Digitale Spaltung manifestiert sich
Der Digitalisierungsgrad in der deutschen Bevölkerung steigt. So lautet die erfreulich Nachricht des Digital-Index 2019/2020 der von Politik und Wirtschaft geförderten Initiative D21. Doch es gibt auch Schattenseiten. Weniger Gebildete werden in vielen Kompetenzbereichen abgehängt.

Foto: panthermedia.net /Goodluz
Die Initiative D21 hat gestern Nachmittag im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ihre Studie „D21-Digital-Index 2019/2020“ vorgestellt. Die vom Marktforscher Kantar durchgeführte Studie liefert jährlich ein umfassendes Lagebild zur digitalen Gesellschaft. Sie misst den Digitalisierungsgrad der deutschen Bevölkerung und zeigt, wie die Menschen den technologischen Fortschritt in ihrem Privat- und Berufsleben adaptieren. Dafür wurden über 20 000 Interviews durchgeführt.
„Es ist sehr erfreulich, dass die Mehrzahl der Menschen in unserem Land die Auswirkungen der Digitalisierung eher positiv wahrnimmt und optimistisch in die Zukunft blickt“, verkündigte Wirtschaftsminister Peter Altmaier und ergänzte: „Über alle Generationen hinweg schätzen die Menschen die Möglichkeiten, die die Digitalisierung ihnen bietet. Aber sie finden auch, dass Digitalisierung in Schule, Studium und Ausbildung noch stärker eingesetzt und vermittelt werden muss. Hier muss Deutschland besser werden.“
Gesellschaft macht Schritt nach vorn
Auf einer Skala von 0 bis 100 Punkten hat die deutsche Gesellschaft einen mittleren Indexwert von 58 Punkten erreicht. Nach anfänglich geringer Dynamik steigt der Digitalisierungsgrad seit 2017 merklich an, dieses Jahr um drei Punkte im Vergleich zum Vorjahr. Grund für den Zuwachs sind erstmals Steigerungen bei allen vier Subindizes: Zugang (+4 Punkte), Kompetenz (+3 Punkte), Nutzungsverhalten (+4 Punkte) und Offenheit gegenüber digitalen Themen (+1 Punkt).
86 % der deutschen Bevölkerung sind online, das ist ein Zuwachs von zwei Prozentpunkten. Vor allem das mobile Internet zeigt sich als Treiber, inzwischen nutzen es 74 % der Bevölkerung (+6 Prozentpunkte). Nahezu jede Person zwischen 14 und 59 Jahren ist online, die älteren Generationen verzeichnen große Zuwächse bei der Internetnutzung: 81 % der 60- bis 69-Jährigen und mittlerweile 52 % der über 70-Jährigen sind online.
„Digitale Vorreiter“ auf dem Vormarsch
Im D21-Digital-Index kristallisieren sich verschiedene Nutzergruppen und -typen mit spezifischen Merkmalen in der Bevölkerung heraus. Dabei ist im Vergleich zu den Vorjahren eine deutliche Verschiebung hin zur digitalsten der drei Gruppen zu beobachten. Die Gruppe der „Digital Abseitsstehenden“ schrumpft um drei Prozentpunkte auf 18 % und umfasst damit noch ca. 11,5 Mio. Menschen. Die ehemals größte Gruppe, die „Digital Mithaltenden“, verkleinert sich von 42 % auf 38 %. Zum ersten Mal ist die Gruppe der „Digitalen VorreiterInnen“ mit 44 % die größte (+7 Prozentpunkte). Rund 28 Mio. Menschen gehen somit offen und souverän mit den Anforderungen sowie den Errungenschaften der Digitalisierung um.
Bildungsgrad und Berufstätigkeit haben deutlichen Einfluss
Nach wie vor haben Alter, Bildungsgrad und Berufstätigkeit einen deutlichen Einfluss: Auch wenn Teile der älteren Generationen aufholen, sind weiterhin die jüngeren Generationen digitalaffiner. Generell haben Berufstätige, insbesondere mit Schreibtischtätigkeit, einen höheren Indexwert als Menschen ohne Berufstätigkeit (46 zu 73). Höher Gebildete haben mit einem Indexwert von 71 einen deutlich höheren Digitalisierungsgrad als Menschen mit niedriger formaler Bildung (40).
Digitaler Zugang zu Wissen ist Standard
Bereits beim Blick auf das reine Online-Sein der einzelnen Bildungsgruppen zeigt sich, dass der Anschluss gering gebildeter Personen an die restliche Bevölkerung noch nicht gelungen ist: Menschen mit hoher und mittlerer Bildung sind zu über 90 % online, mit niedriger Bildung nur zu 64 %.
Die Art, wie Dienste und Angebote des täglichen Lebens gestaltet und zugänglich gemacht werden, entwickelt sich durch die fortschreitende Digitalisierung seit vielen Jahren weiter. Ein digitaler Zugang zu Wissen, Informationen und Diensten ist inzwischen Standard. Auch im Arbeitsleben selbst spielen Kenntnisse zur Digitalisierung eine immer größere Rolle. Aber, auch das attestiert die Studie: Gering Gebildete laufen Gefahr, dauerhaft von gesellschaftlicher Teilhabe und Mitgestaltung ausgeschlossen zu werden.
Strukturwandel in Berufswelt spürbar
Der aktuelle D21-Digital-Index erfasst erstmals umfangreich die Einschätzung der deutschen Bevölkerung zum digitalen Wandel in verschiedenen Lebensbereichen. Im beruflichen Kontext zeigen sich die Befragten uneins: Jeweils knapp 40 % der Berufstätigen sehen einerseits neue Jobchancen, fast ebenso viele fühlen sich zunehmend unter Druck gesetzt. 43 % geben an, dass sich durch die Digitalisierung ihre Arbeitsabläufe bereits spürbar verändert haben. Bei Personen mit einem Bürojob sind es sogar 58 %. Dennoch sehen sich fast drei Viertel der Berufstätigen den aktuellen digitalen Anforderungen gewachsen.
Personen mit überdurchschnittlichen Kenntnissen der Digitalisierung erkennen für sich einen höheren Bedarf, ihr Wissen weiter auszubauen. 78 % der Berufstätigen sehen lebenslanges Lernen als zentralen Faktor für beruflichen Erfolg. 27 % von ihnen empfinden dies als Belastung, bei gering gebildeten Personen sind es sogar zwei von fünf.
Dass deutsche Schulen aktuell die notwendigen Digitalisierungsfähigkeiten gerade im Hinblick auf internationale Konkurrenzfähigkeit vermitteln, glauben nur 36 % aller Befragten.
Mehrheit hat positive Erwartungen
Aus Sicht der Befragten gibt es kaum Aspekte, die sich nicht bereits in drei bis fünf Jahren stark durch die Digitalisierung verändern werden. Diese Veränderungen bewerten sie großteils positiv. Am ehesten positiv sehen die Bürgerinnen und Bürger die erwarteten Veränderungen in den Bereichen Bildung und Gesundheit. Grundsätzlich zeigt sich: Je digitaler die Menschen heute sind, umso stärkere Auswirkungen durch die Digitalisierung erwarten sie und umso positiver ist ihre Einstellung dazu.
Bürger fühlen sich überfordert
„Die Deutschen haben Lust auf Digitalisierung“, fasst Hannes Schwaderer, Präsident der Initiative D21, die Ergebnisse der Studie D21-Digital-Index zusammen. Dort, wo die Menschen Teilhabechancen und eigenen Einfluss sehen, empfänden sie auch den Einfluss der Digitalisierung häufig positiver, sagt Schwaderer. Doch er hat auch erkannt, dass Bildung einen entscheidenden Einfluss darauf habe, wie sattelfest die Menschen den Anforderungen des digitalen Wandels entgegentreten. „Vor allem Bürgerinnen und Bürger mit geringer formaler Bildung sehen den Einfluss der Digitalisierung auf Herausforderungen wie Arbeitsplatzverlust oder Wegfall von Tätigkeiten deutlich kritischer, fühlen sich häufiger überfordert.“
Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft sollten die Ergebnisse nutzen und in zukunftsgewandte und weitsichtige Entscheidungen übersetzen, um die Menschen für den umfassenden Strukturwandel zu wappnen. Schwaderer: „Essenziell ist eine zeitgemäße Bildung – nicht nur in Schulen, sondern niedrigschwellig in jedem Lebensabschnitt.“