Die Produktion wird agil
Starre Prozesse werden durch Softwareeinsatz flexibler. Daten aus der Produktion sollen dabei für Zuverlässigkeit bei der Produktionsanpassung sorgen.

Flexibles Fabriklayout: Auf dem RWTH-Aachen-Campus werden künftige Konzepte der Produktion und Betriebslogistik in einer Demonstrationsfabrik erprobt.
Foto: WZL/RWTH Aachen
Gravierende Veränderungen für Produktionsunternehmen mit positiven Effekten für die Experten in der Produktion, erwartet Günther Schuh, geschäftsführender Direktor des Werkzeugmaschinenlabors (WZL) der RWTH Aachen. Das konkretisierte er anlässlich des Aachener Werkzeugmaschinen Kolloquiums (AWK) am 18. Mai: „Wir Produktioner gelten bisher als diejenigen, die die Agilität in einem Industriebetrieb verhindern, weil wir unsere Zeit brauchen um Dinge vorzubereiten, um sie dann auch nutzen zu können.“ Weil sich dank digitaler Vernetzung Informationen nun vollautomatisiert verbreiten und verarbeiten lassen, könne nun auch die Produktion schneller reagieren: „Wir können jetzt auf einmal agil werden“, so Schuh.
Nach dem Vorbild erfolgreicher US-Konzerne wie Google und Amazon gehe es dabei immer um die internetbasierte Vernetzung von „digital veredelten Endgeräten“. Als Beispiel nannte er die Verknüpfung einzelner Parameter wie Wetterdaten, mit denen andere Prognosen verbessert werden können. Analog zum „Internet of Things“ gelte es nun ein „Internet of Production“ zu schaffen – quasi eine nicht-proprietäre Suchmaschine für Zusammenhänge, die innerbetrieblich, domänenübergreifend und bei Bedarf auch unternehmensübergreifend zur Verfügung steht.
Die große Herausforderung besteht laut Schuh darin, dass technische Systeme durch sehr viele Parameter beschrieben werden. „Wir können aber mit unseren vielen Parametern umgehen, weil wir die Daten mit technischem Sachverstand und unseren Systemen vorverdichten und vorbereiten“, verdeutlichte der WZL-Direktor. Eine solche Plattforminterpretation helfe, Industrie 4.0 tatsächlich umzusetzen.
Das ist laut Stefan Hartung, Geschäftsführer bei der Robert Bosch GmbH, auch dringend notwendig. Denn so sehr sich Unternehmen Stabilität und Sicherheit für ihre Geschäftsprozesse wünschten, so deutlich sei es, dass die Volatilität der Märkte nicht abnehme. „Wir müssen alles in Frage stellen, was wir uns jemals erarbeitet haben“, machte er in Aachen im Bezug auf Entwicklungsmethoden deutlich. Als Beispiel nannte er die VDI-Richtlinie 2221 (Methodik zum Entwickeln und Konstruieren technischer Systeme und Produkte). Ebenso gelte es Prozessketten und Organisationsstrukturen zu hinterfragen.
Hartung wies darauf hin, dass Menschen die vorher in „Rechenzentren versteckt waren“ nun mit völlig neuen Ansätzen auf sich aufmerksam machen. Für Ingenieure sei es erst einmal sehr schwer zu ertragen, wenn IT-Spezialisten auf Formeln verzichteten und einfach nur große Datenmengen haben wollten.
Unterstützung bekommen die Datensammler laut Hartung durch neue IT-Infrastrukturen wie Cloud-Computing. Ein stabiles Netz vorausgesetzt, stünden so Rechenzentren mit einer nahezu unbegrenzter Rechen- und Speicherleistung zur Verfügung. Statt Funktionen zu programmieren, ließen sich Bausteine aus Bibliotheken herunterladen.
Bei einem anderen Konzept, dem Edge- bzw. Fog-Computing, welche dem Cloud-Computing folgten, werde beispielsweise mit per Funk vernetzten Sensoren gearbeitet. Ohne direkten Kontakt zu Maschinensteuerungen, erfassten die Sensoren statt einzelner Daten gleich mehrere Größen wie Temperatur, Schwingung und dynamische Belastungen. Hartung berichtete, dass so Zusammenhänge entdeckt würden, die vorher nicht bekannt waren.
„Wir lassen die künstliche Intelligenz und IT-ler in die Produktion“, verdeutlichte der Bosch-Geschäftsführer die Konsequenz für Industrieunternehmen. Bisher habe man IT-Mitarbeiter nicht an Maschinensteuerungen dran gelassen, schon gar nicht an Echtzeitsysteme. Mit Industrie 4.0 sei es nun aber erforderlich, Prinzipien aus der IT in die Produktion zu bringen, sonst ließen sich kurzfristige Softwareanpassungen (Updates) nicht so effizient realisieren wie in Büroumgebungen. Bisher traue sich das niemand. Künftig würden Kunden allerdings „update-bare Funktionen“ erwarten. Es gehe dabei nicht um die Echtzeitebene und Nanosekunden-Takte. Daten die im Sekundentakt gewonnen werden reichten bereits aus, um mit Hochleistungscomputing „mehr zu erreichen, als je in eine Maschine gesteckt wurde.“
Sabina Jeschke, Direktorin des Cybernetics Lab IMA/ZLW & IfU der RWTH Aachen, erwartet durch Industrie 4.0 sogar einen „dramatischen Durchbruch für die künstliche Intelligenz“. Im Gegensatz zu den Computersystemen der Vergangenheit, seien IT-Spezialisten nun in der Lage Systeme zu bauen, die das alltägliche Chaos beherrschten. Statt Lösungen komplett zu programmieren, würden selbstlernende Systeme ausgehend von einem ausreichend guten Ansatz ihre Strategien kontinuierlich weiterentwickeln.
Auch in Sachen Kreativität, die bisher als menschliches Alleinstellungsmerkmal gilt, sieht Jeschke Weiterentwicklungen bei der künstlichen Intelligenz (KI). Auf dem AWK berichtete sie von einem Roboterwettbewerb, den ein Team mit einer Maschine gewonnen habe, die im Finale scheinbar völlig absurde Wege fuhr und damit den gegnerischen Roboter erfolgreich verwirrte. Ähnlich kreative Ansätze gebe es bereits bei einer Software zur Bauteiloptimierung von Siemens. Die Wissenschaftlerin empfiehlt Unternehmen, KI punktweise einzuführen und entsprechende Kompetenzen nach und nach aufzubauen.