Lasche EEG-Reform droht Kohleausstieg zu verzögern
Während gerade erst gestern die ersten Zuschläge bei einer Auktion verteilt wurden, welche Steinkohlekraftwerke in Deutschland als erste vom Netz gehen, sieht das Bonner Marktforschungsunternehmen EuPD Research die Gefahr, dass sich der Ausstieg aus der Kohleverstromung um viele Jahre verzögert.

Foto: RWE AG
Heute tagt das Klimakabinett der Bundesregierung in Berlin, und wie es weitergeht mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG, das dürfte auch auf der Tagesordnung stehen. Denn in Zeiten, in denen selbst das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) warnt, der Ausbau von Ökostromkapazitäten werde so, wie bisher in der EEG-Novelle geplant, dem Bedarf nicht gerecht, scheint es reellen Diskussionsbedarf zu geben.
Heute morgen dann noch eine zusätzliche Warnung: Wenn das EEG so komme wie geplant, werde das nicht klappen mit dem Kohleausstieg, so das Bonner Marktforschungsinstitut EuPD Research.
Zuverlässiger Kohleausstieg braucht starke Förderung von Ökostrom
Martin Ammon, Geschäftsführer von EuPD Research, sieht nach Angaben des Bundesverbandes der Solarwirtschaft (BSW-Solar) eine Stromerzeugungslücke bereits schon 2022 auf uns zukommen. Zum Jahresende 2022 gehen die letzten Kernkraftwerke in Deutschland vom Netz. Offenbar mit entsprechenden Folgen: „Bereits im Jahr 2023 wird der europäische Stromverbund die Stromlücke nicht mehr schließen können. Die Laufzeitverlängerung von Kohlekraftwerken wird dann unausweichlich.“
Es ist nicht das erste Mal, dass es eine Warnung gibt, man laufe nach dem Ausstieg aus der Kerntechnik in Deutschland auf eine Stromlücke zu. Weil die erneuerbaren Energien dann noch nicht genug ausgebaut seien und das Problem der Energiespeicherung nicht gelöst sei, um Versorgungssicherheit herzustellen. Vor ein paar Jahren kamen diese Warnungen allerdings aus der Energiewirtschaft und dem Kraftwerksbau, weil angesichts der Strompreisentwicklung der Bau von hochmodernen Gaskraftwerken auf die lange Bank geschoben wurden oder ganz in den Schubladen verschwanden.
Importe aus dem Ausland werden Stromlücke nicht schließen können
Bisher gehen viele Fachleute aus Politik, Ökonomie und Energiewirtschaft durchaus davon aus, dass Importe im Rahmen des europäischen Stromverbundes diese Phase ein paar Jahren werden überbrücken können. Doch das Argument ziehe nicht, verdeutlicht Ammon. Seinen Berechnungen nach werde sich eine bereits 2022 aufreißende Stromlücke nur im ersten Jahr durch Stromimporte aus dem Ausland vollständig ausgleichen lassen.
2023 werde die Stromlücke bereits nahezu 100 TWh betragen. Das entspräche fast einem Fünftel des zu diesem Zeitpunkt erwarteten Strombedarfs. Der simulierte Importbedarf an Strom aus dem europäischen Ausland steigt in der Spitze für das Jahr 2023 zeitweise bis auf 30 GW.
Mangelnder Windkraftausbau befördert Stromlücke
Hintergrund für die stärkere klaffende Stromlücke ist nach den Berechnungen von EuPD Research, so Ammon, vor allem der in den letzten Jahren vernachlässigte Ausbau der Windkraft in Deutschland, um deren vollständige Lösung die Bundesregierung immer noch einen großen Bogen macht. Hinzu kommt, dass auch die Betreiber von Steinkohlekraftwerken schneller aus der Kohleverstromung aussteigen wollen, als gedacht Schreibungen, wie die Ergebnisse der ersten Auktion für die Stilleggung zeigen (s. u.). Diese Ergebnisse sind mit 4,8 GW höher ausgefallen als die 4,0 GW die eigentlich ausgeschrieben waren. Auch die Coronadelle bei der Stromnachfrage ist passè, wie Martin Ammon deutlich macht. Während die Corona-Pandemie bedingte Nachfragelücke zwischen März und Juli deutlich sichtbar sei, habe der Stromverbrauch im Oktober 2020 bereits über dem Wert von 2019 gelegen.
„Trotz wiederholter und zahlreicher Warnungen aus der Wissenschaft ignoriert sie den wachsenden Strombedarf infolge einer zunehmenden Verstromung der Mobilität und Wärmeversorgung. Deutliche Nachbesserungen am derzeit im Bundestag verhandelten Gesetzesentwurf zum EEG 2021 sind unverzichtbar“, sagt Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des BSW-Solar an die Adresse der Bundesregierung. Die Verhandlungen zum EEG seien die letzte Gelegenheit, um eine Laufzeitverlängerung von Kohle- kraftwerken zu vermeiden, denn aus seiner Sicht werde es vor der Bundestagswahl keine weiteren Gesetzesänderungen mehr geben, und ein mögliches Gegensteuern in der nächsten Legislaturperiode käme zu spät.
Kohleausstieg: Deutsches Verfahren nimmt Hürde, erste Zuschläge erteilt
Dabei hatte die Wettbewerbshüterin der EU-Kommission, die für Wettbewerbspolitik zuständige Vizepräsidentin Margrethe Vestager, erst Mitte letzter Woche den Ausschreibungsmechanismus zur Gewährung von Stilllegungsprämien für die deutschen Steinkohlekraftwerke genehmigt. Ein wichtiges Puzzleteil beim Kohleausstieg. Damit hat das deutsche Verfahren zum Ausstieg aus der Steinkohleverstromung eine erste wichtige Hürde genommen. Das Verfahren stünde im Einklang mit den EU-Beihilfevorschriften, so Vestager.
Eine zweite EU-Hürde bleibt aber noch zu nehmen: Die Wettbewerbshüter haben noch nicht abschließend festgestellt, ob die Maßnahme den betroffenen Betreibern einen Vorteil gegenüber ihren Wettbewerbern verschaffen würde und somit möglicherweise eine staatliche Beihilfe darstelle. In der ersten Runde hatte die Bundesnetzagentur Kapazitäten im Umfang von 4 GW zur Stilllegung ausgeschrieben. Pro abgeschaltetem Megawatt Kraftwerksleistung gibt es maximal 165 000 €.
Erste Steinkohlekraftwerke in Deutschland vor planmäßiger Stilllegung
Am gestrigen Dienstag dann gab die Bundesnetzagentur die Zuschläge für die erste Ausschreibungsrunde bekannt. Just also im Rahmen jenes Verfahren, dem die EU nur Tage zuvor zumindest teilweise ihren Segen erteilt hatte. Die Ausschreibung sei deutlich überzeichnet gewesen, so die Bonner Behörde: „Elf Gebote mit einer Gebotsmenge von insgesamt 4788 MW haben einen Zuschlag erhalten. Das größte bezuschlagte Gebot hat eine Leistung von 800 MW und das kleinste liegt bei 3,6 MW.“
Der hohe Wettbewerb habe die Zuschläge deutlich unter den Höchstpreis von 165 000 €/MW gedrückt, so die Agentur. Der mengengewichtete Zuschlagswert liege im Schnitt bei 66 259 €/MW. Die Anlagen, die einen Zuschlag erhalten haben, dürfen ab dem 1. Januar 2021 die durch den Einsatz von Kohle erzeugte Leistung oder Arbeit ihrer Anlagen nicht mehr am Strommarkt vermarkten.
RWE legt letzte eigene Steinkohlekraftwerke in Deutschland still
Mit von der Partie bei der ersten Stilllegungsrunde sind nach Angaben die beiden RWE-Steinkohlekraftwerke mit je 800 MW in Hamm und Ibbenbühren. RWE darf nach dem 31. Dezember keinen Strom mehr aus diesen Anlagen vermarkten. Für beide Anlagen erhalte man entsprechend den Zuschlägen der Auktion 216 Mio. €, so RWE in einer Pressemitteilung. Auch das Vattenfall-Kraftwerk in Moorburg (Hamburg) oder die Uniper-Anlage in Heyden haben eine Zuschlag erhalten.
Allerdings: Noch steht eine Prüfung aus über die Systemrelevanz der Kraftwerke durch die Übertragungsnetzbetreiber. Hier spielt wiederum das Thema der Versorgungssicherheit hinein, dass EuPD Research in der heute vorgestellten Studie anreißt, auch wenn Systemrelevanz nicht dasselbe ist. Diese ist gegeben, wenn es durch eine dauerhafte Stilllegung des Kraftwerks mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer nicht unerheblichen Gefährdung oder Störung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems führt und man diese Gefährdung oder Störung auch nicht anderweitig angemessen beseitigen kann.
Ökostrombranche: Deutscher Mechanismus für Kohleausstieg lässt alte Anlagen länger laufen
Angesichts der Ergebnisse der ersten Versteigerung erneuerte die Ökostrombranche ihre Warnung, das Versteigerungssystem für den Steinkohlebereich führe nicht zu einem raschen Ausstieg – im Gegenteil. Obwohl 90 % der Kohlekraftwerke ihre Kosten nicht decken würden, liefen viele von ihnen weiter, darunter auch solche, die keinen Zuschlag bei der überzeichneten Auktion erhalten hätten. „Das geht sowohl zu Lasten des Klimas als auch der Steuerzahler. Das Ausschreibungssystem kostet viel Geld und droht den gesamten Kohleausstieg auszubremsen“, so Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE). .
„Da die Betreiberkonzerne die Prämien nur erhalten, wenn sie ihre Kraftwerke bis zu einem Zuschlag in der Bundesnetzagenturausschreibung weiterlaufen lassen, was angesichts des auf 2038 angesetzten Kohleausstiegs Jahre dauern kann, werden veraltete und klimaschädliche Technologien künstlich am Leben erhalten“, so Peters weiter. Die meisten Kohlekraftwerke, die nun bezuschlagt worden seien, wären wohl zeitnah selbstständig aus dem Markt geschieden.