Motorenmix der Zukunft
Sieben Experten stritten um die Zukunft des Verbrennungsmotors. Die Fachleute waren sich einig, dass Diesel- und Benzinmotoren noch lange erhalten bleiben. Doch dafür gibt es noch viel zu tun.

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Dieselskandal und mögliche Fahrverbote, für die das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig den Weg frei machte, zeigen Wirkung: Deutsche Autokäufer wenden sich vom Diesel ab. Im Februar brach die Zahl der Dieselneuzulassungen im Vergleich zum Vorjahresmonat um 19,5 % ein, obwohl der Neuwagenabsatz um deutliche 7,4 % (262 000) gegenüber dem Vorjahresmonat zulegte. Noch heftiger sieht der Vergleich zwischen 2014 und 2017 aus. Seither hat das Interesse an Dieselmotoren um 35 % abgenommen.
Verbrennungsmotoren bleiben allerdings nach wie vor die erste Wahl beim Kunden. Der Anteil der benzinbetriebenen Pkw lag mit 57,7 % leicht über dem Vorjahresniveau während jener der Selbstzünder mit 38,8 % gegenüber 2016 deutlich abnahm. Die Nachfrage nach alternativen Antrieben und Kraftstoffen stieg zwar deutlich, allerdings von einem niedrigen Niveau. Zusammen mit Autogas-Pkw und Erdgasfahrzeugen erreichte der Anteil alternativer Antriebe gerade einmal 3,4 %. Unter den 3,44 Mio. im vergangenen Jahr neu zugelassenen Pkw befanden sich laut Kraftfahrtbundesamt (KBA) außer 25 056 Elektrofahrzeugen auch 84 675 Pkw mit Hybridantrieb.
Wie eine lange Zukunft des Verbrennungsmotors im Automobil aussehen könnte und wie Alternativen sich etablieren könnten, diskutierte Anfang März beim Roundtable der VDI nachrichten in Düsseldorf eine Expertenrunde, deren Teilnehmer teilweise dem VDI-Arbeitskreis Fahrzeug- und Verkehrstechnik (FVT) entstammen.
„Der Diesel wird immer weiter verbessert und damit eine ganz wichtige Säule bleiben“, ist Thomas Koch, Leiter des Instituts für Kolbenmaschinen (IFKM) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) der festen Überzeugung. „Die Hersteller, die sich heute vom Diesel distanzieren, werden zeigen müssen, ob sie sich in einem harten Wettbewerbsumfeld, zumindest in Europa, auch in Zukunft etablieren können.“ Dass Motoren nach dem Selbstzünderprinzip erhalten bleiben werden, ist auch für Andreas Schamel, Direktor Ford Global Powertrain, Research and Advanced Engineering, unstrittig. Ob sie allerdings noch mit fossilem Diesel betrieben werden müssen, nicht: „Ich sehe durchaus, dass wir nach und nach erneuerbare Kraftstoffe mit in den Mix kriegen. Aber wo längere Strecken, schwerere Fahrzeuge, höhere Lasten, hohe Effizienz und hohe Energiedichte gefragt sind, werden wir bei flüssigen Kohlenwasserstoffen bleiben“, ist Schamel überzeugt. Aus diesem Grund ist der Verbrennungsmotor auch für Ralf Marquard zukunftsfähig. Der Beratende Ingenieur und Beiratsvorsitzende des VDI-Arbeitskreises Fahrzeug- und Verkehrstechnik (FVT) sagt: „Biogene und synthetische Kraftstoffe werden stetig an Bedeutung gewinnen.“
Was die technischen Reinigungsmöglichkeiten angeht, sieht Thomas Koch die Probleme beim Dieselantrieb vollumfänglich als gelöst an. Für Hardwareumrüstungen von Altfahrzeugen sieht er jedoch keinen Handlungsbedarf. Die Softwareupdates brächten seiner Einschätzung nach im Flottenmittel eine Stickoxidreduzierung von bis zu bis 30 %. Fahrzeuge mit einem SCR-Katalysator (AdBlue) und Euro-5-Schadstoffklasse erreichten damit eine Stickoxidreduzierung von 50 % und Euro-6b-Fahrzeuge von 90 %. „Bei Euro-6b bin ich von der Industrie allerdings enttäuscht, dass sie die Technologie nicht eingesetzt hat, als sie zur Verfügung stand“, meint Koch. „Da wären bereits ab Werk bis 90 % NOX-Reduzierung möglich gewesen, die jetzt durch Softwareupdates zu Lasten eines erhöhten Adblue und Kraftstoffverbrauchs umgesetzt werden müssen.“
Für VDI-Präsident Udo Ungeheuer sind Fahrverbote keine Lösung. Er mahnte bei der Umsetzung des Leipziger Urteils eine pragmatische, zukunftsgerichtete Vorgehensweise an. Verbraucher und der Automobilstandort Deutschland dürften keinen Schaden nehmen. Für Marquard bedeutet das, statt Milliardensummen in Zwischenlösungen wie Hardwarenachrüstungen zu stecken, solle die Automobilindustrie ihre gesamte Entwicklungskapazität lieber in Zukunftssysteme investieren: „So eine Zwischenlösung bindet große Budgets und viel Kapazitäten, die in Zukunftssystemen besser aufgehoben wären.“ Im Idealfall führe das zu Produkten, die auf dem Weltmarkt deutliche Vorteile böten.
Technisch sind solche Zwischenlösungen für Ford-Entwickler Schamel machbar, aber wenig sinnvoll. Zum konzeptionellen Machbarkeitsnachweis des ADAC merkt er an: „Aber es gibt keine Lösung von der Stange, die sofort anwendbar wäre. Was man in der Großserie unter allen Störrahmenbedingungen, unter allen Kälte-, Wärme-, Wetterbedingungen und Benutzerverhalten wirklich freigeben kann, ist ein Riesenunterschied zur Theorie und ein Riesenaufwand.“
Rudolph Neuroth lässt das nicht gelten. Der Geschäftsführer der VDI/DIN-Kommission Reinhaltung der Luft (KRdL) sagt: „Um Fahrverbote zu vermeiden, muss man vielleicht auch die Kröte schlucken und eine Nachrüstung durchführen, auch wenn sie vielleicht teuer ist.“ Mit der Entscheidung des Leipziger Bundesverfassungsgerichtes für mögliche Fahrverbote sei eine Entscheidung gefallen, der man sich aktuell stellen sollte. „Da ist jetzt im Luftreinhalteplan mit drin. Und das schafft Druck im Kessel“, mahnt er.
Marcel Langner, Leiter „Grundsatzfragen der Luftreinhaltung“ beim Umweltbundesamt (UBA), sieht Softwareupdates und neue Motoren, die die Stickoxidgrenzwerte einhalten, nur als Teillösung: „Kurzfristig haben wir das Problem des Bestandes.“ Da müsse geschaut werden, wie die Reduktion aktuell realisierbar sei, sonst könnten Grenzwerte für die Luftqualität bis 2030 an hochbelasteten Standorten in Deutschland womöglich nicht eingehalten werden.
Tatsächlich wurden 2017 im Jahresmittel in 70 Städten und Kommunen Überschreitungen der Emissionsgrenzwerte bei den Stickoxiden dokumentiert. Das waren zwar 20 weniger als im Jahr davor, doch Langner reicht das nicht. Die schon länger in der Diskussion stehende blaue Plakette, die emissionsärmere Fahrzeuge vom Fahrverbot ausnehme, ist für ihn eine Option, um zumindest an belasteten Stellen wieder bessere Luftwerte zu bekommen.
„Man muss auch Signale an die Verbraucher senden, was aus Sicht der Luftreinhaltung gute Fahrzeuge sind und welche es nicht sind. Der Normalverbraucher weiß nicht so genau, ob ein Euro-6-Fahrzeug noch gut oder ein Euro-6d-temp besser ist“, meint der Mann vom Umweltbundesamt. Eine dunkelblaue wie auch die kürzlich zusätzlich vorgeschlagene hellblaue Plakette hätten seiner Ansicht nach den Vorteil, dass verunsicherte Kunden beim Händler sehr gezielt nach einem Auto mit einer solchen Plakette fragen und dann genau das Auto kaufen können, das ihre Anforderung erfüllt. Für Langner wäre eine blaue Plakette also ein Schritt, der andauernden Verunsicherung der Kunden ein verlässliches Siegel und dadurch wieder Kaufanreize entgegenzusetzen.
Die Experten lehnen eine blaue Plakette nicht grundsätzlich ab. Thomas Koch erwartet jedoch von der Politik deutliche Zeichen: „Die Menschen müssen Gewissheit haben, egal welches Auto sie heute kaufen, ob es ein Plug-in-Hybrid oder ein Diesel ist, dass sie damit auch künftig in der Stadt fahren dürfen.“ Für ihn könnte eine blaue Plakette ein Schritt in diese Richtung sein. Probleme sieht Ford-Manager Schamel jedoch in der Vorlaufzeit. „Damals bei den roten, gelben und grünen Umweltplaketten war die Einführungsphase ja so, dass die Leute schon lange vorher bewusst planen und entscheiden konnten, welchen Antrieb mit welcher Plakette sie kaufen wollen.“ Sie hätten genug Zeit gehabt, ihren Altwagen zu einem akzeptablen Preis verkaufen zu können. „Führt man diese Plakette von heute auf morgen ein, enteignet man quasi die Menschen, die sich in den letzten zehn Jahren ein Dieselauto gekauft haben“, so Schamel
Die Finanzierbarkeit sei dabei ein nicht zu unterschätzender Aspekt, warf VDI-Präsident Ungeheuer ein und traf in der Runde auf Zustimmung. Marquard pflichtet ihm bei: „Es kann sich ja nicht jeder, der sich vor zehn Jahren ein Auto gekauft hat, sofort ein neues leisten, wenn morgen eine blaue Plakette eingeführt würde und er mit seinem alten Auto nicht mehr in bestimmte Innenstädte käme.“ Er fügt hinzu: „Es wird zahlreiche Familien geben, die dann in bestimmten Regionen nicht mehr vollumfänglich am Individualverkehr teilnehmen können.“
Auch die bereits weltweit getätigten Investitionen der Automobilindustrie z. B. in Fertigungslinien für Verbrennungsmotoren dürfen laut VDI-Präsident Ungeheuer nicht außer acht gelassen werden. Und Marquard ergänzt dazu: „Aus wirtschaftlicher Sicht müssten diese Produktionslinien noch sehr lange genutzt werden und dürfen nicht zu früh abgeschrieben werden.“ Noch fehlen seiner Ansicht nach ähnlich großflächige Investitionen in Produktionsstraßen für den Einstieg in die Elektromobilität. „Die Entscheidungen für derartige Investitionen fallen heute natürlich schwer, weil sich die technischen Ausführungen in der Elektromobilität noch im Wettbewerb befinden“, so Marquard weiter. Es gäbe noch nicht das eine zielführende Konzept für eine Großserie.
Der Diesel ist damit keinesfalls tot, darüber sind sich die Experten einig. Er mache allerdings nicht mehr überall Sinn. Der Kostenaufwand für die Abgasnachbehandlung ist z. B. laut Ford-Mann Schamel in den unteren Fahrzeugklassen kaum mehr vermittelbar. In höheren Klassen falle der Aufpreis dagegen prozentual weniger ins Gewicht und bei Vielfahrern jenseits einer Kilometerleistung von 40 000 km/Jahr sei der Dieselantrieb noch nahezu konkurrenzlos.
Weil der Verbrauchsvorteil von Dieselfahrzeugen durch die Abgasreinigung im Vergleich zum Benziner sinke, hält Langner vom UBA die strengen gesetzlichen CO2-Vorgaben auch ohne den Diesel für erreichbar. Mit einem Diesel verbrauche man nicht grundsätzlich weniger. „Das eine Gramm CO2 pro Kilometer ist quasi zu vernachlässigen.“ Probleme sieht er eher darin, dass am Markt seit geraumer Zeit immer größere und schwerere Fahrzeuge nachgefragt würden. Leichtbau und Downsizing der Motoren ist für ihn ein wichtiger Schritt, um den CO2-Ausstoß zu senken.
„Die Autos wurden immer schwerer, weil im Laufe der Jahre und Jahrzehnte immer mehr Komfortfeatures und Sicherheitstechnik eingebaut wurden“, nannte Ungeheuer einen der Gründe, warum heutige Pkw ein durchschnittliches Gewicht von deutlich über einer Tonne aufweisen. Die Fahrzeuge müssen leichter und weiter optimiert werden, pflichtete ihm Koch vom KIT bei. Das passiert laut Marquard auch: „Die Autoindustrie unternimmt äußerst große Anstrengungen, Nachfolgefahrzeuge leichter zu machen als ihre Vorgänger. Beim Leichtbau wird unglaublich gute Arbeit geleistet, das hat dann wesentliche Vorteile bei der Fahrdynamik und beim Verbrauch.“
Und wie sieht es mit alternativen Kraftstoffen und Elektromobilität aktuell aus? Eine aktuelle Deloitte-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Hälfte aller Deutschen nicht bereit ist, erhebliche Mehrkosten für die Elektromobilität zu akzeptieren. Nur 7 % würden demnach beim nächsten Autokauf zu einem E-Mobil greifen, immerhin 23 % könnten sich ein Hybridmodell vorstellen. Zwei Drittel der Befragten würde also immer noch zum reinen Verbrennungsmotor greifen.
Unter dem Aspekt haben synthetische Kraftstoffe, die unter dem Begriff „Power to Liquid“ subsumiert werden, für UBA-Mann Langner einen gewissen Charme: „Man nimmt eine erneuerbare Energie und nutzt diese, um einen flüssigen Energieträger herzustellen, der dann in Verbrennungsmotoren genutzt werden kann.“ Derzeit gibt es in Deutschland jedoch noch zu wenige Anlagen, die erneuerbare Energien produzieren, geschweige denn Raffinerien, die diese synthetischen Kraftstoffe (PTX) produzieren könnten. Laut dem Erdölkonzern Shell wird nicht erwartet, dass vor 2030 marktrelevante Mengen PTX-Kraftstoffe zur Verfügung stehen könnten.
Auch gasbetriebene Fahrzeuge können noch keine marktrelevanten Zahlen aufweisen. Dafür sieht Ford-Mann Schamel hauptsächlich zwei Gründe: „Die Fahrzeuge sind bivalent, d.h. nicht auf den reinen Erdgasbetrieb optimiert. Sie spielen den Vorteil des Kraftstoffes also nicht aus“, erläutert er. Ein optimierter monovalenter CNG-Motor könne die Effizienz des Diesels jedoch übertreffen. Auch die Psychologie spielt für ihn eine Rolle: „Wir preisen Erdgas an der Tankstelle in Kilogramm aus und nicht als Energieäquivalent. Das heißt, es sieht nur wenig günstiger aus, dabei ist es dramatisch günstiger.“
Durch Elektromobilität können Emissionen lokal gesenkt werden, sind sich die Experten einig. Doch bei Reichweiten und Ladeinfrastruktur herrscht Skepsis. Deshalb bricht Thomas von Unwerth, Professor für Alternative Fahrzeugantriebe an der Fakultät Maschinenbau der TU Chemnitz, die Lanze für die Brennstoffzellentechnik: „Ich möchte unter Elektromobilität auch den Brennstoffzellenantrieb verstanden haben.“ Der Elektromotor des Fahrzeugs wird mit Strom betrieben, der aus Wasserstoff (H2) an Bord produziert wird, indem er in einer Brennstoffzelle mit Sauerstoff reagiert. „Als Abfallprodukt der Brennstoffzelle fällt lediglich Wasser an“, so von Unwerth. Somit lasse sich das Fahrzeug in wenigen Minuten betanken.
„Bei den langen Aufladevorgängen rein batterieelektrischer Fahrzeuge bräuchte eigentlich jedes Auto fast eine eigene Auflademöglichkeit“, sagt von Unwerth und fügt hinzu: „Die Kosten für diese Infrastruktur würden proportional mit der Fahrzeugflotte wachsen.“ Einfacher und praktikabler wäre daher eine Wasserstofftankstelle für viele Fahrzeuge. In Deutschland jedoch gibt es derzeit gerade rund 40 Wasserstofftankstellen, weltweit waren es 2016 nur knapp über 200.
„Die Infrastruktur ist immer der Flaschenhals“, bemerkt Udo Ungeheuer und verweist in dem Zusammenhang auch auf das Nadelöhr bei der E-Mobil-Ladeinfrastruktur. Marquard verdeutlicht: „Wir tun uns gerade schwer damit, zwei Gleichstromtrassen durch das Land zu legen.“ Für das schnelle Aufladen von Batterien für Elektrofahrzeuge wären seiner Ansicht nach wohl noch zusätzlich bis zu zehn Trassen nötig sowie viele Schnellladestationen, für die viele dicke Kabel verlegt werden müssten, um in akzeptabler Zeit die Batterien eines Elektroautos aufzuladen. „Das sind riesige infrastrukturelle Herausforderungen.“
Auf kurze Sicht scheinen daher schnelle Lösungen zur Reinhaltung der Luft nach Meinung der Umweltexperten nicht möglich. „Warten wir 2019 ab“, versucht Tomas Koch vom KIT einen Ausblick auf die Wirkung der Softwareupdates. Man müsse der Technik schon zugestehen, dass die jetzt eingeleiteten Maßnahmen eben nicht von heute auf morgen ihre Wirkung entfalteten. Diese Entwicklung, die 2017 intensiv angestoßen wurde, werde erst 2019 vollumfänglich wirksam. „Einhergehend mit anderen sinnvollen Maßnahmen bin ich davon überzeugt, dass es 2019 dann nur noch ganz wenige Stellen geben wird, wo die Grenzwerte überhaupt überschritten werden“, ist Koch überzeugt.