Unternehmen nur im digitalen Mittelfeld
Die Corona-Krise könnte ein Weckruf für die deutsche Wirtschaft sein, glaubt Achim Berg, Präsident des Branchenverbands Bitkom. Doch nur jedes vierte Unternehmen investiert in digitale Geschäftsmodelle.

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Noch weiß keiner genau, wie sich der aktuelle Lockdown auf die Digitalisierung in der Wirtschaft auswirkt. Doch für Achim Berg steht fest: „Die Corona-Krise hat uns die Bedeutung digitaler Technologien für Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft sehr klar vor Augen geführt.“ Der Präsident des IT-Branchenverbands Bitkom glaubt: „Die Krise ist ein Weckruf, die Digitalisierung nun massiv voranzutreiben.“ In der Vergangenheit – als die Auftragsbücher noch voll waren – hätte man sich zu viel Zeit bei der Digitalisierung gelassen. Das Motto des „Weiter so“ gelte jetzt nicht mehr. Der Lockdown müsse genutzt werden, um zumindest die Planung für neue digitale Geschäftsmodelle voranzutreiben.
Firmen geben sich selbst schlechte Noten
Noch vor der Corona-Krise hat der Branchenverband eine repräsentative Umfrage unter 603 Unternehmen aller Branchen gemacht, die er heute Morgen vorgestellt hat. Danach sind die Unternehmen zwar in den vergangenen zwölf Monaten bei der Digitalisierung vorangekommen, bewerten den eigenen Fortschritt aber eher zurückhaltend. So vergeben Geschäftsführer und Vorstände, gefragt nach dem Stand der Digitalisierung des eigenen Unternehmens, im Durchschnitt nur die Schulnote „befriedigend“. Mittelständler mit 100 bis 499 Mitarbeitern geben sich sogar lediglich ein „ausreichend“.
Zugleich sehen nur noch 22 % die deutsche Wirtschaft im internationalen Vergleich bei der Digitalisierung in der Spitzengruppe, vor einem Jahr waren es noch 26 %. Niemand hält Deutschland weiterhin für weltweit führend in puncto Digitalisierung.
Vorsprung schwer aufzuholen
Die Digitalisierung wird dabei in der Breite der deutschen Wirtschaft positiv gesehen. Neun von zehn Unternehmen sehen sie eher als Chance, nur 5 % als Risiko. Jedes dritte gibt zugleich an, Probleme zu haben, die Digitalisierung zu bewältigen. „Digitalisierung entwickelt sich exponentiell. Je länger man bei der Digitalisierung zögert, umso schwieriger wird es, den Vorsprung der anderen aufzuholen“, davon ist Achim Berg überzeugt. Deshalb gilt jetzt: Nicht im Analogen verharren, sondern so schnell wie möglich die Digitalisierung selbst vorantreiben.“
Jedes fünfte Unternehmen hat keine Digitalstrategie
Laut Umfrage steigt der Anteil der Unternehmen, die die Digitalisierung strategisch angehen, weiter. So haben inzwischen mehr als drei Viertel eine Digitalstrategie entwickelt: 39 % verfügen über Strategien in einzelnen Unternehmensbereichen, 38 % sogar über eine zentrale Digitalstrategie. Allerdings – und das hält Berg für dramatisch – verzichtet immer noch rund jedes fünfte Unternehmen (22 %) auf eine Digitalstrategie. Darunter befinden sich vor allem kleine und mittelständische Unternehmen.
„Wer nicht einmal für Teile seines Unternehmens eine Digitalstrategie aufgestellt hat, muss sich schon fragen lassen, ob er seine Existenz mutwillig aufs Spiel setzen will“, so Berg. „Beunruhigend ist, dass zu viele kleine und mittlere Unternehmen, die das Rückgrat unserer Wirtschaft bilden, bei der Digitalisierung auf Sicht fahren.“
Nicht zum Nulltarif
Nur jedes vierte Unternehmen (24 %) hat zu Jahresanfang geplant, gezielt in die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle zu investieren. Ähnlich viele (23 %) haben dies zumindest im vergangenen Jahr getan, wollen aber 2020 nicht nachlegen. 14 % haben dafür noch noch nie Geld in die Hand genommen. „Digitalisierung ist nicht zum Nulltarif zu bekommen und die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle kostet zunächst einmal Geld.“
Für viele Unternehmen dürfte es sich dabei aber um eine bedeutende Zukunftsinvestition handeln, meint er. Dass Unternehmen unter den aktuellen Umständen kein Geld in die Hand nehmen wollen und vielleicht können, kann Berg verstehen, doch man sollte zumindest Strategien entwickeln.
Bedeutung von Big Data steigt weiter
Parallel zur Investitionszurückhaltung schreiben Unternehmen digitalen Technologien eine immer größere Bedeutung zu – auch wenn der eigentliche praktische Einsatz dieser Einschätzung noch hinterherhinkt. So geben in der Befragung 90 % an, dass Big Data und Datenanalyse von sehr großer oder eher großer Bedeutung für die künftige Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen seien. Dahinter rangieren Themen wie das Internet der Dinge (81 %) und 3-D-Druck (72 %). Deutliche Anstiege gibt es auch bei autonomen Fahrzeugen von 57 % auf 68 % und bei künstlicher Intelligenz von 60 % auf 67 %.
Die drei größten Hürden beim Einsatz neuer Technologien sind nach Ansicht der Unternehmen immer noch die gleichen wie in den Jahren zuvor: Anforderungen an den Datenschutz (79 %), an die technische Sicherheit (63 %) und fehlende Fachkräfte (55 %). Der Mangel an Experten ist aber laut Bitkom-Präsident kein Grund, Homeoffice-Funktionen und Webshops auszubauen. Anders sei das bei Big Data und KI.
Riesenchance für europäische IT-Unternehmen
In der Krise sieht Achim Berg aber auch eine große Chance. Wenn wir es schaffen, Corona schneller in den Griff zu bekommen als andere, biete sich für deutsche Unternehmen die Möglichkeit, frühzeitig einen Schnellstart hinzulegen und nicht als Verlierer, sondern als Gewinner dazustehen. Den Run auf Lösungen von US-amerikanischen Unternehmen wie Office 365 oder die Konferenzplattform Zoom sieht auch Berg. Allerdings legt er auch hier Optimismus an den Tag: „Der Bedarf zeigt, dass auch hier eine Riesenchance für europäische IT-Unternehmen besteht, Lösungen anzubieten, die dann auch noch datenschutzkonform sind.“