Beschuss von Atomkraftwerken: „extrem besorgniserregende Lage“
Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, der Argentinier Rafael Grossi, ist wegen des Krieges in der Ukraine „extrem besorgt“. Aufgrund des Beschusses des Kernkraftwerks Saporischschja will er selbst in der Ukraine vor Ort mit Vertretern der Ukraine und Russlands ein Abkommen über einen sicheren Reaktorbetrieb der ukrainischen Anlagen verhandeln.

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Eine halbe Stunde, mehr nicht, gönnte Rafael Grossi, Generaldirektor der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), heute Vormittag der internationalen Presse. In der Nacht vom 3. März auf den 4. März 2022 war das Kernkraftwerk (KKW) Saporischschja in der Ukraine beschossen worden. Der Argentinier Grossi stellte erst einmal klar, dass alle sechs Reaktoren des größten europäischen Reaktorkomplexes intakt seien und unbeschädigt. „Es wurde kein radioaktives Material freigesetzt“, sagte er. Auch die Messgeräte zur Strahlungsüberwachung seien intakt. Hingegen sei ein Schulungsgebäude von einem „Projektil“ getroffen worden, wie Grossi anhand eines Schaubildes erklärte.
Die Lage in der Ukraine ist laut Grossi wie folgt: Die russischen Truppen kontrollierten den Zugang zu den Geländen sowohl im KKW Tschernobyl als auch in Saporischschja. Die rein ukrainische Belegschaft betrieben dort die Reaktoren. Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) erklärte gegenüber der dpa, das KKW Saporischschja werde „entsprechend den Betriebsvorschriften durch die Betriebsmannschaft betrieben“.
Atomenergiebehörde IAEA: „Bisher nie da gewesene Lage“
„Wir müssen wissen, das ist eine bisher nicht da gewesene Situation“, betonte Grossi. Üblicherweise ziehe man in diplomatischen Kreisen aus der Vergangenheit bekannte Situationen heran, um eine Krisenlage zu lösen, so der gelernte Diplomat, aber: „Wir befinden uns unglücklicherweise in völlig unbefahrenen Gewässern“, sagte er. Er sei daher „extrem besorgt“, weil diese Lages etwas „sehr, sehr Fragiles“ sei, es sei eine sehr instabile Lage.
Der Ernst der Lage treibt Grossi nun dazu, selbst in die Krisenregion zu reisen. Vor Ort, in Tschernobyl, will er höchstselbst als Schirmherr mit Vertretern der Ukraine und Russlands ein Abkommen über einen sicheren Reaktorbetrieb der ukrainischen Anlagen verhandeln. Es müsse einen Katalog von Sicherheitsgarantien geben, auf den sich beide Seiten einigten.
Ukraine hat die IAEA um Hilfe gebeten
Hintergrund für Grossis Initiative ist ,dass sich die ukrainische Nuklearaufsichtsbehörde Energoatom gleich zweimal an die IAEA gewandt hat. Am Mittwoch, dem 2. März 2022, wandte sich die ukrainische Regierung an die IAEA, sie möge „no-entry zones“ um die ukrainischen KKW einrichten. Am gestrigen Donnerstag, dem 3. März 2022, bat Energoatom die IAEA, sich an die Nato zu wenden, weil man die Übernahme der Kontrolle des Kraftwerksgeländes in Tschernobyl durch russische Truppen am 24. Februar 2022 als „nuclear terrorism“ einstuft.
Die Wälder um Tschernobyl brennen weiter
Grossi stellte in der heutigen Pressekonferenz mehrfach klar, dass die Ukraine der erste Ansprechpartner für die IAEA sei. Selbstverständlich unterhalte man aber auch Kontakte zur russischen Seite, sowohl auf diplomatischer als auch auf technischer Ebene. Grossi stellte klar, es sei ihm wichtig, dass, bevor er Leute seines Stabes in die Ukraine für auch welchen Einsatz auch immer entsende, er selbst sich vor Ort eine Bild machen wolle, um deren Sicherheit unter diesen Umständen gewährleisten zu können. Daher reist er selbst und verhandelt auch vor Ort; das sei sehr wichtig, auch um diplomatisch effektiver sein zu können. Die IAEA sei bereit zu handeln, es müsse sich etwas bewegen.