Türkei und Griechenland streiten ums Erdgas
Das östliche Mittelmeer ist reich an Kohlenwasserstoffdepots. Seit Jahren gibt es politisches Gerangel um diese Ressourcen. Das Gerangel um die Suche vor dem griechischen Inselchen Kastelorizo ist nur ein weiteres Puzzleteil.

Foto: panthermedia.net/Ingvar Björk
Das türkische Forschungsschiff Oruc Reis pflügt derzeit durch das Mittelmeer, begleitet von fünf Kriegsschiffen der türkischen Marine. Das Ziel des 2017 gebauten Schiffs ist für den Nachbarn Griechenland reine Provokation, denn die Oruc Reis ist in einem Gebiet unterwegs, in dem reiche Erdgasvorkommen vermutet werden.
Um deren Ausbeutung streiten sich die Türkei und Griechenland seit Jahren, beide sprechen dem jeweils anderen das Recht dazu ab. Griechenland hatte in den vergangenen Monaten die Türkei davor gewarnt, Schiffe zur Suche nach Erdgas in die Region zu entsenden. Inzwischen hat sich die Situation so zugespitzt, dass viele eine militärische Auseinandersetzung zwischen den Nato-Partnern fürchten.
Gassuche im diplomatischen Graubereich
Seit Anfang der Woche sucht die Oruc Reis südlich von Rhodos und der kleinen Insel Kastelorizo nach Erdgas. Kastelorizo ist nur rund 2 km vom türkischen Festland entfernt, gehört aber zu Griechenland. Vorübergehend war das Forschungsschiff auf türkisches Seegebiet gefahren, bewegte sich in der Nacht zu heute aber laut Ortungsdienst Marinetraffic erneut Richtung eines Seegebiets, das Griechenland als eigene Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) versteht.
Die Suche der Türkei nach Erdgas südlich der griechischen Inseln ist aus griechischer Sicht illegal, weil diese Region zur AWZ des EU-Landes gehören. Auch die EU hat diese türkischen Aktionen verurteilt und Ankara aufgefordert sie einzustellen.
Seerechtsgerangel um Gasressourcen
Das Seerecht der Vereinten Nationen legt für Küstenländer eine AWZ fest, die über die Hoheitsgewässer eines Landes hinausreicht. In dieser 200-Meilen-Zone hat ein Staat demnach das alleinige Recht zur Ausbeutung von Bodenschätzen. Liegt die Küste eines anderen Landes näher, gilt die Mittellinie. Griechische Inseln, die nahe an der türkischen Küste liegen, verringern also die türkische AWZ enorm.
Nach türkischer Lesart haben Inseln wie Kastelorizo, aber auch größere wie Rhodos oder sogar Kreta zwar Hoheitsgewässer, aber keine AWZ. Die Türkei sieht ihre Gasforschungen daher als legitim an. Sie hat zudem das Seerechtsabkommen nie unterschrieben, wie andere Staaten auch, so zum Beispiel die USA.
Athen bietet Ankara Verhandlungen an
Die griechische Regierung von Kyriakos Mitsotakis sei bereit über den Festlandsockel zu verhandeln, aber nicht über mehr. Dies bezieht sich auf das Seerechtsübereinkommen, dem aber die Türkei nie beigetreten ist. Danach steht allen Inseln zu, die bewohnt sind oder wo wirtschaftliche Tätigkeit möglich ist, einen genauso großen Festlandsockel zu haben wie das Festland. Ausnahmen kann es geben, wenn zwei Nachbarstaaten darüber verhandeln und anders entscheiden – genau dies hat Athen vorgeschlagen.
Die Türkei ist auf Gasimporte angewiesen. Sie fühlt sich seit Langem bei der Ausbeutung von Rohstoffen in der Region ausgeschlossen. Der Konflikt mit Griechenland kommt Erdogan zudem gelegen, um von innenpolitischen Problemen abzulenken, wie der Wirtschafts- und Corona-Krise.
Türkisch-libysches gegen griechisch-ägyptisches Abkommen
Im Konflikt gehen beide Seiten nicht mit diplomatischen Samthandschuhen vor. Die Türkei hatte 2019 mit Libyen ein Abkommen zur Ausbeutung von Bodenschätzen im östlichen Mittelmeer abgeschlossen – genau in dem Gebiet, in dem heute die Oruc Reis kreuzt, begleitet von einer landeseigenen Marineeskorte. Ankara versuchte so, Fakten zu schaffen. Im Juli hatte sich der Konflikt schon einmal gefährlich zugespitzt, wurde dann aber durch Vermittlung von Bundeskanzlerin Angela Merkel vorerst entschärft.
Als Antwort Athens folgte Anfang August ein griechisch-ägyptisches Abkommen über die Festlegung ihrer AWZ im Mittelmeer. Dies macht der Türkei im wahrsten Sinne des Wortes einen Strich durch die Rechnung. Das Abkommen zieht praktisch eine Linie durch die Zone, die die Türkei und Libyen für sich beanspruchen, die griechisch-ägyptische Zone ist mit ihr größtenteils identisch. Präsident Recep Tayyip Erdogan schickte daraufhin als Reaktion die Oruc Reis zu Erkundungen los.
Diplomatischer Sprengsatz
Dabei sind Griechenland und die Türkei nicht die Einzigen, die um die Gasdepots im östlichen Mittelmeer ringen. Schon 2018 ging die Türkei nicht zimperlich vor. Damals kam das vom italienischen Öl- und Gaskonzern ENI gechartete Explorationsschiff Saipem 12 000 aus dem Hafen von Larnaka auf Zypern nicht ins Zielgebiet – türkische Kriegsschiffe verhinderten dies.
Es ist schwierig in der Region: Ägypten, Israel, der Libanon, Griechenland, das geteilte Zypern, die Türkei – sie alle haben Interessen im östlichen Mittelmeer. Die Entwicklung der Gasreserven im östlichen Mittelmeer birgt daher zwar riesige Chancen, könnte aber auch die politische Landschaft der Region verändern.
Pipeline durch östliches Mittelmeer lässt Türkei außen vor
Die Sorgen Ankaras manifestieren sich auch an Projekten wie der Pipeline Eastmed. Griechenland, Zypern, Israel und Italien wollen sie bauen, in rund 3000 m Tiefe verlegt, soll das geschätzt 6 Mrd. € teure Projekt ab 2025 israelisches Erdgas aus Offshore-Feldern im Mittelmeer nach Italien bringen. Die Pipeline gilt bei der Gasversorgung als Gegengewicht zu North Stream 2, weshalb sie sowohl von der EU als auch von den USA unterstützt wird.
Gegner der Pipeline ist dagegen die türkische Staatsführung. Denn über Eastmed erhielten auch die zypriotischen Ölfelder direkten Zugang zum EU-Pipelinenetz. Zudem erheben auf diese Funde vor Zypern nicht nur die zyprische Staatsführung Anspruch, sondern auch die türkische.