VDI-Statusreport Photovoltaik 06. Aug 2020 Von Stephan W. Eder Lesezeit: ca. 5 Minuten

„Kein Dach mehr ohne Photovoltaikmodule“

Solarstrom ist die tragende Säule der Energiewende. Der VDI hat daher der Technik einen eigenen Bericht gewidmet. Martin Kaltschmitt, Obmann des Fachausschusses „Regenerative Energien“, und Fachausschussmitglied Stefan Müller beleuchten Chancen und Risiken.


Foto: panthermedia.net/Goodluz

VDI nachrichten: Im Bericht heißt es schon ganz zu Anfang: „Photovoltaik-Großanlagen in Deutschland ermöglichen heute schon Stromgestehungskosten von unter 0,04 €/kWh. Daraus ergeben sich konkurrenzlos niedrige Erzeugungskosten.“ Warum, und wenn „ja“, bis wann muss es eine Förderung von Solarstromanlagen in Deutschland geben, wie sie bisher durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sichergestellt wurde?

Stefan Müller: Die neuen Photovoltaik-Großanlagen bekommen bei den heute laufenden Auktionen keine Förderung mehr; sie liegen preislich mit 0,04 €/kWh bis 0,05 €/kWh in der Regel unter dem aktuellen Börsenpreis. Bei diesen Auktionen werden aber die Energieabnahmeverträge mit der Bundesnetzagentur gemacht und sind somit besser abgesichert als bei einem privaten Abnehmer.

2020 wird aber bereits rund ein Viertel der neuen Photovoltaikanlagen auch schon komplett außerhalb des EEG gebaut; sie werden mit privaten Energieabnahmeverträgen nachhaltig wirtschaftlich abgesichert. Die Abnehmer sind hier große Energieversorger (z. B. Statkraft), Energiehändler (z. B. Shell) oder auch Unternehmen (z. B. die Deutsche Bahn).

Martin Kaltschmitt: Will man die Ausbauziele im Bereich der erneuerbaren Energien im Stromsektor weitgehend verlässlich erreichen, braucht es ein entsprechendes staatliches Steuerinstrument wie das EEG, auch wenn damit beispielsweise die Photovoltaikanlagen keine Förderung mehr bekommen. Nur dadurch kann sichergestellt werden, dass die Klimaschutzziele auch potenziell erreicht werden, da eine Internalisierung der Kosten des Klimawandels in den Strompreis bisher nicht – beziehungsweise durch das EEG – stattgefunden hat.

Deutscher Strommarkt muss dringend fit gemacht werden für erneuerbare Energien

Gibt es Kostentreiber im Photovoltaikbereich und, wenn ja, wo?

Müller: Momentan sehen wir jedes Jahr weiter fallende Modulpreise und gleichzeitig höhere Wirkungsgrade; wir erwarten auch, dass diese Entwicklung in den kommenden Jahren weitergehen wird.

Aktuell sind Kostentreiber viele behördliche Auflagen, wie die Fernsteuerung auch von kleineren Anlagen, und die Transportkosten, die im Verhältnis zu den eigentlichen Kosten für das Photovoltaiksystem – und damit relativ – immer weiter steigen. Dadurch kommt die Idee von lokal produzierten Photovoltaikmodulen wieder auf die Tagesordnung, zum Beispiel die Ankündigung von Meyer Burger, in eine Produktion in Ostdeutschland zu investieren.

Foto: panthermedia.net/dimitrova

Kaltschmitt: Aus Systemsicht werden die Kosten insgesamt im Stromversorgungssystem mit deutlich weiter steigenden Anteilen einer fluktuierenden Erzeugung und mit dem Ziel der Sicherstellung einer verlässlichen und jederzeit verfügbaren Stromversorgung weiter überproportional ansteigen.

Dies ist aber weniger ein spezifisches Problem infolge weiter ansteigender Anteile an Photovoltaikstrom im Versorgungssystem, sondern auch eine unmittelbare Folge eines Strommarktdesigns, das ursächlich aus den 1990er-Jahren – und hier aus der Umsetzung der Liberalisierung des Strommarkts – stammt und den stark veränderten Strukturen und Zusammenhängen im heutigen Stromversorgungssystem nicht mehr adäquat Rechnung trägt.

Hinzu kommt eine Tarifgestaltung, die prohibitiv im Hinblick auf eine weitergehende Flexibilisierung des Strommarkts mit anderen Sektoren unserer Volkswirtschaft wirkt. Damit könnten viele der heutigen Probleme, die als Kostentreiber identifiziert werden, infolge höherer Anteile einer fluktuierenden Erzeugung durch ein zeitgemäßeres Strommarktdesign und eine andere Verteilung der staatlich geregelten Strompreisbestandteile zumindest näherungsweise gelöst werden.

Bessere Systemintegration senkt Kosten in der solaren Wertschöpfungskette

Wo stecken das zukünftige Innovations- und das Kostensenkungspotenzial im Photovoltaikbereich?

Müller: Weitere Potenziale stecken in den Modulen. Wir sehen derzeit alle sechs Monate eine Erhöhung der Modulleistung um mehr als 5 %. Der Markt wird global zunehmend größer und die Fabriken können den Economy-of-Scale-Effekt ausnutzen.

Des Weiteren werden neue Technologien entwickelt, die es erlauben, neue Modultypen mit höheren Wirkungsgraden auf den Markt zu bringen. Eine regionale Produktion kann auch zu einer Kostensenkung führen, da beispielsweise die Transportkosten von China nach Europa mittlerweile bei über 10 % der Modulkosten liegen.

Kaltschmitt: Neben dem Kostenreduktionspotenzial bei der eigentlichen photovoltaischen Stromerzeugung müssen auch die Kosten einer verbesserten Systemintegration – und damit des Ausgleichs einer angebotsorientierten Erzeugung mit einer marktbasierten Nachfrage – reduziert werden.

Entsprechende Maßnahmen sind unter anderem ein verbessertes Strommarktdesign, verstärkte Sektorkopplung, optimierte Speicher und die Einführung einer Wasserstoffwirtschaft. Eine wesentliche erste Maßnahme wäre eine veränderte Struktur der Steuern, Abgaben und Umlagen auf den Strompreis, damit die Strompreisschwankungen an der Börse an den Endkunden weitgegeben werden können und dort helfen, die noch vorhandenen Effizienzpotenziale zu erschließen.

Deutsche Firmen im Solarstromsektor bisher gute Nischenplayer

Welche Bedeutung haben deutsche Technologieunternehmen noch im Rahmen der Wertschöpfungskette im Photovoltaiksektor und wie wird sich das voraussichtlich weiterentwickeln?

Müller: Es gibt immer mal wieder Forderungen nach einer Photovoltaik-Fertigungsanlage im Gigawatt-Maßstab für Deutschland/Europa. Ob damit letztlich vor dem Hintergrund der starken Marktposition der asiatischen Hersteller Wertschöpfung in Deutschland/Europa generiert werden kann, ist gegenwärtig schwer zu beurteilen. Wächst der Markt und fallen parallel dazu die Preise wie bisher, könnte die Transportkosteneinsparung nach Europa den Aufbau einer entsprechenden Fertigung in Europa rechtfertigen.

Kaltschmitt: Deutsche Unternehmen haben in einigen Bereichen der Photovoltaik-Wertschöpfungskette sehr wohl global eine starke Position. Dies ist beispielsweise bei Wechselrichtern und der Anlagenplanung der Fall. Auch deuten sich innovative Steuer- und Regelkonzepte für bestimmte Nischenanwendungen mit der steigender Marktbedeutung von „Made in Germany“ an. Damit finden deutsche Unternehmen in bestimmten Nischen der Wertschöpfungskette durchaus ihren Markt.

Freiflächenanlagen mit guten Chancen

Dem VDI-Bericht zufolge gibt es ausreichend Fläche zur Installation von Anlagen in Deutschland. Was sind die größten bisher noch brachliegenden Flächenpotenziale und warum werden sie nicht genutzt?

Müller: Die folgenden Faktoren spielen hier eine große Rolle:

a) Es gibt noch genügend Konversionsflächen, die bisher kaum genutzt werden (zum Beispiel versiegelte Flächen, alte Militäranlagen, ehemalige Tagebauflächen, alte Halden, ehemalige Deponien).

b) Die neue Nitratverordnung hat dazu geführt, dass viele landwirtschaftliche Nutzflächen nicht mehr genutzt werden dürfen und brachliegen müssen, diese können für den Zeitraum von 20 Jahren mit Photovoltaik genutzt und so „renaturiert“ werden, die Biodiversität wird erhöht.

c) Landwirtschaftliche Nutzflächen mit geringer bis sehr geringer Bodenqualität (Grenzertragsflächen), bei denen eine extensive Nutzung mittels Photovoltaik eine ökologische Verbesserung bedeuten würde.

Kaltschmitt: Die Vision ist, dass kein Dach und keine Fassade mehr ohne Photovoltaikmodule errichtet wird.

Solarstrom im Gebäude zum Teil ein Nischenthema

Neben Windkraft gilt die Photovoltaik als Schlüssel für die Energiewende, vor allem auch was die Defossilierung im Gebäudesektor angeht. Dennoch haben sich bisher zum Beispiel weder Mieterstrom, Power-to-Heat (PtH) noch gebäudeintegrierte Photovoltaik (BIPV: Building-integrated Photovoltaics) wirklich durchgesetzt, der Solarspeicher auf Lithium-Ionen-Basis hingegen schon. Woran liegt das? Was muss anders gemacht werden?

Müller: Die gesetzlichen Anforderungen für kleine Anlagen oder auch für Mieterstromprojekte sind sehr hoch. Ein privater Nutzer von Photovoltaikstrom auf dem eigenen Dach muss unter anderem eine Umlage zahlen, wenn der seinen eigenen Strom selbst nutzen möchte. Mit einem eigenen Speicher im Haus kommen noch weitere Umlagen und Gebühren dazu.

BIPV ist seit Jahren ein Nischenmarkt und hier spielt leider der Architekt eine große Rolle; seine Forderungen in Bezug auf Farben, Formen und Installationen sind oftmals aus technischen und ökonomischen Gründen nicht erfüllbar.

Solaranlage auf dem Campus Birkenfeld. Foto: Umwelt-Campus Birkenfeld

Kaltschmitt: Der Schlüssel für eine weitergehende Nutzung der Photovoltaik ist ein dringend benötigter Paradigmenwechsel beim Stromversorgungssystem, das trotz der schon erheblichen Veränderungen – bezogen auf die staatliche Rahmensetzung – konzeptionell immer noch als ein „klassisches“ Versorgungssystem angelegt ist; der zunehmenden Dezentralität und den völlig veränderten Aufgaben des Netzes wird dieses heute gültige Regelwerk nicht gerecht.

Deshalb muss die nächste Bundesregierung hier einen veränderten Regelungsrahmen erarbeiten und implementieren, der eine weitergehende Nutzung des erneuerbaren Energieangebots – und hier insbesondere der Photovoltaik – unterstützt und nicht behindert.

Fahren mit dem Strom vom Dach

Redet man von Elektromobilität, wird immer das Laden des Vehikels mit dem dacheigenen Solarstrom als Vision bemüht. Für wie realistisch halten Sie das und warum?

Müller: Die meisten Elektrofahrzeuge werden eher zu Hause geladen als an öffentlichen Ladestationen. Ich habe selber ein Elektrofahrzeug und werde „irre“ bei den ganzen unterschiedlichen Anbietern, Abrechnungsmodi und Apps. Ich fahre seit neun Monaten ein E-Auto und habe noch nie „öffentlich“ geladen. Dabei nutze ich meine eigene Photovoltaikanlage und einen externen Lithium-Ionen-Speicher, um so viel wie möglich selber zu nutzen und nichts einzuspeisen.

Kaltschmitt: Unsere Einschätzung ist auch, dass die vorhandenen Elektrofahrzeuge primär zu Hause – oder eingeschränkter auf den Parkplatz bei der Arbeitsstätte – geladen werden; „öffentliches“ Laden hat bisher eher eine eingeschränkte Bedeutung. Dies könnte sich aber mit einer zunehmenden Marktdurchdringung der Elektromobilität und verbesserter Schnellladetechniken ändern.

Der VDI-Statusbericht hier zum Download:

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