Der Mensch dirigiert autonome Logistiknetzwerke
Frank Straube verleiht am Freitag in Berlin den MX Manufacturing Excellence Award 2019. Zuvor sprach er mit uns über digitale Transformationsprozesse in der Warenwirtschaft.

Foto: tristan vankann/fotoetage
VDI Nachrichten: Welche zukunftsweisenden Trends sehen Sie aktuell in der Logistik?
Straube: Die Logistik wird momentan von zwei Trends maßgeblich geprägt. Dies sind zum einen die digitale Transformation und zum anderen Nachhaltigkeit sowie soziale Verantwortung in Wertschöpfungsnetzwerken. Erst kürzlich hat unser Lehrstuhl eine Studie zur digitalen Transformation veröffentlicht, die das Thema in vier Bereichen beleuchtet: Technologien und Plattformen, datengetriebene Services, Organisation und Führung sowie Open Innovation.
Und welche Ergebnisse der Studie stufen Sie als besonders bedeutend ein?
Zunächst wurde durch unsere Untersuchung belegt, dass die teilnehmenden Logistikexperten die Bedeutung der digitalen Transformation erkannt haben und diese als Grundlage für vernetzte und teilautonome Netzwerke ansehen. Komplett autonome Prozesse in den wichtigsten operativen Logistikprozessen aber werden erst in zehn Jahren Realität werden.
Besonders wichtig aus meiner Sicht ist, dass dem Menschen als Dirigenten dieser teilautonomen Logistiknetzwerke eine besonders bedeutende Rolle zufällt. Oder, anders formuliert: Manager und Managerinnen werden als Initiatoren und Promotoren von Projekten der digitalen Transformation über die Fähigkeiten zur Weiterentwicklung dieser Lösungen verfügen müssen.
Gab es denn auch Studienergebnisse, die selbst Sie als „alten Hasen“ überrascht haben?
Die gab es in der Tat. Beispielsweise hat sich herausgestellt, dass diejenigen Unternehmen besonders erfolgreich sind, die das Unternehmertum unter ihren Mitarbeitern fördern.
Was ist an dieser Erkenntnis so besonders?
Obwohl das Konzept, mehr Unternehmertum der Mitarbeiter zu fördern noch wenig verbreitet ist, unterscheidet es die Best-Practice-Unternehmen von anderen, was gleichermaßenfür Industrie, Handel und Logistikdienstleister gilt.
Aber unsere Befragung hat noch andere interessante Ansätze hervorgebracht. Beispielsweise wurde die Notwendigkeit genannt, eine Kultur zu etablieren, die Fehler als Lernquelle sieht. Oder aber der Nutzen einer stärkeren Zusammenarbeit von Industrie, Handel und Logistikdienstleister.
Damit lassen sich mehrwertstiftende Kundenlösungen schaffen. Allerdings erweisen sich immer wieder die bestehenden Medienbrüche, Datenprotektionismus und die Unsicherheit bezüglich neuer Machtstrukturen als Barrieren für datengetriebene Services in autonomen Logistiknetzen.
Und welche Erkenntnisse sollten vor allem kleinere Unternehmen aufhorchen lassen?
Hierzu kann ich nur sagen, dass Agilität und die Fähigkeit einfache, App-basierte Lösungen zu entwickeln, die zum Beispiel die oben genannten Medienbrüche überwinden, Erfolgsfaktoren sind. Gerade das sind Attribute, die KMUs zugeschrieben werden.
- folgte im Oktober 2004 dem Ruf an die TU Berlin und ist seither Leiter des Bereichs Logistik am Institut für Technologie und Management.
- ist Mitglied im Beirat der Bundesvereinigung Logistik (BVL). Zwischen 1997 und 2009 war er dort Mitglied des Vorstandes.
- studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Berlin. 1987 promovierte er dort im Bereich Logistik. rmw
In welchem Sektor wird nach Ihrer Ansicht die beschriebene digitale Transformation schneller erfolgen, in der Intralogistik oder in der Transportlogistik?
Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Der Ursprung der digitalen Transformation findet sich bekanntlich in der „Smart Factory“, allerdings hat sich der Fokus auf das gesamte Wertschöpfungsnetz ausgeweitet. Generell gilt, die digitale Transformation erhöht die Dependenzen der Akteure in Wertschöpfungsnetzen. Transportdienstleister sind aufgrund geringer Margen häufig zögerlich bei Innovationsprojekten, haben aber aufgrund ihrer verbindenden Funktion eine exzellente Position, um digitale Lösungen zu entwickeln und zu implementieren. Unsere Untersuchungsergebnisse zeigen, dass Dienstleister, die in Technologien investieren und fortschrittliche Innovationsmethoden nutzen, bessere Leistungskennzahlen aufweisen, als ihre Wettbewerber.
Dann werden sich also auch Führung und Organisation in Logistiknetzen durch die digitale Transformation verändern. Wohin wird der Weg führen?
Klassische Hierarchien müssen agileren Führungs- und Organisationsprinzipien weichen. Organisationen werden innovationsfreundlicher strukturiert und Mitarbeitende organisieren sich, wo es inhaltlich sinnvoll ist, projektbezogen in selbstständigen Teams. Diese Entwicklung wird teils aber noch durch psychologische Faktoren wie tradierte Denkweisen des Managements verzögert.
Welche Fähigkeiten müssen Logistikmitarbeitende demzufolge im Zuge der digitalen Transformation erlernen und – eine weiterführende Frage – wie können Unternehmen dem Fachkräftemangel begegnen?
Die Logistiker der Zukunft müssen mehr denn je in der Lage sein, interdisziplinär zu denken und verschiedene Sektoren zusammenzudenken. Fähigkeiten zur Datenanalyse und Aufgeschlossenheit gegenüber neuen technologiegetriebenen Konzepten sind weitere wichtige Faktoren. Somit sollten Unternehmen kontinuierliche Weiterbildung betreiben und eine offene Innovationskultur etablieren, um Mitarbeitende zu halten und zu gewinnen.
Wenn Sie Wünsche formulieren dürften, die der weiteren Entwicklung der digitalen Logistik dienlich wären, welche wären das?
Zunächst einmal würde ich mir bessere Datenarchitekturen inklusive klarer Standards wünschen, die eine stärkere Kollaboration in Wertschöpfungsnetzwerken vereinfachen. Ein weiterer Wunsch betrifft die Förderung und Entwicklung von Konzepten, die basierend auf neuen Technologien – helfen, Lösungen zu entwickeln, welche die soziale Verantwortung der Logistik stärken. Das können nachhaltigere Transporte, neue Bildungsangebote, Ressourceneffizienz in der Produktion oder Schärfung des Bewusstseins für das Leistungsspektrum und die damit verbundenen Effekte der Logistik für ein Umdenken bei Endkunden sein.
Im Bereich Stadtlogistik ist eine stärkere und frühzeitigere Integration von Stadtplanern, Politik,Logistik, IT und Technologieanbietern, Start-ups und OEMs wünschenswert, um proaktiv intelligente Lösungen für eine nachhaltige Stadtlogistik von morgen zu schaffen, anstatt nur die Effekte der zunehmenden Urbanisierung zu bekämpfen.
- Mit dem MX Award werden im Rahmen der Initiative Manufacturing Excellence seit 2004 Unternehmen für innovative und kreative Produktionslösungen am Standort Deutschland ausgezeichnet. Der Benchmarking-Wettbewerb wird vom Fachgebiet Logistik der Technischen Universität Berlin durchgeführt. Die VDI nachrichten sind Medienpartner.
- Die Forschungsstudie „Pathway of Digital Transformation in Logistics“ der TU Berlin beleuchtet vier Schlüsseltreiber der digitalen Transformation. Das sind Technologien inklusive digitaler Plattformen, datengetriebene Services, Führung und Organisation sowie Open Innovation. In einer Onlinebefragung und einem Delphi-Workshop wurden Konzepte erfolgreicher Unternehmen sowie zukünftige Entwicklungen in der Logistik identifiziert. Der Delphi-Workshop wurde mit 32 Teilnehmenden durchgeführt, die vorrangig aus Industrie und Logistikdienstleistungsunternehmen kommen. Die Studie in englischer Sprache gibt es im Internet kostenfrei zum Download
Ein anderes Thema: Wie bewerten Sie die Entwicklungen bei den Logistikdienstleistern werden Amazon und Zalando die Dienstleister der Zukunft?
Amazon setzt auf einen starken Verdrängungswettbewerb. Wie die Marktkonsolidierung beispielsweise im KEP-Bereich (Anm. d. Red.: Kurier-Express-Paketdienste) genau aussehen wird, wird sich zeigen. Wobei Amazon, Zalando und Co. den Vorteil haben, dass sie datengetrieben agieren und über Endkundendaten verfügen.
Letztlich wird ein entscheidender Erfolgsfaktor sein, End-to-End-Transporte kundenfreundlich z. B. über Plattformen anzubieten. Hier haben auch etablierte Logistikdienstleiter gute Voraussetzungen, solche Lösungen zu etablieren und die nötige kritische Masse als Nutzer zu gewinnen. Voraussetzung ist auch hier ein ganzheitlicher, transdisziplinärer Ansatz.
Abschließend: Der Leitgedanke unter dem Sie als Vorsitzender der Jury den MX Manufacturing Excellence Award an diesem Freitag in Berlin verleihen werden lautet „Wertschöpfung in Deutschland erhalten und absichern“. Welche Maßstäbe legen Sie bei der Bewertung der Unternehmen an?
Für eine hohe Gesamtbewertung müssen die Teilnehmer in zwei Bereichen besonders überzeugen. Zum einen wird ein Stand der Technik erwartet, der auf aktuellen Erkenntnissen aus der Wissenschaft und validierten Methoden aus der Praxis basiert. Das breit aufgestellte Netzwerk des MX Teams gewährleistet dieses zweigleisige, fundierte Beurteilungsvermögen. Zum anderen greift der MX Award auf 15 Jahre Erfahrung zurück, wodurch sich über lange Jahre hinweg stichfeste Kriterien herauskristallisieren konnten.
Wie würden Sie denn den Kern des MX-Gedankens beschreiben?
Der MX überzeugt durch seine breite Themenwahl und ausführliche Tiefe. Dies lädt Unternehmen ein, sich kritisch mit ihrer eigenen Lage auseinanderzusetzen und zu identifizieren, wie sie exzellente Konzepte auf ihre Erfordernisse zuschneiden und weiterentwickeln können. So entstehen Innovationen, die Maßstäbe setzen und als Best Practices wiederum in neue Erkenntnisprozesse einfließen.
Wie erfolgreich hierbei die Implementierung abschließend gelungen ist, kann gerade mit den Gewinnerunternehmen der Vorjahre als Benchmark festgehalten werden. Durch die Nähe zur Technischen Universität Berlin können technische Aspekte aus wissenschaftlicher Sicht bewertet werden. Die Zusammenstellung des Assessoren-Teams aus ehemaligen Gewinnern des MX Awards stellt eine praxisorientierte Beurteilung sicher. Somit kann auf ausgewiesene Expertise zurückgegriffen und ein Maßstab für Exzellenz gesetzt werden.