Aquifere könnten Deutschlands Problem bei saisonalen Wärmespeichern lösen
In wassergesättigten Grundwasserleitern, den Aquiferen, ließe sich Wärme sehr gut saisonal speichern. Die Technik ist erprobt, ihre Umsetzung in Deutschland scheitert bisher dennoch.

Foto: picture alliance / Ulrich Baumgarten
Deutschlands Energiewende krankt an mehreren Stellen, doch derzeit ist einer der größten Webfehler im Konzept der Mangel an Speichern. Nicht nur im Strom-, sondern auch im um einiges größeren Wärmemarkt. „Wir haben eigentlich kein Energieproblem, sondern ein Speicherproblem“, erklärt Philipp Blum, Professor für Ingenieurgeologie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), mit Blick auf die Wärme- und Kälteversorgung des Gebäudesektors. „Wenn wir die Hitze vom Sommer in den Winter bringen und die Kälte vom Winter in den Sommer, dann haben wir eigentlich die perfekte Lösung“, sagt der Geologe mit Blick auf sogenannte Aquifer-Wärmespeicher. Als Aquifere bezeichnet man Grundwasserleiter.
Auf der Jahrestagung der Europäischen Geowissenschaftler in Wien war dieses Thema – im Englischen: ATES (aquifer thermal energy storage) – einer der Schwerpunkte. Dort wurde deutlich, dass die Erfahrungen in Europa sehr unterschiedlich sind. Während in den Niederlanden rund 3000 solcher Grundwasser-Speichersysteme betrieben werden und vom Gewächshaus bis zum Uni-Campus unterschiedlichste Immobilien versorgen, sind in Deutschland gerade einmal zwei Anlagen in Dauerbetrieb. Eine dritte absolviert gerade in Berlin ihr erstes Betriebsjahr.
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Vor allem in Norddeutschland ließen sich Aquifere als Wärmespeicher nutzen
„Wir fragen uns immer, warum sich die Aquiferspeicher in Deutschland nicht durchgesetzt haben“, so Blum. Hydrogeologisch geeignet wären rund 54 % des deutschen Territoriums, das haben er und seine Mitarbeiter in einer Studie bereits ermittelt. Gerade im Norden des Landes und in weiten Teilen der Niederrheinischen Bucht sind die Voraussetzungen gut bis sehr gut. Genutzt werden sie bis dato nicht, und es ist auch kein Boom in Sicht.
Bei ATES nehmen Grundwasserleiter im Sommer überschüssige Abwärme von Klimaanlagen oder anderen Aggregaten auf und speichern sie. Bei den in den Niederlanden weit verbreiteten Systemen wird nur 20 °C oder 25 °C warmes Wasser in den Aquifer gepumpt, daher spricht man von Niedrigtemperaturspeichern. Das so erwärmte Grundwasser wird in der kühlen Jahreszeit hochgeholt und über Wärmetauscher als Energiequelle für die Heizung genutzt. Danach wird es abgekühlt zurück in den Untergrund geleitet. Dieser Kreislauf kann durch einen zweiten ergänzt werden, wenn das Gebäude im Sommer gekühlt werden muss. Das von Natur aus im Mittel rund 10 °C kalte Grundwasser kann im Sommer eben auch den Kühlkreislauf speisen und bei idealer Auslegung eine Kompressionskältemaschine überflüssig machen.
In Aquiferen kann Wasser seine Stärke als Wärmespeicher ausspielen
„Wasser ist einfach ein gutes Speichermedium“, meint Blum, der seit vielen Jahren versucht, deutsche Institutionen und Behörden von dem Konzept zu überzeugen: „Auch bei uns am KIT. Aber Wasser, das man zum Heizen und Kühlen verwenden kann, das ist oft nicht in den Köpfen drin.“ Auch bei der Stadt Karlsruhe stößt das Konzept weitgehend auf taube Ohren. „In Deutschland gibt es strenge Vorschriften zum Schutz des Grundwassers, nicht nur in Trinkwasserschutzzonen, sondern auch für das allgemeine Grundwasser“, betont Ingrid Stober, Professorin für Hydrogeologie an der Universität Freiburg.
Wasserschutz und Energiewende konkurrieren bei der Aquifernutzung miteinander

Diese Regelungen sind auf Bundesebene im Wasserhaushaltsgesetz und in der Grundwasserverordnung niedergelegt und werden auf Landesebene durch jeweils eigene Wasserschutzgesetze ergänzt. „Die unteren Wasserbehörden in den Kommunen haben als Genehmigungsbehörden nur diese Regeln und sind völlig allein“, so Stober. Aus Sicht der Hydrogeologin ist es dieser hohe Anspruch, gepaart mit chronischer Unterbesetzung, der auf Behördenseite im Weg steht. Hinzu kommen noch weitverbreitete Unkenntnis über das Konzept und eben mangelnde Erfahrungen mit dem Bau und Betrieb solcher Anlagen auf Anwenderseite. In der Folge werden Grundwasserspeicher kaum in Erwägung gezogen.
Wenn ein Vorhaben konkretisiert wird, kommen alle Hindernisse zum Wirken. „Man muss sehr viele Kompromisse schließen“, drückt es Alexandra Mauerberger vom Europäischen Institut für Energieforschung in Karlsruhe (EIfER) diplomatisch aus. Die Geologin begleitet die im Hochlauf befindliche Berliner Anlage und überwacht dort die Vorgänge im Untergrund. Das Projekt verdeutlicht exemplarisch die Vorteile des Konzepts – und eben auch die Komplikationen, mit denen man es in Deutschland zu tun bekommt. In Berlin wird ein energetisch grundsanierter Gebäudekomplex mit Büro- und Hotelnutzung durch einen Niedrigtemperatur-Aquiferwärmespeicher in den oberen Bodenschichten versorgt.
Die Nutzung von Aquiferen als Wärmereservoir lässt sich räumlich gezielt eingrenzen
Das Grundstück im dicht bebauten Stadtzentrum ist klein, der für die Pumpanlage zur Verfügung stehende Innenhof misst gerade einmal 200 m2. Dennoch ist auf einer solch geringen Grundfläche die Wärmespeicherung und -entnahme möglich, ohne dass die Anlage den Untergrund jenseits der Grundstücksgrenzen unzumutbar beeinflusst. Möglich wurde dies durch einen der Kompromisse, auf die Mauerberger anspielt. Statt zweier Bohrungen in den Grundwasserleiter für Einspeicherung und Entnahme gibt es eine Bohrung. Über sie wird Wasser in unterschiedlichen Tiefen entnommen und wieder eingespeist. Die Effizienz dieses Konzepts ist geringer als bei horizontal getrennten Bohrungen. Die Wärmeblase, die entsteht, reicht aber nicht über die Grundstücksgrenze hinaus.
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Konzepte wie dieses sind für Innenstädte attraktiv, zumindest wenn die hydrogeologischen Voraussetzungen im Untergrund bestehen. Die wichtigste ist wohl eine möglichst niedrige Fließgeschwindigkeit des Grundwassers, damit die eingespeiste Wärme auch nach Monaten noch vor Ort ist und sich nicht stromabwärts verteilt hat. Solche Bedingungen herrschen in Deutschland im Norddeutschen Tiefland und in weiten Teilen der Niederrheinischen Bucht.
Aquifere als Wärmespeicher brauchen Gebäude, die auch Wärme einspeisen können
Für eine effiziente Anlage müssen auf Abnehmerseite bestimmte Bedingungen erfüllt sein. So muss das Gebäude Energie nicht nur verbrauchen, sondern auch erzeugen, entweder als Abwärme oder mithilfe solarthermischer Kollektoren. Zudem sollte es Bedarf an Wärme und Kälte haben, um den Kreislauf über das gesamte Jahr hinweg zu nutzen. „Von der ökonomischen Seite ist die Kühlleistung sogar das Wichtigste. Wenn ich hier einen hohen Bedarf habe, lohnt sich ein Aquiferspeicher auf jeden Fall“, betont Matthias Herrmann vom KIT, der Kosten-Nutzen-Rechnungen für solche Speicherlösungen durchgeführt hat.
Danach sind größere Anlagen mit mindestens 1 MW thermischer Leistung für Heizung und ebenso viel für Kühlung am besten geeignet, weil dann die Kosten pro Kilowatt Speicherleistung bei rund 300 € liegen. Das wären größere Bürokomplexe oder zum Beispiel Krankenhäuser, weil dort besonders viel Kühlleistung nachgefragt wird und sehr viel Abwärme entsteht.
Was braucht es, damit Aquifere in Deutschland mehr genutzt werden
Die Frage, die die Geowissenschaftler umtreibt, ist: Wie bringt man hierzulande den Stein ins Rollen, damit solche Speicher häufiger eingesetzt werden? „Eigentlich brauchen wir Demonstrationsprojekte, mit denen man zeigen kann, wie es funktioniert“, sagt Philipp Blum. Ingrid Stober plädiert für Handreichungen oder Leitfäden sowohl für potenzielle Betreiber als auch für Genehmigungsbehörden: „Gepaart mit einer Regionalkartierung, die zeigt, wo es Sinn macht, könnte das die Akzeptanz auf Genehmigungsseite erhöhen.“ Oder, so ihr Alternativvorschlag, Grundwasserleiter in größerer Tiefe von einigen Hundert Metern nutzen, bei denen die Anforderungen aus dem Grundwasserschutz nicht mehr so hoch sind. „Da kann ich dann auch Temperaturen von 80 °C einlagern und habe eine höhere Energieausbeute“, so die Geologin.