Massiver Ausbau des Ladenetzes in Europa gefordert
Für Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), ist ein Ladenetz-Ausbauplan Voraussetzung für neue EU-Flottengrenzwerte.

Foto: PantherMedia / Olivier Le Moa
Auf dem heute digital stattfindenden 22. Technischen Kongress des Verbands der Automobilindustrie (VDA) fordert VDA-Präsidentin Hildegard Müller einen massiven Ausbau des Ladenetzes in ganz Europa: „Wir setzen die Pariser Klimaziele um und sind bereits Europameister bei E-Mobilität.“ Die Autos kämen auf den Markt, jetzt müsse das Ladenetz ausgebaut werden. Sie drängt: „Wenn die EU-Kommission die CO2-Werte für den Fahrzeugbereich im Juni verändern will, muss sie zugleich einen detaillierten Ausbauplan für eine europaweite Ladeinfrastruktur vorlegen.“ Und es müsse Ökostrom im Ladenetz fließen, denn niemand wolle sein E-Auto mit Kohlestrom betanken. „Ein solcher EU-weiter Ladenetz-Ausbauplan wäre eine wichtige Voraussetzung, um die Flottengrenzwerte zu verändern.“
Der Status quo
Bislang verfügen von 27 EU-Staaten nur drei – Deutschland, die Niederlande und Frankreich – überhaupt über eine sich aufbauende Versorgung mit Ladepunkten und diskutieren über den notwendigen Ausbau: Auf sie entfallen 82 % der Ladepunkte in der gesamten EU. Hildegard Müller: „Und selbst in diesen Ländern besteht noch Aufholbedarf.“ Für sie ist klar: „Im Einklang mit den Pariser Klimazielen wollen wir klimaneutrale Mobilität bis spätestens 2050. Das ist ambitioniert, aber machbar, wenn es die richtigen Rahmenbedingungen gibt.“ Die VDA-Präsidentin wies darauf hin, dass die deutschen Konzernmarken ihr Modellangebot an E-Autos verdoppeln werden – von derzeit 70 auf 150 bis Ende 2023: „Für die Käufer muss auch von vorneherein klar sein, dass sie ihr E-Fahrzeug schnell und CO2-frei laden können, in Deutschland und in ganz Europa.“
Technologieoffenheit gefordert
Müller sprach sich erneut auch für Technologieoffenheit aus. Benötigt würden alle Optionen, auch Wasserstoff und klimaneutrale synthetische Kraftstoffe (E-Fuels): „Unsere Forderung ist daher, Klimaschutz und Industriepolitik zusammenzudenken. Nur so schützen wir das Klima, machen Europa zukunftsfähig, sichern Wohlstand und liefern Innovation.“
Der Kongress und seine Teilnehmer
Der Technische Kongress des VDA ist Europas wichtigster Branchentreff, der coronabedingt in diesem Jahr digital durchgeführt wird. Er steht unter dem Motto „Mit Technologie und Innovation zur Klimaneutralität“. Zu den Rednern und Panel-Teilnehmern zählen in diesem Jahr – neben Vertretern der Automobil- und Chemieindustrie sowie der IT-Branche – Thierry Breton, EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, die Parlamentarischen Staatssekretäre Thomas Bareiß (BMWi) und Florian Pronold (BMU), Cem Özdemir, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur, und Kai Bliesener, Branchenkoordinator Automobil- und Zulieferindustrie im IG-Metall-Vorstand.
Kernaussagen der Teilnehmer
Nikolai Setzer, Vorstandsvorsitzender der Continental AG, will das weltweite Geschäft seines Konzern für emissionsfreie Autos, Busse, Züge und andere Fahrzeuge bis 2022 klimaneutral stellen. „Das Programm umfasst sowohl unsere eigene Produktion als auch ganz bewusst ihre Vorstufen und die Verwertung zum Nutzungsende.“
Bei Daimler steht die Reduktion der CO2-Emissionen ganz oben auf der Prioritätenliste. Markus Schäfer, Mitglied des Vorstands der Daimler AG und Mercedes-Benz AG und verantwortlich für die Daimler Konzernforschung: „Wir bekennen uns uneingeschränkt zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens und planen, die gesamte Mercedes-Benz-Pkw-Neuwagenflotte bis 2039 CO2-neutral zu machen. Dazu elektrifizieren wir das gesamte Mercedes-Portfolio.“ Der Konzern will nicht nur die Produkte dekarbonisieren, sondern auch deren Produktion. „Ab 2022 wird unsere weltweite Pkw- und Transporterproduktion klimaneutral sein.“
Cem Özdemir ist sich der Schwere der zu stemmenden Aufgaben bewusst: „Die Umstellung auf emissionsfreie Mobilität und Digitalisierung ist eine Megaaufgabe. Die Zeit drängt, und der internationale Wettbewerb wartet nicht.“ Daher fordert er eine stärkere Orientierung seitens der Politik. Statt einzelner Autogipfel ist laut Özdemir ein strategischer Dialog im Bund nötig, der offen und ehrlich ausspricht, dass der fossile Verbrenner ein Enddatum hat, und der dann aber auch verlässlich dafür eintritt, die Transformation für die Menschen, die Unternehmen und das Klima zum Erfolg zu machen.
Für Wolf-Henning Scheider, Vorsitzender des Vorstands der ZF Friedrichshafen AG, beschränkt sich der Wandel nicht nur auf die Antriebe. „Software, High-Performance-Computing und Automatisierung bieten vielfältige Chancen.“ Jedoch fordert er auch die nötige Zeit für die Gestaltung dieses fundamentalen Wandels. Klimapolitik und unsere Industrie seien zu wichtig, um diese Transformation scheitern zu lassen.
Dass Deutschland coronabedingt sein Klimaziel 2020 geschafft hat, ist für Florian Pronold, MdB, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, kein Grund, sich auszuruhen: „Jetzt kommt es darauf an, die Emissionsminderungen in eine Post-Corona-Zeit mitzunehmen, z. B. durch mehr Videokonferenzen statt Dienstreisen und einen noch engagierteren Umstieg auf E-Mobilität.“
VDA-Geschäftsführer Joachim Damasky legt den Finger in eine Wunde: „Autos entwickeln sich immer mehr in Richtung rollende Computer.“ Daher wachse auch hier die Gefahr von Cyberkriminalität und Hackerangriffen. Cybersicherheit werde deshalb wird immer wichtiger. „Die Politik muss daher flexibel reagieren, stetig Anpassungen vornehmen, die ausgewogen zwischen Empfehlungen der Wirtschaft und Gesetzgebung stehen.“