EU Chips Act: Europäische Chips für europäische Produkte
Heute schlug die EU-Kommission ein Chip-Gesetz vor. Der wie sein US-amerikanisches Vorbild „Chips Act“ genannte Entwurf soll die derzeitige Halbleiterknappheit grundlegend angehen und „Europas technologische Führungsrolle stärken“, so die Kommission. Dank der Lieferengpässe wird die Halbleiterbranche endlich als strategisches Schwergewicht erkannt.

Die Halbleiterfertigung zählt zu den Vorreitern einer vernetzten Produktion. Deshalb spielt bei der Herstellung der Chips im künftigen Werk künstliche Intelligenz eine besondere Rolle: Die hochautomatisierten Fertigungsanlagen analysieren ihre Prozessdaten selbst, um ihre Abläufe zu optimieren. Damit erhöht sich die Qualität der Chips bei sinkenden Fertigungskosten.
Foto: Bosch
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte bereits Mitte September avisiert, ein europäisches Wirtschaftssystem für Mikrochips aufzubauen. Europa soll, so von der Leyen auf Twitter, zu „einem Führer auf dem Chipmarkt“ werden. Hintergrund ist der länger anhaltende Mangel an Halbleitern vor allem für die Leitindustrie des Automobilbaus. Heute Morgen endlich legte die EU-Kommission einen ersten Entwurf eines „Chips Act“ vor, wie auch schon sein US-amerikanisches Vorbild heißt. 15 Mrd. € zusätzlich will die EU in öffentliche und private Investitionen stecken.
„Wir haben uns zum Ziel gesetzt, 2030 einen Anteil von 20 % am Weltmarkt für die Chipproduktion zu erreichen“, so von der Leyen heute. Derzeit ist es noch nicht einmal die Hälfte. Bis 2030 aber sollen sich die Weltmärkte verdoppeln, wie das EU-Papier in seiner Marktbetrachtung ausweist. Hinzu kommen 30 Mrd. €, die bereits in den verschiedenen EU-Programmen wie der Forschungsförderung Horizon oder in nationalen Vorhaben stecken.
Ziel des EU Chips Act: Im Halbleitersektor auf Augenhöhe mit China
Achim Berg, Präsident des deutschen ITK-Branchenverbands Bitkom, begrüßte die „zügige Ausarbeitung des Verordnungsentwurfs“. Berg betonte: „Das Tempo europäischer Strategieinitiativen ist entscheidend für den erfolgreichen Ausbau der digitalen Infrastruktur, wobei die Anforderungen an Rechenleistung, Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit überproportional ansteigen.“ Es müsse für Europa und Deutschland darum gehen, „im Wettbewerb um Technologien und Innovationen auf Augenhöhe mit globalen Vorreitern wie den USA und Asien zu gelangen“, und zwar als „starker, selbstbewusster, digital souveräner Player“.
Elektronik, Chips & Co. – Wegbereiter der Digitalisierung
Für den Ausbau der Halbleiterproduktion in Europa sieht der EU Chips Act die Anpassung der staatlichen Beihilferegeln für die öffentliche Förderung europäischer sogenannter „first of a kind“-Fabriken vor. Das, so Berg, sei die Grundlage, um im internationalen Wettbewerb attraktive Rahmenbedingungen für die Ansiedlung solcher Fabriken und Technologieökosysteme zu realisieren, insbesondere für innovative Halbleitertechnologien. Üppige Fördergelder also, die die EU und Einzelstaaten ausschütten dürfen. Aber nicht für irgendwelche Produktionsanlagen, nein, es sollen Technologievorreiter sein – und die EU-Kommission sowie die Regierungen dürfen für das viele Geld künftig die Zulieferketten überwachen.
Üppige Förderung für die Halbleiterbranche weltweit
Die EU macht nur nach, was andernorts längst gang und gäbe ist. Der Entwurf der Kommission nimmt die derzeitige globale Lage unter die Lupe: „Der Vorschlag für ein US-amerikanisches Chip-Gesetz sieht eine Zuweisung von 52 Mrd. $ für die Fertigung und FuE bis 2026 vor.“ China forciere seine Bemühungen zur Schließung seiner technologischen Lücke und wird Schätzungen zufolge bis 2025 „in den letzten zehn Jahren rund 150 Mrd. $ investiert haben“. Japan habe jüngst 8 Mrd. $ für inländische Investitionen in Halbleiter angekündigt, Südkorea will seiner Halbleiterindustrie bis 2030 über „steuerliche Anreize“ rund 450 Mrd. $ spendieren.
Die Verwerfung beim Anfahren der globalen Konjunktur aus der Corona-Wirtschaftskrise hat die Verwerfungen und Abhängigkeiten in der globalen Halbleiterbranche den politisch Verantwortlichen plastisch vor Augen geführt. Es gelte, so die EU-Kommission, über den Chips Act „die Versorgungssicherheit in der globalen Industriekette zu gewährleisten“.
Globaler Halbleitermarkt soll 2030 rund 1 Billion € umfassen
Letztes Jahr setzte die Welthalbleiterbranche rund 550 Mrd. $ um, 2030 soll es 1 Billion $ sein. „Der Großteil der weltweiten Nachfrage entfällt heute auf Endanwendungen in der Datenverarbeitung, einschließlich PCs und Rechenzentreninfrastruktur (32 %), Kommunikation einschließlich Mobiltelefone und Netzinfrastruktur (31 %) und Unterhaltungselektronik (12 %). Europas Stärke und speziell auch die Deutschlands ist aber der Zielmarkt der Analog- und Maschinentechnik. Der umfasste 2021 zwar nur 12 % des Halbleitersektors, aber diese Segmente „weisen eine hohe Wachstumsrate auf“, so die EU-Kommission.
Abwärtsspirale bei den Strukturen auf Chips
Genau hier legte der Maschinenbauverband VDMA den Finger in die Wunde. Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann betonte, die EU müsse die Mittel „strategisch klug“ einsetzen, um bei den entscheidenden Technologien Marktanteile auszubauen. „Die Bedarfe des Maschinenbaus müssen hierbei berücksichtigt werden: Diese liegen bei Chips in der Größenordnung >16 nm, was sich bis Ende 2030 nicht grundlegend ändern wird.“ Daher, so Wolfgang Weber, Chef der Geschäftsführung des Digital- und Elektronikindustrieverband ZVEI, sei der Fokus „auf Strukturgrößen unter 10 nm zu eng gewählt und geht am Bedarf der europäischen Abnehmerindustrie vorbei“. Europa müsse seine Kompetenz in allen Strukturgrößen stärken. „So sind auch Leistungselektronik und Sensorik entscheidend für das Gelingen der grünen und digitalen Transformation.“
Getrieben wird der Halbleitermarkt in diesem Jahrzehnt vor allem durch das stetig weiter steigende Datenvolumen, die Integration der immer weiter wachsenden Rechenleistung, KI und die allgegenwärtigen Internetanbindungen. Hierzu gehört vor allem im Industriesektor durch die Transformation hin zu einer voll durchdigitalisierten Industrie 4.0 auch das Edge-Computing, also die Computerleistung nahe zur Edge, zur Anwendung vor Ort zu bringen, statt wie bisher irgendwo in der Cloud zu rechnen.