So wird der industrielle Mittelstand fit für die digitale Zukunft
Viele Mittelstandsinitiativen, die unter anderem im Zusammenhang mit der Förderung von Industrie 4.0 entstanden sind, gehen nun in die nächste Runde. Gerade kleinen und mittleren Unternehmen bietet das Chancen, Produktion und Unternehmensprozesse durch neue Technologien fit für die Zukunft zu machen.

Foto: WZL
Mehr als je zuvor wird durch die Corona-Pandemie deutlich, welche Vorteile die konsequente Digitalisierung von Prozessen Unternehmen bietet. Doch gerade in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) fehlt es oft an eigenem Know-how und Möglichkeiten, neue Technologien risikolos – also ohne die restlichen Geschäftsabläufe zu behindern – erproben zu können. Abhilfe dafür bieten verschiedene Mittelstandsinitiativen. Das Angebot reicht dabei von Onlineschulungen bis hin zum Selbstausprobieren von Technologien in einer Anlauffabrik.
Viele dieser Initiativen wurden im Rahmen von Förderprojekten bereits vor einigen Jahren gestartet und konnten somit inzwischen einige Erfahrung sammeln. Dazu gehören beispielsweise die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten deutschlandweiten „Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren“, aber auch die Anlauffabrik für Elektromobilität an der RWTH Aachen.
Standards für die digitale Transformation
Wichtig für KMU ist es dabei, sich zu fokussieren. Dabei spielen Standards eine wichtige Rolle. Genau darauf ist das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum eStandards spezialisiert, das nach Ablauf der ersten Förderphase seit diesem Monat noch weitere zwei Jahre KMU bei ihren Digitalisierungsvorhaben mit eStandards begleitet. Dazu wurden auch neue Themenschwerpunkte aufgenommen.
Mit einer Summe von rund 5,7 Mio. € fördert das BMWi die neuen Maßnahmen. Der durch die Corona-Krise ausgelöste Digitalisierungsschub soll KMU dazu befähigen, solchen Krisen in Zukunft mit mehr Resilienz zu begegnen.
Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum eStandards konnte in den letzten drei Jahren mit über 850 Vorträgen auf externen Konferenzen, eigenen Fachveranstaltungen und Vor-Ort-Präsenzen auf Messen mehr als 14 000 Unternehmen direkt erreichen. Alleine in den offenen Werkstätten in Köln, Hagen und Leipzig konnten KMU bei mehr als 320 Veranstaltungen Digitalisierungslösungen mit eStandards live vor Ort erleben – sozusagen als Digitalisierung zum Anfassen.
Mit Best Practices, Faktenblättern, dem KMU-Werkzeugkasten oder dem eKurier ist es mit eStandards gelungen, insgesamt an die 11 000 Unternehmen für die Digitalisierung zu sensibilisieren. Infolgedessen wurden bislang 53 Praxisprojekte zur Digitalisierung mit eStandards branchenübergreifend begleitet.
Kompetenz in künstlicher Intelligenz
Um kleine und mittelständische Unternehmen auch zukünftig optimal auf die Digitalisierung vorzubereiten, erweitert das Kompetenzzentrum eStandards sein Themenspektrum. Ganz vorne dabei: künstliche Intelligenz (KI). Dazu werden ausgebildete KI-Trainer an den einzelnen Standorten neben Umsetzungsprojekten viele Unterstützungsangebote, Demonstratoren und Informationsmaterialien nutzen, um KMU für die KI fit zu machen.
Weitere Themen-Highlights sind die Plattformökonomie und die Blockchain-Technologie. Die Potenziale dieser neuen Technologien für die Geschäftsmodelle kleiner und mittelständischer Unternehmen sollen untersucht und weiterentwickelt werden.
Da Nachhaltigkeit weltweit immer stärker in den Fokus rückt, beschäftigt sich ein weiterer Schwerpunkt damit, welche Chancen Digitalisierung für die Verbesserung der Nachhaltigkeit bietet. Dazu sind Veranstaltungen geplant. Darüber hinaus sind Technologievergleiche, innovative Energiekonzepte und der Einsatz von Green Process Management in Umsetzungsprojekten vorgesehen – insbesondere im Zusammenhang mit New Work und Design Thinking bei der Produktentwicklung.
Auch digitale Kollaborationslösungen sollen dabei stärker in den Mittelpunkt gerückt werden, um KMU fit für Verbundprojekte zu machen. Denn es ist abzusehen, dass Unternehmen in Zukunft insbesondere beim sicheren Datenaustausch über Blockchain und beim gemeinsamen Nutzen von 3-D-Druckern vermehrt zusammenarbeiten werden.
Neue Produktionsprozesse ausprobieren
Neue Fertigungstechnologien – wie den 3-D-Druck gemeinsam zu nutzen –, das ist unter anderem in der Anlauffabrik für Elektromobilität auf dem Campus der RWTH Aachen Campus möglich. Gestartet wurde dieses u. a. vom Land Nordrhein-Westfalen und der Europäischen Union geförderte Projekt bereits im Sommer 2014. Ziel ist dabei, Entwicklern, Produzenten und Zulieferern von Elektrofahrzeugen eine optimale Umgebung zur Verfügung zu stellen, um ihre Idee in Serie zu bringen. Die mietbare Infrastruktur bietet damit eine Plattform zum Austausch zwischen Wissenschaftlern und Experten aus der Industrie für die Zusammenarbeit von Unternehmen, die nach Kooperationsmöglichkeiten suchen. Unter dem Dach des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen profitieren die Unternehmen dabei von der langjähriger Industrieerfahrung und dem Produktionsfokus des Instituts. Kunde der Anlauffabrik ist unter anderem der E-Mobilbauer e.GO aus Aachen.
In der Anlauffabrik werden KMU technische Geräte und Anlagen zur Verfügung gestellt, um ihre Fertigungsprozesse sowie Komponenten hinsichtlich Machbarkeit und Serientauglichkeit zu untersuchen. Prototypen in Form von Fahrzeugen sowie Maschinen können ebenfalls in der Anlauffabrik aufgebaut und validiert werden.
Agil entwickeln mit additiver Fertigung
Der Maschinenpark der Anlauffabrik umfasst Maschinen und Anlagen für unterschiedliche Fertigungsprozesse, wie für das Thermoformen, Fräsen, Biegen, die Additive Fertigung und das Laserschweißen bis hin zu Montagelinien. Auf Prüfständen können die Ergebnisse anschließend validiert werden.

Die neueste Anschaffung ist ein Filament-3-D-Drucker, der miniFactory Ultra. Mit ihm lassen sich beispielsweise Bauteile aus Hochleistungskunststoffen direkt fertigen. Im Fokus steht dabei zudem die Befähigung der agilen Hardwareentwicklung durch additive Fertigung, beispielsweise von medizintechnischen Komponenten aus dem Werkstoff PEEK (Polyetheretherketon). Weitere Anwendung sind Strukturbauteile aus PEI (Polyetherimid) und PEKK (Polyetherketonketon) im Fahrzeugbau sowie die Herstellung von Werkzeugen und Formen.