Daten nutzen nach europäischen Regeln und Werten
Gaia-X heißt eine souveräne Dateninfrastruktur nach europäischen Regeln. Sie soll auch kleinen und mittleren Unternehmen die erfolgreiche Digitalisierung ihrer Geschäfte erlauben. Der Startschuss fiel am zweiten Tag des Digitalgipfels der Bundesregierung

Foto: Jens D. Billerbeck
Eigentlich wollten die stolzen „Eltern“ von Gaia-X, Bundesforschungsministerin Anja Karliczek und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, ihr „Baby“ gemeinsam vorstellen. Doch nach der morgendlichen Begrüßungsrede stürzte Altmaier beim Verlassen des Podiums und konnte am weiteren Gipfel nicht mehr teilnehmen. Seinen Part übernahm Thomas Jarzombek, Beauftragter des Wirtschaftsministeriums für die digitale Wirtschaft. Er prophezeite: „Mit Gaia-X schaffen wir die Startbahn für den KI-Airbus.“ Damit spielte er auf Altmaiers Forderung nach konzertierter Anstrengung in Sachen künstlicher Intelligenz (KI) auf dem Digitalgipfel des vergangenen Jahres an.
Erfolgreiche KI braucht Daten. Daten, die die vielen Hidden Champions der mittelständischen Wirtschaft in großen Mengen haben. „Doch was bedeutet es, wenn diese Daten auf Cloud-Plattformen prozessiert werden, die nicht in Deutschland oder der EU liegen, auf die wir keinen Zugriff haben“, fragte Jarzombek. Die großen US-Cloud-Anbieter unterliegen dem Cloud-Act von 2018 und müssen Kundendaten im Falle eines Falles auch dann an die US-Regierung weitergeben, wenn die Server nicht in den USA stehen. Außerdem könnten bei den derzeitigen Handelsstreitigkeiten auch Cloud-Daten zu einem Mittel des Handelskriegs werden.
Datenbasis für KI-Anwendungen
Es braucht also eine europäische Infrastruktur, die das sichere Speichern und Teilen von Daten ermöglicht. Denn je breiter die Datenbasis für innovative KI-Anwendungen ist, desto besser. Dabei wolle das Ministerium keine eigene Cloud betreiben. Denn erfolgreiche Cloud-Anbieter gebe es auch in Deutschland und Europa. Auch Technologien für KI gebe es viele, vor allem in Start-ups. Jarzombek: „Aber alle im eigenen Silo.“ Gaia-X soll nun die Verbindung zwischen diesen Inseln der Innovation schaffen.
Konkret geht es um einen Satz von Schnittstellen, Standards und Definitionen, die dem jeweiligen Besitzer der Daten seine volle Souveränität belassen und den sicheren Austausch mit Kunden und Lieferanten, aber auch Abrechnungen und Bezahlmodelle zulassen. Das Ministerium sieht seine Rolle in der Moderation und in der Unterstützung auch in finanzieller Hinsicht. Konkreteres war hier allerdings noch nicht zu erfahren, denn die geplante Pressekonferenz mit Minister Altmaier wurde nach dessen Sturz abgesagt.
Erste Anwendungen Ende 2020
Jarzombek unterstrich die Rolle der Industriepartner, die im Diskussionsprozess um Gaia-X beteiligt waren. Ausgehend vom heutigen Startschuss, soll jetzt ein Fahrplan entwickelt werden, um das Konzept im kommenden Jahr in eine feste Struktur zu gießen. Jarzombek erwartet Ende 2020 erste Anwendungsfälle. „In Anbetracht der Komplexität ist das durchaus anspruchsvoll“, beurteilt er den Zeitplan. Das Ganze soll primär anwenderzentriert sein, damit auch KMU und Start-ups daran teilhaben können.
Auch Ministerin Karliczek betonte, dass die Fähigkeit, Daten sammeln, verknüpfen und auswerten zu können, eine wichtige Quelle von Innovationen im Digitalen sei. Sie betonte, dass einer der Pfeiler, auf denen Gaia-X entwickelt wurde, der vor einigen Jahren ins Leben gerufene International Data Space ist. An diesem mit BMBF-Mitteln geförderten Standard bestehe großes Interesse, auch international. „Mehr als 100 Unternehmen arbeiten bereits damit“, so Karliczek. Sie appellierte an die deutschen Unternehmen, die Chance zu nutzen: „Jetzt ist es Zeit: einfach mal machen.“
Voraussetzung für Plattformökonomie
Gaia-X soll die Voraussetzungen schaffen, damit deutsche und europäische Unternehmen im Industriegeschäft (B2B) digitale Plattformen entwickeln können. Denn die digitale Ökonomie – so der Tenor des gesamten Gipfels – ist eine Plattformökonomie. Und gerade im B2B-Bereich sei die Welt noch nicht unter den großen Playern in den USA und China aufgeteilt, hier könne Europa punkten. Bitkom-Präsident Achim Berg: „Wir haben in Deutschland und Europa eine Vielzahl von Unternehmen, die erfolgreich digitale Plattformen aufgebaut haben oder auf ihnen aktiv sind.“ Aber in der Öffentlichkeit würde lieber diskutiert, wo wir vermeintlich abgehängt sind und welche Gefahren Plattformen bergen könnten. Sein Appell: „Deutschlands Unternehmen müssen sich die Plattformwelt erobern.“
Er hält es für alarmierend, dass aktuell jedes dritte deutsche Unternehmen ab 20 Mitarbeitern angibt, keine Strategie zum Einsatz von digitalen Plattformen zu verfolgen. Berg forderte eine Politik, die die Chancen der Plattformökonomie in den Mittelpunkt rückt. „Wir brauchen einen Rechtsrahmen, der neue, plattformbasierte Geschäftsmodelle fördert und sie nicht erschwert.“ Dazu gehöre, Regulierung nur dort vorzunehmen, wo bestehende Gesetze und Regeln nicht greifen.
Keine Angst vor Digitalisierung
Europas Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager appellierte, wie auch andere Redner des Digitalgipfels, sich der europäischen Stärken bewusst zu sein und nicht ängstlich vor den Herausforderungen der Digitalisierung zurückzuweichen. „Unser europäischer Ansatz ist, Technologie nicht um der Technologie willen einzusetzen, sondern zu sinnvollen Zwecken für reale Probleme der Menschen.“
Sie plädierte für eindeutige Regeln, um marktbeherrschende Plattformen in die Schranken zu weisen oder besser gar nicht erst entstehen zu lassen. Denn wenn ein Markt erst mal in festen Händen sei, bekomme man so schnell keinen Wettbewerb zurück. Ihr Appell: Nicht zögern, sondern mutig Entscheidungen treffen. „Entscheidungen, die unsere Gesellschaft für die nächsten Jahrzehnte entscheidend prägen werden.“
Ohne Nutzer wird es nichts
Bundeskanzlerin Angela Merkel rief den anwesenden Industrievertretern zum Abschluss des Gipfels zu: „Wir können das Projekt Gaia-X nur mit den Interessenten aus der Wirtschaft vorantreiben. Wenn es keine Nutzer gibt, kann der Staat alleine es nicht richten.“ Allerdings versprach sie, die Daten des Staats auf der Plattform zur Verfügung stellen zu wollen. „Dann zeigen wir, dass wir Vertrauen in so etwas haben. Aber ansonsten muss das privatwirtschaftlich betrieben werden.“ Und sie unterstrich die europäische Dimension des Projekts: „Wir wollen das mit Frankreich gemeinsam vorantreiben, aber auch mit anderen europäischen Partnern.“
Digitalisierung könne die deutsche Wirtschaft nun unbesorgt vorantreiben, argumentierte die Kanzlerin, denn alles, was an Werten, Regeln, Gesetzen und Vorschriften im Analogen erarbeitet wurde, müsse auch in der digitalen Welt seine Wirkung entfalten können. „Das digitale Leben ist kein außerrechtliches Leben.“