ENERGIEWIRTSCHAFT 05. Aug 2016 Stephan W. Eder Lesezeit: ca. 5 Minuten

Aschenputtel der Energiewende

Kohlekraftwerke machen den Ausbau der regenerativen Stromerzeugung erst möglich. Das scheint beim Ruf nach einem möglichst schnellen Ausstieg oft vergessen zu werden. Alfons Kather, Leiter des Instituts für Energietechnik der Technischen Universität Hamburg-Harburg, plädiert in diesem Beitrag dafür, die Rolle der Kohle als wichtige Brückentechnologie stärker zu beachten.

Alfons Kather mahnt, die Kohle im Strommix nicht schon abzumelden, bevor klar ist, wie ihre Aufgaben übernommen werden können.
Foto: Ralf-Uwe Limbach/FZ Jülich

Die Ausgangslage bei der deutschen Energiewende ist klar: Die Zunahme der Stromerzeugung aus regenerativen Energien erfolgt insbesondere durch Windenergie- und Photovoltaikanlagen. Da der Wind unterschiedlich stark weht und die Sonne unterschiedlich stark scheint, sind die Anlagen nur selten voll ausgelastet.

Alfons Kather

Leiter des Instituts für Energietechnik an der TU Hamburg-Harburg (TUHH).

Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Vereinigung der Großkraftwerksbetreiber (VBG).

Sprecher des Beirats der COORETEC-Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums. Sie soll Lösungswege für emissionsarme Kraftwerke aufzeigen und den entsprechenden Forschungsbedarf formulieren.

promovierter Maschinenbauingenieur und Verfahrenstechniker, TU Braunschweig.

Akkumuliert liefern Windenergieanlagen nur ca. 25 % der aufgrund ihrer installierten Leistung maximal möglichen Strommenge. Bei Photovoltaikanlagen ergeben sich in Deutschland sogar nur 900 Jahresvolllaststunden – das sind ca. 10 % des Jahres. In den übrigen Stunden des Jahres ersetzen unter anderem zuverlässige Kohlekraftwerke den nicht zur Verfügung stehenden Strom aus Wind und Sonne. Sie liefern zuverlässig einen großen Teil der sogenannten Residuallast, die sich aus der Differenz zwischen Stromnachfrage und regenerativer Stromerzeugung ergibt.

Die Kohlekraftwerke stehen die ganze Zeit bereit, um immer dann einzuspringen, wenn der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint, und sie ziehen sich zurück, das heißt sie reduzieren ihre Erzeugung, wenn Wind und Sonne zur Stromproduktion beitragen. Kohlekraftwerke leisten somit einen unverzichtbaren Anteil zur Sicherstellung unserer Stromversorgung.

Stigmatisierung: Anstatt diese besonderen Leistungen und ausgesprochen notwendigen Eigenschaften der mit fossilen Energieträgern betriebenen Kraftwerke lobend darzustellen, werden sie in den Medien stigmatisiert. In Radionachrichten und Presse werden sie oft als „dreckige Kohlekraftwerke“ und als „Steinzeittechnologie“ bezeichnet.

Zudem werden Kohlekraftwerke allzu häufig auch als überflüssig dargestellt. Dies birgt die Gefahr, dass ein Großteil der Bevölkerung dem Irrglauben aufsitzt, dass wir auf die fossilen Energieträger, allen voran auf die Kohle, heute schon verzichten könnten.

Man gewinnt den Eindruck, die Kohlekraftwerke seien derzeit das Aschenputtel der Energiewende. Sie müssen viel arbeiten und werden dafür schlecht behandelt und bezahlt.

Kohlekraftwerke erhalten für den durch sie erzeugten Strom heute ca. 3 Cent/kWh. Für Photovoltaikstrom aus kleineren Dachanlagen, die vor zehn Jahren gebaut wurden, gibt es mehr als 50 Cent/kWh – und dies garantiert auch noch die nächsten zehn Jahre. Selbst große Solar-Freiflächenanlagen aus dieser Zeit erhalten über 40 Cent/kWh.

Was statt Kohle? Eine Preisfrage. Wenn wir die Kohlekraftwerke abschaffen wollen, müssen wir erst eine andere Lösung für die Bereitstellung der Residuallast haben. Aus heutiger Sicht könnten Speicher eine Lösung sein.

Strom direkt zum Beispiel in Batterien zu speichern, ist derzeit keine realistische Option für die riesigen Strommengen, die wir als Residuallast zur Verfügung stellen müssen. Batterien können aber etwa im häuslichen Bereich in Verbindung mit einer Photovoltaikanlage sinnvoll eingesetzt werden.

Auch die Geothermie wird als Lösung für die Erbringung der Residuallast genannt, weil man damit angeblich die Hälfte des deutschen Stroms produzieren könne. Würde man einen sachkundigen Ingenieur dazu befragen, könnte der erklären, dass wir bei dieser Stromerzeugungstechnologie in Deutschland von 15 Anteilen der Wärme, die wir aus 5000 m Tiefe nach oben holen, 14 Anteile als Verluste ungenutzt an die Umgebung abgeben. Ob das eventuell auch zu einer Erwärmung der Atmosphäre führen könnte, wird nicht hinterfragt.

Eine Speicherung von Strom in der Menge, wie sie für die Abdeckung der Residuallast benötigt wird, ist nach derzeitigem Kenntnisstand nur über die Umwandlung des Stroms in ein Brenngas möglich, das gespeichert wird und zum Zeitpunkt der Leistungserbringung abgerufen werden kann. Power-to-Gas nennen sich diese Technologien.

Angenommen, man wolle diesen Weg konsequent verfolgen und zum Beispiel nur mit Windenergieanlagen ohne weitere fossile Kraftwerke die Stromversorgung sichern. Und weiter angenommen, man wolle einen 1000-MW-Kohlekraftwerksblock bei gleicher Versorgungssicherheit allein durch Windkraft und Power-to-Gas-Technologie ersetzen.

Dann benötigt man dafür zuerst die sechsfachen Investitionskosten für Windenergieanlagen mit einer kumulierten Leistung von ca. 6000 MW. Hinzu kommen die rund fünffachen Investitionskosten für die Elektrolyseanlagen mit einer Leistungsaufnahme von ca. 5000 MW, in denen der Überschussstrom aus den Windenergieanlagen in Wasserstoff umgewandelt wird.

Dann braucht es ausreichend große Speicher für den Wasserstoff, was etwa so viel wie ein Kohlekraftwerk kostet und zuzüglich in gleicher Größenordnung eine Anlage, mit der eine elektrische Leistung von 1000 MW aus dem gespeicherten Wasserstoff erzeugt werden kann.

Das Gesamtsystem wäre summa summarum ca. 13-mal so teuer wie ein Kohlekraftwerk, das die gleiche dauerhaft zur Verfügung stehende Leistung bereitstellen könnte. Diese Zahlen wurden im Rahmen eines noch laufenden Forschungsprojekts am Institut für Energietechnik der TU Hamburg-Harburg ermittelt.

Wenn man allein aus diesen notwendigen ca. 13-mal so hohen Investitionskosten wie für ein Kohlekraftwerk einen Preis für den so erzeugten Strom berechnet, ergibt sich ein Vielfaches jenes Preises, den Kohlekraftwerke heute für den von ihnen erzeugten Strom erhalten. Der Strompreis wäre für die Volkswirtschaft eines Industrielandes wie Deutschland untragbar hoch.

Wer soll das bezahlen? Gleichzeitig wird in der energiepolitischen Diskussion offengelassen, wer diese Investitionen vornehmen soll. Gemäß einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik (Iwes) sollen solche „Speicher“-Gas-Kraftwerke mit dem erzeugten Brennstoff knapp über 800 h im Jahr betrieben werden. Nur: Ein Betrieb mit lediglich wenigen Hundert Stunden im Jahr ist wirtschaftlich nicht darstellbar, da Personalkosten und Abschreibungen auf unverhältnismäßig wenige Betriebsstunden umgelegt werden müssen.

Hinzu kommt die Problematik eines vergleichsweise teuren Brennstoffs. Dies zeigt sich heute beispielsweise an den mit Erdgas betriebenen Kraftwerken in Deutschland: Obwohl sie die modernsten und effizientesten Anlagen der Welt sind, stehen viele von ihnen aus Kostengründen still.

Wo ist aber das Geschäftsmodell für solche Power-to-Gas-Kraftwerke, die zukünftig einen Brennstoff verwenden, der aufgrund der oben genannten notwendigen Investitionskosten um ein Vielfaches teurer ist als das heute schon teure Erdgas? Es ist nicht vorhanden, also wird niemand investieren – es sei denn, es gibt auch hierfür wieder langfristige Finanzierungsmodelle, mit denen der private Stromverbraucher in ähnlicher Weise wie mit der EEG-Zulage belastet wird.

Wer diese Zusammenhänge seriös zu Ende denkt, wird zu der Schlussfolgerung kommen, dass wir für den weiteren Ausbau der regenerativen Stromerzeugung in Deutschland auch zukünftig Kohlekraftwerke dringend benötigen. Wenn es nicht gelingt, die vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) ermittelte Stromspeicherkapazität von 83 TWh – von denen im Jahr 2012 nur ca. 0,05 % vorhanden waren – bereitzustellen, müsste auch im Jahr 2050 noch ein großer Teil des deutschen Stroms aus Kohle hergestellt werden. Wenn wir gar keine Speicher bauen würden, dann müssten 2050 noch rund 40 % des Stroms in fossil befeuerten Kraftwerken erzeugt werden.

Die Debatte um die Energiewende und das Erreichen der Klimaschutzziele wird in Deutschland derzeit oft ohne fachlichen Hintergrund und stattdessen auf einer hochgradig politisierten und gleichzeitig emotionalen Ebene geführt.

Eine vernünftige, sachliche und seriöse Diskussion um ein solch technisch dominiertes Thema muss jedoch anhand von Fakten geführt werden. Fakt ist: Ohne fossilbefeuerte Kraftwerke wird ein weiterer Ausbau der regenerativen Stromerzeugung – und damit die Fortführung der Energiewende – nicht möglich sein.

All denen, die die Energiewende mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung gleichsetzen, sei der aus dem Lateinischen übersetzte Spruch: „Was immer du tust, tue es klug und beachte das Ende“, in Erinnerung gerufen.

Durch eine träumerische Sicht auf die Zielvorgaben der Energiewende werden kluge Lösungen, die uns dorthin führen können, unterdrückt. Sie werden durch emotionale Lösungen ersetzt, die uns zu einem unberechenbaren Ende führen werden. Eines der wichtigsten Projekte dieses Jahrhunderts ist dadurch in Gefahr.

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