James Webb 17. Sep 2021 Von Iestyn Hartbrich Lesezeit: ca. 6 Minuten

Weltraumteleskop als Zeitmaschine

Im Dezember soll das 10 Mrd. € teure James Webb Space Telescope gestartet werden. Gespräch mit dem ESA-Forschungsdirektor Günther Hasinger über den Blick in die Ferne – und zurück in der Zeit.

ESA-Wissenschaftsdirektor Günther Hasinger ist Röntgenforscher.
Foto: ESA

VDI nachrichten: Herr Hasinger, wann ist der erste Stern entstanden?

Günther Hasinger: Wir schätzen, dass es 300 Mio. bis 500 Mio. Jahre nach dem Urknall passiert ist, also vor mehr als 13,5 Mrd. Jahren. Hoffentlich liefert uns das James-Webb-Teleskop die Antwort.

Wie lässt sich etwas beobachten, das so lange her ist?

James Webb wird im infraroten Bereich des elektromagnetischen Spektrums beobachten. Je weiter im Roten wir messen, oder je größer die Wellenlänge, desto weiter können wir in der Zeit zurückschauen.

Warum ist das so?

Seit dem Urknall fliegt das Universum auseinander – immer und immer schneller: Je weiter weg sich ein Körper befindet, desto schneller entfernt er sich von uns …

… und desto älter ist er?

Ja. Das ist wie in der Archäologie: Je tiefer die Gesteinsschicht, desto älter. Nur gilt in der Astrophysik: je schneller, desto älter. Die Geschwindigkeit messen wir als Rotverschiebung.

Das Universum als Rosinenkuchen

Rotverschiebungen werden auch genutzt, um Exoplaneten zu finden, also Planeten in anderen Sonnensystemen. Ist das eine ähnliche Methode?

Messtechnisch schon. Allerdings messen wir bei der Exoplanetensuche die sogenannte Dopplerverschiebung des Sterns. Der Stern bewegt sich unter dem gravitativen Einfluss seiner Planeten relativ zum Raum periodisch vor und zurück, weil der gemeinsame Schwerpunkt nicht im Mittelpunkt des Sterns liegt. Bei den Objekten im frühen Universum ist es anders. Hier dehnt sich der ganze Raum aus und die Objekte sind relativ zum Raum in Ruhe. Der Astronom Gustav Tammann hat das mit einem Rosinenkuchen verglichen, der im Ofen aufgeht: Die Rosinen entfernen sich voneinander, aber sie bleiben an der gleichen Stelle des Kuchens.

Wie weit kann James Webb in der Zeit zurückschauen?

Etwa 13,5 Mrd. Jahre. Wir werden also Sterne in ihrer Kinderstube sehen. Wie in einer Zeitmaschine.

Wenn Sie so nah dran kommen an den Urknall, warum haben sie dann nicht noch ein paar Hundert Millionen Jahre mehr spendiert, um auch noch den Urknall selbst zu sehen?

Leider ist das unmöglich – und nicht aus messtechnischen Gründen. Die ersten etwa 170 000 Jahre war das Universum undurchsichtig. Überall war Ursuppe, im ganzen Universum sah es in etwa so aus wie heute in der Sonne. Erst nach dem Abkühlen konnte erstmals Licht hindurch. Das älteste Licht, das wir sehen können, ist deshalb 170 000 Jahre nach dem Urknall ausgesendet worden: die sogenannte Mikrowellenhintergrundstrahlung. Darauf folgte das Dunkle Zeitalter, in dem es nichts gab, das genug Energie gehabt hätte, um Licht auszusenden. Und dann folgt eine spannende Phase, auf die wir mit James Webb schielen: Unter dem Wirken der Gravitation bildeten sich die ersten Sterne und Galaxien – und brachten wieder Licht ins Dunkel.

Was interessiert Sie persönlich am frühen Universum?

Ich interessiere mich für die dunkle Materie, also Materie, die Gravitation ausübt, aber nicht mit Strahlung wechselwirkt. Wir wissen, dass sie etwa ein Viertel des Energiehaushalts des Universums ausmachen muss, aber darüber hinaus wissen wir wenig. Ich persönlich glaube, dass sie aus schwarzen Löchern besteht, die schon im Urknall gewissermaßen angelegt waren.

Was hat das mit James Webb zu tun?

Wenn die Theorie stimmt, dann gab es bereits früher als gedacht Energiequellen – nämlich schwarze Löcher –, die das Dunkle Zeitalter beenden konnten. Das würde bedeuten, dass die ersten Sterne älter wären, als wir angenommen haben, was sich in größeren Wellenlängen des Lichts äußern würde.

Zu den Aufgaben von James Webb wird auch gehören, die Entwicklung schwarzer Löcher zu beobachten. Die brauchen länger, um sich zu entwickeln, als das Teleskop hinschauen kann. Wie also funktioniert das?

Wir beobachten schwarze Löcher an sich, und nicht etwa ein bestimmtes schwarzes Loch. Denken Sie an ein Jahrbuch in der Highschool. Sie schauen sich die Fotos aller Jahrgänge an und stellen fest: Irgendwann in der siebten Klasse bekommen die Jungs Bärte. Wir machen es in der Astrophysik ähnlich. Wir schauen auf Objekte, die ein bestimmtes Alter haben, und versuchen Gemeinsamkeiten zu finden.

Blick auf ferne Planeten

Die zweite große wissenschaftliche Aufgabe von James Webb ist die Beobachtung von Exoplaneten. Welche Erkenntnisse versprechen Sie sich?

James Webb wird auf Sternensysteme ausgerichtet, deren Planeten Transits hinlegen, die also ihren Stern aus unserer Perspektive ein bisschen abschatten, weil sie genau vor ihm herwandern. Das Teleskop kann hoffentlich die Zusammensetzung der Atmosphären bestimmen. Wenn es welche gibt.

Wie das?

Wenn wir den Moment des Transits in verschiedenen Wellenlängen des Spektrums beobachten und der Planet eine Atmosphäre hat, dann sollte er – je nach Wellenlänge – unterschiedlich viel Licht absorbieren und damit unterschiedlich groß erscheinen. Daraus lesen wir ab, dass da zum Beispiel Wasserstoff ist, oder Wasser.

Das Hubble-Teleskop konnte solche Messungen auch schon vornehmen.

Das stimmt, aber James Webb ist viel empfindlicher. Erstens ist der Spiegel der größte, den wir je im All installiert haben. Und zweitens können wir auf Planeten schauen, die ganz nah dran sind am Stern.

Das müssen Sie erklären.

Im sichtbaren Licht können wir Planeten, die ihrem Stern nahe sind, nicht sehen, weil die relative Helligkeit zu gering ist. Mit James Webb beobachten wir aber im Infraroten, wo die Sterne nicht so stark strahlen und die Planeten recht stark. Ich erwarte deshalb, dass wir viel über einige spannende Kandidaten herausfinden, die aufgrund ihrer Nähe zum Stern warm und bewohnbar sein könnten.

Trappist-1 im Fokus

Auf welche Planetensysteme schaut James Webb?

Zum Beispiel auf Trappist-1, wo sieben Planeten um einen kleinen Stern kreisen. Hubble hat gezeigt, dass die inneren Planeten sehr wahrscheinlich felsig sind, aber über die Atmosphären wissen wir noch wenig. James Webb soll die Wissenslücke schließen.

Gibt es denn ernsthafte Hoffnungen, dass die Trappist-1-Planeten bewohnbar sind?

Nein. Zwar liegen einige der Planeten innerhalb der habitablen Zone, in der Oberflächenwasser flüssig sein könnte. Allerdings ist Trappist-1 ein roter Zwergstern, kleiner und kälter als unsere Sonne, ein böser Geselle. Rote Zwerge strahlen stark im Röntgenbereich; Leben hätte hier vermutlich keine Chance.

James-Webb-Forschung im Überblick:

Gibt es Exoplaneten für James Webb, die in der habitablen Zone eines sonnenähnlichen Sterns liegen?

Solche Exoplaneten kennen wir noch nicht – das ist quasi der Heilige Gral.

Warum nicht?

Weil wir Exoplaneten anhand ihres periodischen Signals erkennen, das ihrer Umlaufdauer entspricht. Potenziell bewohnbare erdähnliche Planeten brauchen bekannterweise Erdenmonate oder -jahre, um einen sonnenähnlichen Stern zu umkreisen. Und so lange haben wir Sternensysteme bislang nicht beobachtet.

Und daran wird sich auch durch James Webb nichts ändern?

Nein. Den Durchbruch verspreche ich mir vom ESA-Teleskop Plato, das wir 2026 starten wollen. Plato besteht aus 26 Einzelteleskopen und ist für lange Beobachtungen ausgelegt. Ihm traue ich zu, den Heiligen Gral in Form des ersten erdähnlichen Planeten mit Atmosphäre um einen sonnenähnlichen Stern zu finden. Aber vielleicht fokussieren wir auch zu eng.

Wie meinen Sie das?

Bei der Exoplanetensuche legen wir die Maßstäbe an, die uns aus unserem Sonnensystem bekannt sind, aber es könnte ja auch andere Arten von Leben und andere Arten von Molekülen geben, die wir nicht kennen. Deshalb halte ich es für wichtig, dass wir genau hinsehen und charakterisieren.

Der Primärspiegel des James Webb Space Telescope misst 6,5 m im Durchmesser. Er besteht aus 18 goldbedampften Elementen, ist beim Raketenstart zusammengeklappt und entfaltet sich erst im All. Foto: Nasa/Chris Gunn

Was kann James Webb noch?

Ich hoffe, es wird wie bei Hubble, dessen primärer Zweck war, die Hubble-Konstante zu vermessen. Das ist gelungen und hat Adam Riess den Physik-Nobelpreis beschert. Hubble hat aber auch Dinge geleistet, für die es nicht gebaut wurde. Zum Beispiel hat es den Asteroiden Oumuamua genauer untersucht, einen kosmischen Eindringling in unserem Sonnensystem. Was ich damit sagen will: James Webb ist ein Observatorium mit vier verschiedenen Instrumenten. Es wird das neue Arbeitspferd der Astronomie, auch außerhalb der Bereiche, für die es ausgelegt wurde. Wozu wir es vielleicht einmal einsetzen, wissen wir heute noch nicht.

Das James-Webb-Teleskop wird mit Regelmäßigkeit als Hubble-Nachfolger bezeichnet. Zu Recht?

Eher nicht. Schon allein, weil wir beide Teleskope noch möglichst lange parallel betreiben wollen. Hinzu kommen technologische Unterschiede. Hubble misst Sichtbares Licht, Infrarotteleskope wie James Webb messen Wärmestrahlung. Sie müssen stark heruntergekühlt werden, weil sie sonst ihre eigene Wärmesignatur messen. In einer Hinsicht passt der Vergleich aber: Hubble und James Webb sind beides Jahrzehntprojekte der Nasa, die sich nur noch hinter der Mondlandung und dem Shuttle-Programm einreihen.

Zwei Wochen zittern

James Webb ist mit Kosten von über 10 Mrd. € ähnlich teuer wie Hubble. Anders als Hubble, das bereits im Orbit repariert worden ist, gibt es auf James Webb keinen Zugriff mehr, wenn es einmal die Erde verlassen hat. Das ist ein hohes Risiko.

Stimmt. Deshalb muss James Webb 100 %ig funktionieren. Das ist einer der Gründe, warum wir den Zeitplan um 14 Jahre überzogen haben: Wir prüfen alles auf Herz und Nieren. Die Nasa-Teams haben die heikle Phase vor der Landung des Mars-Rovers Perseverance als siebenminütigen Terror bezeichnet. Bei James Webb zittern wir zwei Wochen lang.

Was macht Ihnen zwei Wochen lang solche Angst?

James Webb ist beim Start wie ein verpuppter Schmetterling. Auf dem Weg zum Zielort des Teleskops, dem Lagrange-Punkt 2 (dort verändern Objekte relativ zur Sonnen-Erd-Achse ihre Position nicht, Anm. d. Red.), entfaltet das Teleskop seine Solarpaneele und Spiegel. Allein beim Entfalten des Hauptspiegels sind 130 Mechanismen im Einsatz. Einer der kritischen Momente wird auch das Aufspannen des Hitzeschilds.

Weshalb?

Der Schild besteht aus fünf Lagen dünner Folie, die wie ein Fallschirm ineinandergelegt sind, im Betrieb aber in etwa so groß sind wie ein Tenniscourt. Hinzu kommt: Die Folien dürfen sich nirgends berühren, sonst kann die Wärmeenergie nicht abgestrahlt werden. Mit jeder Schicht wird es kälter.

Stichwort Hitzeschild, in Europa gibt es Firmen mit Erfahrung, die zum Beispiel für die Merkursonde Bepi Colombo die Isolation gebaut haben. Hätte die ESA gerne mehr Projektanteile nach Europa geholt?

Wir hätten theoretisch den Hitzeschild oder auch die Spiegel bauen können. Aber dass wir anderthalb von vier Experimenten beisteuern – Miri vollständig und Nirspec zur Hälfte – und zusätzlich die Rakete liefern, finde ich beeindruckend genug. Das ist schließlich ein Flaggschiffprojekt der Nasa. Viel mehr wäre nicht gegangen – und wir hätten es auch finanziell nicht stemmen können.

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