Städten leben, vielleicht noch nie die Milchstraße mit bloßen Augen gesehen haben. Dieser Kampf um die Frequenzbänder ist aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung fast nicht zu gewinnen, die Menschheit wird eines der wichtigsten Fenster zum Universum und der Natur auf Dauer wohl verlieren.
Wenn wir also unsere Beobachtungen in der Zukunft nicht von der Rückseite des Mondes machen wollen – teuer, aber der einzige „radiostille“ Ort im Sonnensystem –, dann müssen wir versuchen, mit immer besserer Technologie den Überlebenskampf der Radioastronomie zumindest teilweise zu gewinnen, um auch weiterhin faszinierende Tatsachen über das Universum zu lernen.