Unfallforschung 27. Feb 2015 Hans W. Mayer Lesezeit: ca. 4 Minuten

Beton oder Stahl? Glaubenskrieg um die Verkehrssicherheit von Schutzplanken

Anprall: Ein Lkw wird mit 70 km/h gegen eine Schutzplanke gecrasht. Von der Auswertung der Videobilder hängt die Zertifizierung ab.
Foto: Dekra

Ein kalter Nordwind pfeift an diesem Winternachmittag über die Landebahn des ehemaligen Bundeswehr-Fliegerhorstes im schleswig-holsteinischen Eggebek. Doch das kann die Unfallforscher nicht abhalten.

Kontrollierte Crashs für die Sicherheit

Schon kurz nach Gründung der Dekra-Unfallforschung 1978 führte die Sachverständigenorganisation erste Crashtests zur Rekonstruktion und Auswertung von Verkehrsunfällen durch.

1991 wurde das Dekra Crash Test Center in Neumünster eröffnet. Hier ist es den Technikern u. a. möglich, das Versuchsfahrzeug vor und nach dem Versuch mit einem Faro-Messarm dreidimensional zu vermessen.

Anprallversuche zur Zertifizierung von Schutzplanken finden seit 2002 auf einem angemieteten Areal in Eggebek statt. Insgesamt sind in diesem Dekra-Geschäftsbereich 22 Mitarbeiter, darunter zahlreiche Ingenieure, tätig. Bis heute habe sie rund 2600 Crashtests durchgeführt.Mehr zur Dekra-Anlage und -Unfallforschung:

http://www.dekra.

Am südlichen Ende der Anlage sind seit den frühen Morgenstunden Marcus Gärtner, Versuchsingenieur des Dekra-Crashtest-Zentrums, und sein Team mit letzten Vorbereitungen für einen Crashtest beschäftigt, der auch für sie nicht alltäglich ist: Ein 10 t schwerer Iveco-Lkw vom Typ Euro Cargo wird mit 70 km/h im Winkel von 15 Grad in die eigens hierfür auf installierte, insgesamt mehr als 90 m lange Schutzeinrichtung prallen. Sie besteht aus 52 m Stahlschutzplanken, einer 17,6 m langen Übergangskonstruktion und der sich anschließenden 20,9 m langen Betonschutzwand in Ortbetonbauweise. Beton also, der erst auf der Baustelle verarbeitet wird und dort abbindet.

Zweck des Versuchs: Das Kölner Ingenieurbüro Linetech GmbH, Spezialist für Schutzeinrichtungen aus Beton, benötigt für eine von ihm entwickelte Übergangskonstruktion zwischen Stahlschutzplanken und Betonschutzwänden ein Prüfgutachten für deren Zulassung durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt).

Kurz nach 16 Uhr ist es endlich so weit, die Forscher lassen es „krachen“: Der führerlose Zehntonner wird präzise an der weißen Fahrbahnmarkierung entlang geleitet. Dann wird er von einem zweiten Lkw per Schubstange auf seine Sollgeschwindigkeit beschleunigt. Dirigiert wird das Versuchsfahrzeug von einer Optischen Fahrzeugführung (OFF), bei der eine Kamera die Querabweichung von der Fahrbahnmarkierung detektiert und über eine Lenkungshydraulik korrigiert.

Nach Erreichen der 70-km/h- Marke klinkt die Schubstange planmäßig aus. Exakt im 15-Grad-Winkel kracht der Lkw in das Verbindungselement. Anschließend schlittert er etliche Meter an der Betonschutzwand entlang und bleibt an deren Ende, vom elektronischen Bremsautomaten gestoppt, schwer beschädigt liegen.

Sehr zur Freude der fachkundigen Zuschauer. Positives Ergebnis Nummer eins: Die Konstruktion hat gehalten, ihre Tauglichkeit bewiesen. Positives Ergebnis Nummer zwei: Der Fahrer hätte unverletzt durch die intakte Fahrertür aussteigen können. Linetech-Geschäftsführer Ulrich Sasse reckt den Daumen hoch und strahlt. „Ein Bilderbuchergebnis!“

Die Diskussion um die Sicherheit von „Fahrzeugrückhaltesystemen an Straßen“, so die amtsdeutsche Bezeichnung für Schutzplanken und -wände aus Stahl oder Beton, war kurz vor dem Jahreswechsel durch den verheerenden Busunfall auf der A 4 bei Bad Hersfeld erneut angeheizt worden: Ein Pkw war gegen einen Reisebus geprallt, woraufhin dieser ins Schleudern geriet, die Schutzplanke durchbrach und eine Böschung hinunterstürzte. Vier der 45 Insassen starben noch an der Unfallstelle, die restlichen erlitten teils schwere Verletzungen.

Die schaurigen Bilder weckten Erinnerungen an ein noch viel folgenschwereres Busunglück vom Juli 2014. Bei jenem Horrorunfall war ebenfalls auf der A 4, aber bei Dresden, ein polnischer Doppeldeckerbus einem ukrainischen Bus ins Heck gekracht, hatte die stählerne Schutzplanke im Mittelstreifen durchbrochen und auf der Gegenfahrbahn einen Kleinbus gerammt. Die schreckliche Bilanz: elf Tote und 69 Verletzte.

An der Dresdner Unfallstelle war damals eine sogenannte „Einfache Distanzschutzplanke“ verbaut, die nach der EU-weit geltenden Norm DIN EN 1317 lediglich die Aufhaltestufe H-1 (Lkw mit 10 t, 70 km/h, Aufprallwinkel 15 Grad) erfüllte. Dem schweren Bus war sie nicht gewachsen. „Das Verletzungsrisiko der Fahrzeuginsassen hängt vom Typ des anprallenden Fahrzeugs, seiner Geschwindigkeit und dem Anprallwinkel ab“, erklärt Markus Egelhaaf, Projektmanager bei der Dekra, die seit 2002 über 130 Crashtests an solchen Schutzeinrichtungen durchgeführt hat.

Geprüft wird dabei nach zahlreichen Kriterien. Allein für die Anprallprüfung existieren elf Prüftypen, von TB 11 (Pkw, 900 kg Masse bei 100 km/h) bis TB 81 (Sattelzug, 38 t bei 65 km/h). Je nach Aufhaltestufe sind Aufprallwinkel von 8 Grad, 15 Grad oder 20 Grad vorgeschrieben. Bisher sind Schutzplanken aus Beton auf den deutschen Fernstraßen eher die Ausnahme. Rund 20 % der Schutzeinrichtungen im rund 12 500 km langen deutschen Autobahnnetz besteht aus Beton. Bei Ersatz- und Neuinstallationen werden zunehmend Betonfertigteile oder eben Ortbetonschutzwände eingesetzt.

Die Frage „Beton oder Stahl?“ hat zu einer Art Glaubenskrieg zwischen den jeweiligen Anbietern geführt, in dem beide Seiten nicht immer objektiv die spezifischen material- und konstruktionsbedingten Vor- und Nachteile ihrer Produkte und deren Sicherheitspotenzial ins Feld führen. „Schutzeinrichtungen aus Stahl bieten dank ihrer Nachgiebigkeit Vorteile insbesondere beim Insassenschutz“, sagt Volker Goergen, Geschäftsführer der Gütegemeinschaft Stahlschutzplanken in Siegen. „Weitere positive Aspekte sind ihre Wartungsfreiheit und Recyclingfähigkeit, ebenso wie die rasche und kostengünstige Reparatur nach Unfällen“, argumentiert er. „Außerdem zeichnen sie sich durch geringe Anschaffungs- und Reparaturkosten aus.“

Das sieht Karsten Rendchen, Geschäftsführer der Gütegemeinschaft Betonschutzwand und Gleitformbau in Willich, erwartungsgemäß anders: „Für Betonschutzwände werden lediglich wenige Komponenten wie Beton, Bewehrungsstahl und eventuell Verbindungselemente benötigt“, betont Rendchen. Bei anderen Schutzeinrichtungen bräuchte man dazu „bis zu 37 Einzelteile pro laufendem Meter“, sagt der Vertreter der „Betonfraktion“. Und ergänzt: „Bezüglich der Durchbruchsicherheit besitzen Betonschutzwände deutlich höhere Leistungsreserven und halten aufgrund ihrer Masse selbst bei Rissbildung oder punktuell korrodierter Bewehrung noch einem Anprall schwerer Fahrzeuge stand.“ Wegen ihrer „einfachen Konstruktion“ könnten sie zudem „kostengünstig produziert und nach Unfallschäden rasch und unkompliziert ersetzt werden.“

Ein eindeutiges Pro oder Contra in dieser Frage ist auch aus Sicht des Unfallforschers nicht möglich. „Häufig wird angenommen, Betonschutzplanken könnten schwere Nutzfahrzeuge besser aufhalten, aber auch Stahlplanken mit erhöhter Aufhaltestufe haben diesbezüglich ihre Wirksamkeit bewiesen“, sagt Jörg Ahlgrimm, Leiter der Unfallanalyse bei Dekra. „Stahlplanken nehmen beim Anprall mehr Energie auf, was dem Insassenschutz von Pkw-Insassen zugutekommt, aber es gibt inzwischen auch Betonschutzsysteme gleicher Aufhaltestufe mit ähnlich geringer Insassenbelastung.“

Vorteile für die nichtmetallische Lösung sieht der Experte in der Kostenfrage, weil Betonplanken beim Anprall eines Pkw weniger beschädigt würden. „Ein genereller Schwachpunkt beider Systeme ist die Gestaltung von Beginn und Ende der Schutzvorrichtung“, so Ahlgrimm. „Hier können Abschrägungen zum Aufgleiten eines Fahrzeugs und damit zu unkontrollierten Abläufen führen“. Zwar gebe es für gefährdete Bereiche risikomindernde Anpralldämpfer, „aber die werden zu selten eingebaut“, moniert der Experte.

Fazit: Schutzplanken, egal ob aus Stahl oder Beton, können ein Abkommen von der Fahrbahn meist verhindern, aber eben nicht immer. Die flächendeckende Installation von Schutzeinrichtungen der höchstmöglichen Aufhaltestufe (38-t-Sattelzug) wäre unter Verkehrssicherheitsaspekten sicher zu begrüßen, scheitert jedoch oft an fehlenden finanziellen Mitteln.

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