Das Mühlensterben
2021 entfällt für die ersten Ökokraftwerke die Stromvergütung gemäß Erneuerbare-Energien-Gesetz. Das Datum markiert den Beginn des ersten großen Lackmustest für die deutsche Klimapolitik.

Foto: David Hecker/ddp
Groß war die Freude bei Andreas Heizmann und seinen Mitstreitern im Sommer 2002: Damals ging auf dem 945 m hohen Brandenkopf im Landkreis Ortenau ihre gemeinsame Windenergieanlage mit 1 MW Nennleistung in Betrieb. Trotz seines Alters läuft das Bürgerwindrad, an dem 76 Gesellschafter beteiligt sind, problemlos. Wenn es nach Heizmann geht, soll das möglichst lange so bleiben: „Wir haben einen der ertragsstärksten Standorte in ganz Baden-Württemberg.“
106 Betreiber von Windkraftanlagen (WKA) beteiligten sich Mitte 2017 an einer Studie der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) dazu, was diese Akteure nach Auslaufen der Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) mit ihren Anlagen vorhaben.
Die Umfrageteilnehmer wollen die Altanlagen überwiegend weiter betreiben, wenn dies wirtschaftlich ist. Ist Weiterbetrieb oder Ersatz von Altanlagen nicht wirtschaftlich, spricht vieles für eine Stilllegung. Der Anteil der Anlagen, die aus anderen als wirtschaftlichen Gründen stillgelegt werden, ist nach derzeitiger Kenntnislage relativ gering.
Ausschlaggebend für die Wirtschaftlichkeit ist vor allem der zukünftige Börsenstrompreis. Der Marktwert für Windstrom lag 2017 bei 2,77 Cent/kWh, Prognosen für die kommenden Jahre zeigen eine sinkende Tendenz. Drei Viertel der Befragten erwarteten aber Weiterbetriebskosten zwischen 3,5 Cent/kWh und 5 Cent/kWh. Ein wirtschaftlicher Weiterbetrieb wäre also für einen Großteil dieser Anlagen nicht möglich.
Betroffene Anlagen: Die EEG-Förderung läuft Ende 2020 für die ersten WKA (ca. 4 GW) aus. 2021 bis 2025 fallen im Schnitt 2,4 GW/Jahr aus der EEG-Förderung, etwa ein Drittel der bundesweit installierten WKA-Leistung. Davon erfasst die Studie rund ein Viertel.swe
Quelle: Studie „Was tun nach 20 Jahren? – Repowering, Weiterbetrieb oder Stilllegung von Windenergieanlagen nach Förderende“, FA Land, März 2018
Nur – ab 2023 müssen die Windaktivisten auf die gewohnten Erlöse aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verzichten. Denn die Mütter und Väter dieses Gesetzes, das seit April 2000 gilt, gewährt allen Betreibern von Wind-, Solar- und Wasserkraftwerken eine feste Vergütung von 20 Jahren.
Deshalb fallen ab dem 1. Januar 2021 die ersten Ökokraftwerke aus der EEG-Vergütung. 2021 sind es nach Informationen der Bundesregierung gleich 5608 Windenergieanlagen mit einer Leistung von gut 4400 MW. Bis Ende 2025 umfasst der „Aderlass“ einer Studie zufolge, die der Bundesverband Windenergie (BWE) am Freitag letzter Woche vorstellte, immerhin 16 000 MW Windkraftleistung. Das entspricht etwa einem knappen Drittel der 2017 installierten Windturbinenleistung an Land von 50 777 MW.
Was den BWE-Präsidenten Hermann Albers alarmiert: „Wenn die neue Bundesregierung nicht den bisherigen Ausbaudeckel für den Windkraftausbau anhebt und es wirklich zu massenhaften Stilllegungen kommt, kann unter dem Strich der wirkliche Zubau marginalisiert werden.“ Das werde negative Auswirkungen auf die Energiewende und das Erreichen der nationalen Zwischenziele für den Klimaschutz bis 2030 haben.
Niemand in der Windbranche geht derzeit davon aus, dass es für die Betreiber der „Ü-20-Anlagen“ eine EEG-Anschlussregelung geben wird. Deshalb stellt sich den betroffenen Windmüllern eine von drei Optionen: Stilllegen, Repowern oder Weitermachen, dann aber mit einem neuen Konzept.
Dass eine Reihe von Windkraftbetreibern das Repowern – das ist der Austausch ihrer Altlagen gegen moderne und effizientere Turbinen – favorisiert, hat einen simplen Grund: Am gleichen Standort lässt sich so das Mehrfache an Windstrom produzieren. Doch müssen alle Repoweringprojekte den Zuschlag bei den seit Anfang 2017 obligatorischen Ausschreibungen gewinnen.
Das ist nicht die einzige Hürde: Nach einer im Frühjahr von der Fachagentur Windenergie an Land vorgelegten Studie sind die Repoweringmöglichkeiten eingeschränkt: Rund 40 % der Altanlagen können im Umfeld des bisherigen Standorts nicht ersetzt werden, zumeist weil sie außerhalb genehmigter Vorrangflächen stehen, sprich: Das Planungsrecht macht vielerorts den Altanlagenersatz unmöglich.
Wie viele Windmüller mit ihren Ü-20-Anlagen, von denen das Gros technisch das Zeug zum Weiterbetrieb hat, wirklich weitermachen, hängt von den möglichen Einnahmen ab. Statt des gewohnten Einspeisetarifs müssen sie nach der EEG-Phase mit dem Börsenstrompreis vorliebnehmen, der aktuell bei etwa 3,5 Cent/kWh liegt.
Mit dem Aus weiterer Kohlekraftwerke und der letzten Kernkraftwerke Ende 2022 gehen die meisten Handelsexperten in den Folgejahren von einem Anstieg in Richtung 5 Cent/kWh und mehr aus. Nach heutigem Stand, abhängig auch vom Standort und vom Anlagentyp, brauchen die Altanlagenbetreiber dieses Preisniveau, „damit sie für ihre Mühlen nicht draufzahlen“, sagt Manfred Lührs, einer der erfahrensten Gutachter in der heimischen Windbranche.
Lührs verweist auf Österreich, wo bereits 600 MW Windkraftleistung aus der Förderung gefallen sind. Das dort erstmals 2003 verabschiedete Ökostromgesetz sah eine 13-jährige Unterstützung vor. Lührs: „Bei den derzeitigen Börsenstrompreisen verdienen die betroffenen Windmüller kein Geld mit ihren Anlagen. Sie lassen ihre Anlagen aus Idealismus und Leidenschaft weiterlaufen.“
Damit die Altanlagen hierzulande weiterlaufen, spielen nicht nur die künftigen Erlöse eine wichtige Rolle. Das A und O für die Windmüller bleibt der Erhalt des Einspeisevorrangs für Ökostrom. Ein Ende Mai bekannt gewordenes Gutachten, das das Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hatte, setzte dahinter aber ein Fragezeichen. Nach deutlicher Kritik von Grünen, Linken und zahlreichen Umweltgruppen ruderte ein Ministeriumssprecher zurück und dementierte, dass es bereits einen Beschluss gebe, den Vorrang von Ökostrom bei der Einspeisung in die Stromnetze zu kippen. Nach seinen Worten sei dies „allein schon aus rechtlichen Gründen nicht möglich“.
Für die sich abzeichnende Post-EEG-Phase in der Windbranche bringen sich erste Energieversorger in Position. Auf der Husumer Windmesse 2017 hatte die Oldenburger EWE interessierten Windmüllern ein Angebot vorgelegt: Bei einer Kooperation ist für die Altanlagenbetreiber eine Grundvergütung von 2,2 Cent/kWh vorgesehen. Sollte der Börsenpreis höher liegen, werden die zusätzlichen Einnahmen im Verhältnis 70:30 zwischen Betreiber und EWE geteilt.
Ende März kündigten die Stadtwerke München an, ab sofort kleinere, ältere Windparks zu kaufen, die demnächst ohne EEG-Vergütungsanspruch sind. „Wir wissen, dass von einigen Pionieren eine Reihe ohne feste EEG-Vergütung nicht weitermachen will“, sagt Christoph Dany, Geschäftsführer des neuen, eigens gegründeten Tochterunternehmens Hanse Windkraft.
Beim Windturbinenhersteller Enercon wird es ab Anfang Juli ein spezielles Angebot für Post-EEG-Anlagen geben, das vom Kauf über das Repowern bis hin zur Vermarktung des Stroms die gesamte Palette umfasst. „Die technische Voraussetzung dafür ist, dass wir die Anlage für die Fernsteuerbarkeit umrüsten“, sagt Uwe Behrens, Geschäftsführer bei Enercons Tochterunternehmen Quadra Energy. Die Altanlagen werden, so seine Ankündigung, „wohl meist nur bedarfsgerecht betrieben, das heißt, immer nur dann, wenn sich an der Börse auch Einnahmen erzielen lassen“.
Unabhängig vom Börsenstromhandel suche Quadra Energy auch alternative Vermarktungswege für den Strom aus den Ü-20-Anlagen. „Das reicht von der Direktbelieferung von industriellen Industriekunden bis hin zum Einsatz bei der Sektorkopplung.“
Die Lieferverträge könnten nach Behrens‘ Worten Basis sogenannter Power Purchase Agreements (PPA) sein, sprich: als direkte Strombezugsverträge zwischen Erzeuger und Abnehmer gestaltet werden: „Es gibt da keinen Standardweg, sondern wir werden für jeden Kunden eine individuelle Lösung finden.“
Bei Greenpeace Energy laufen unterdessen die Verhandlungen für den ersten PPA-Vertrag mit einem Windparkbetreiber für die Zeit ab 2021: „Preislich wollen wir etwas mehr als die Gestehungskosten bieten“, lässt Marcel Keiffenheim durchblicken, der die Abteilung Energiepolitik leitet. „Sollten die Strompreise steigen, profitiert auch unser Vertragspartner davon.“
Andreas Heizmann und seinen Mitstreitern vom Brandenkopf-Bürgerwindrad kann das nur recht sein: „Wir wissen noch nicht, was wir machen. Wir warten ab, was in nächster Zeit kommt. Vor allem beobachten wir im Jahr 2021 die Wind- und Solarkraftwerke, die dann aus der EEG-Vergütung fallen.“ swe