In Darmstadt gehen Klassenzimmer viral
Die südhessische Kommune und deutsche Digitalstadt hat eine Software für Videokonferenzen mit einer Lernplattform gekoppelt. So können sich Klassen mit ihren Lehrern in Echtzeit treffen und gemeinsam Inhalte erarbeiten.

Foto: panthermedia.net/ Monkeybusiness Images
Viele Bildungseinrichtungen sind in Zeiten von Corona auf der Suche nach Werkzeugen für den digitalen Unterricht. Doch nur allzu oft bleibt der Lernprozess einseitig und individuell. Starre Systeme geben Aufgaben vor, das Lernen in der Gruppe bleibt häufig außen vor.
Jetzt hat Darmstadt im Zuge der Initiative Digitalstadt des IT-Branchenverbands Bitkom eine Software für Videokonferenzen mit einer Lernplattform gekoppelt. Beides sind frei verfügbare Open-Source-Lösungen, berichten die Südhessen, die digitaltechnisch das realisieren, was aktuell beim Homeschooling fehlt: der persönliche Kontakt sowie die Möglichkeit, sich als Klasse zu treffen und in Echtzeit zu diskutieren, zu präsentieren und gemeinsam Inhalte zu erarbeiten.
Kostenfreie Lösung von der Kommune
Für die 43 Corona-geplagten Schulen in der Wissenschaftsstadt und damit für 29 000 Schüler stellt die Kommune jetzt kostenfrei die Lösung zur Verfügung. Die Heinrich-Emanuel-Merck Schule, eine Berufsschule für Elektro- und Informationstechnik, hat sie getestet und ist nach eigenen Angaben begeistert.
Dank der vielen Kooperationen innerhalb der Digitalstadt, in der Darmstadt zum Role Model für andere Kommunen werden sollte, sei es gelungen, eine digitale Lösung für die Lehre der Darmstädter Schulen zu finden, berichtet Oberbürgermeister Jochen Partsch (Bündnis 90/Die Grünen). Schulen stünden wegen der Kontaktbeschränkungen, Abstandsregelungen und Hygienebestimmungen derzeit unter einem enormen Druck. Sie müssten für alle Klassenstufen Wege finden, den Unterricht fortzusetzen. Die webbasierte Videokonferenzlösung für das Homeschooling ermögliche, Unterricht interaktiver abzubilden, davon ist der OB überzeugt.
Er und Schuldezernent Rafael Reißer (CDU) hatten sich in den letzten Wochen immer wieder mit Ideen und Konzepten beschäftigt, wie den lokalen Schulen nachhaltig unter die Arme gegriffen werden könne.
Kein administrativer Mehraufwand
„Unsere Web-Videokonferenzlösung professionalisiert ohne administrativen Mehraufwand das digitale Lehrangebot der Schulen“, erklären die Geschäftsführer der Digitalstadt, Simone Schlosser und José David da Torre Suárez. Die Idee: zwei frei verfügbare und etablierte Softwareprodukte aus dem Bildungssektor per Server-Server-Integration miteinander koppeln, um das Klassenzimmer virtuell so real wie möglich zu starten – und das als kostenfreies Angebot: „Wir suchten nach einer einfachen Anwendung, mit der wir die realen Unterrichtsgegebenheiten und die Lernumgebung der Schüler bestmöglich aufrechthalten“, so das Digitalstadt-Team weiter.
Heraus kam die Kopplung des Lernmanagement-Systems Moodle mit dem Videokonferenzsystem BigBlueButton. Beide Applikationen sind frei verfügbar und werden weltweit im Bildungssektor genutzt. Moodle kann kostenfrei von den landeseigenen Schulen über den hessischen Bildungsserver nach Beantragung eingerichtet werden. „Für die Verwaltung von Schüler- und Studierendenveranstaltungen wird Moodle seit vielen Jahren genutzt, auch hier in Darmstadt. Durch die Verknüpfung dieses Systems mit BigBlueButton (BBB) entsteht eine sehr komfortable und schnell realisierbare, digitale und webbasierte Lernumgebung“, erklärt Informatiker Antonio Jorba, Mitinitiator der digital-technischen Lernoffensive.
Datenschutzkonformes Homeschooling
Das didaktische Einsatzszenario reicht von Ad-hoc-Konferenzen bis hin zu Fernvorträgen und intensiver Echtzeitbetreuung der Lernenden. „Wichtig ist für die Schulen, dass im Homeschooling verschlüsselt agiert wird, um Datenmissbrauch auszuschließen und datenschutzkonform zu arbeiten. Auch für diese Anforderung bot sich die BBB/Moodle-Lösung an, zumal die zugehörigen Server in Deutschland stehen“, sagt Jorba.
Andreas Voigtländer, Abteilungsleiter für Berufsschule IT an der Heinrich-Emanuel-Merck-Schule, berichtet über erste Erfahrungen: „Unsere Schüler und Lehrer können direkt per Mausklick Videokonferenzen zu Lerneinheiten starten, kollaborativ an einem Whiteboard oder auch zeitgleich an einer Präsentation arbeiten. Aufzeichnungen der Videokonferenzen werden in Echtzeit erfasst und sind für alle sichtbar im bestehenden Moodle-System hinterlegt, so dass die Schulstunden auch später abrufbar sind.“
Zusammenarbeit mit Start-up
Schon länger arbeiten die Darmstädter mit dem Start-up Tingtool zusammen, das ein kostenloses Informations- und Diskussionsforum anbietet. Hier können beispielsweise Elternbeiräte Termine und Informationen nach einmaliger Freischaltung direkt auf der Plattform eingeben.
Aber auch jenseits von Schule gibt es Infos. Hochschul- und Berufsinformationstage, aber auch Betriebsführungen von Unternehmen sind eingestellt. Außerdem könnten Vereine und andere Einrichtungen die Plattform für ihre eigenen Zwecke nutzen. Auch über andere Themen, etwa kleinere Mängel an Schulen, könne die Stadt so schnellere Informationen erhalten. Davon ist Peter Fischer, Gründer und Geschäftsführer von Tingtool, überzeugt. „Wir wollen ein Zeichen setzen: Es gibt Alternativen zu Facebook, Whatsapp und Instagram“, sagt er und weist auf einen weiteren Vorteil hin: Die Daten würden auf Servern in Köln gelagert. Damit blieben die Daten in Deutschland.