Klimaschutz: „Diese 20er-Jahre werden die Welt verändern“
Die Deutsche Energieagentur (Dena) hat am heutigen Donnerstag den Zwischenbericht zur Dena-Leitstudie „Aufbruch Klimaneutralität“ veröffentlicht. Während Dena-Chef Andreas Kuhlmann eindringlich mahnte, die Zeit für die grundlegenden Entscheidungen werde knapp, wurde die Dena vom Verein Lobbycontrol kritisiert, weil die an der Leitstudie beteiligten Firmen teils bis zu fünfstellige Sponsorenbeiträge für diese Teilnehmerschaft entrichteten.

Foto: PantherMedia/Elnur_
Es war eine Art Werkstattgespräch am heutigen Donnerstagmorgen, zu dem Dena-Chef Andreas Kuhlmann, geladen hatte. Er wollte Einblick in die Arbeit an der neuen Leitstudie „Aufbruch Klimaneutralität“ geben. Nein, konkrete Zahlen aus den Szenarien und Berechnungen gebe es zwar eine große Fülle, aber die wolle er noch nicht präsentieren. Kuhlmann wollte eher qualitative Einblicke geben, und auch darin, wie denn so gearbeitet wird an der neuen Leitstudie.
Die Leitstudien der Dena, als bundeseigene Agentur für die Umsetzung der Energiewende, haben allein schon deshalb Gewicht. So gilt die Leitstudie „Integrierte Energiewende“ von 2018 in der Branche als Blaupause dafür, wie denn die Energiewende gelingen soll. Klimaneutralität bis 2050 – das ist der größere, übergeordnete Auftrag zur Energiewende auf Basis des Pariser Weltklimaabkommens. Eine Leitstudie hierzu ist ein Papier, bei dem sich niemand wird wegducken können.
Dena-Chef Kuhlmann: Klimaneutralität ist „echte Mammutaufgabe“
Kuhlmann kennt die Halbwertszeit von Studien; er berichtet von seiner Zeit als Geschäftsbereichsleiter Strategie und Politik des Energiebranchenverbands BDEW, als er Metastudien erstellte – er habe da jetzt noch mal hineingeschaut, das meiste davon sei nicht eingetreten. Zeit also für eine neue Leitstudie, denn viel habe sich seit der „Integrierten Energiewende“ geändert: Deutschland hat ein Klimapaket auf den Weg gebracht, will bis 2050 klimaneutral werden; die EU hat den Green Deal ausgerufen, mit bisher noch nicht genau absehbaren Folgen auch für Deutschland.
„Klimaneutralität ist eine echte Mammutaufgabe“, sagt Kuhlmann. „Das Bild der Energieversorgung und die Vorstellungen von den Entwicklungen in den unterschiedlichen Sektoren haben sich in den vergangenen Jahren ebenso grundlegend verändert wie die Ansprüche an effektiven Klimaschutz.“ Eine Mammutaufgabe, die Kuhlmann bei seiner neuen Studie vor allem auch durch eine große Beteiligung derjenigen untersuchen will, die davon betroffen sind. Rund 80 Unternehmen und Organisationen seien dies. Das macht Sinn, soll doch die Studie wie ihr Vorgänger als Blaupause für diese Branchen dienen, und zwar möglichst explizit. Nur wie Kuhlmann das aber macht, das hat ihm und der Dena gestern heftige Kritik des Vereins Lobbycontrol eingebracht.
Dena beteiligt Firmen gegen Geld an Leitstudie
„Gekaufte Wissenschaft: Dena-Leitstudie zur Klimaneutralität von Lobbyisten gekapert?“ – so der Titel einer Pressemitteilung des Vereins Lobbycontrol, der sich seit Jahren für Transparenz im politischen Bereich einsetzt. Der Knackpunkt: Die beteiligten Unternehmen, „Partner“ genannt, kaufen sich über Sponsoring mit bis zu 35 000 € ein – und dürfen über die Ergebnisse mitentscheiden, so Lobbycontrol.
„Unter den Partnern sind ausschließlich Unternehmen und ihre Lobbyverbände, viele darunter aus der Energiebranche“, beklagt der Verein. Dieses Modell gefährde die Neutralität der Leitstudie – mit „äußerst problematische Folgen“. Unveröffentlichte Ergebnisse, die Lobbycontrol zugespielt wurden, legen nahe: „Die Gas- und Öllobby versucht über die Leitstudie die Debatte um die Klimaziele zu ihren Gunsten zu beeinflussen.“

Kuhlmann sieht das anders. Ja, die Gelder fließen, und die Unternehmen und Organisationen finanzieren die Studie so zum größten Teil. Es ist ein „Drittmittelprojekt“, die Dena finanziert selbst rund 20 %. Die beteiligten Projektpartner würden im Zwischenbericht und im Endbericht transparent dargestellt. Zum Schluss der Vorstellung wendet sich Kuhlmann an die ebenfalls anwesende Lobbycontrol-Sprecherin Christina Deckwirth und lädt sie ein, Anregungen zu geben, was die Dena denn besser machen könnte. Eine Forderung zumindest hatte der Verein schon im Vorfeld geliefert: transparent zu machen, wer genau wie viel gezahlt hat.
Neue Leitstudie Klimaneutralität soll „Diskurs organisieren“
Für Kuhlmann ist die neue Leitstudie zu Klimaneutralität darüber hinaus nicht nur ein „Studienprojekt“, sondern auch ein Diskurs. „Wir schauen nicht nur, was technisch in einer spitzen Lösungswelt möglich ist, sondern auch, was in der Breite umsetzbar ist.“ Andersherum weiß Kuhlmann, dass – wenn man Interessenträger so massiv beteiligt – man es mit „Core Beliefs“ zu tun hat. Grundüberzeugungen, zwischen deren Polen sich irgendwo die Lösung versteckt. Für Kuhlmann sind das „superspannende Debatten, total kompliziert“, die man coronabedingt seit fast einem Jahr weitgehend im virtuellen Raum organisiert hat. „Unsere Aufgabe ist es, diesen Diskurs zu organisieren.“
Die Dena nennt den Gesamtprozess eine „einen systemisch integrierten Ansatz, der weit mehr als 100 Institutionen und Unternehmen aus Gesellschaft, Wirtschaft, Politik sowie aus Zivilgesellschaft, Natur- und Umweltschutz einbezieht.“ Wissenschaftlichen Institutionen und sechs Gutachter begleiteten die Studie. „Breite wissenschaftliche Expertise wird so zusammen mit Experten-Know-how zu belastbaren und praktikablen Ergebnissen führen“, glaubt die Dena.
Faktor Zeit ist kritisch für die Klimaneutralität
Inhaltlich hob Kuhlmann heute hervor, dass „der Faktor Zeit jetzt relevant“ sei. „Die Ziele für die Klimaneutralität in den 2050er Jahren werden wir nur dann erreichen, wenn wir jetzt die Weichen richtig stellen“, glaubt der Dean-Chef. Die Zeit zwischen heute und 2030 werden auch möglicherweise ganz anders aussehen als die Zeit zwischen 2030 und 2050. „Diese 20er Jahre werden die Welt verändern“, glaubt er.
Die Zahlenbereiche, in die er Einblick gewährt, lassen erahnen, dass die nächsten zehn Monate noch intensiv an der Leitstudie gearbeitet wird. So gebe es ein Band für die Strombereitstellung von 650 TWh bis 1150 TWh (Kuhlmann: „Wir sind da eher im Mittelfeld“). Die energetische Sanierungsrate im Gebäudesektor liege zwischen 1,4 % p. a.bis 2,8 % p. a. – Kuhlmann: „Das Marktumfeld für Sanierungen hat sich wesentlich verbessert, aber es ist noch längst nicht da, wo sein sollte.“ Und bei den Wärmepumpen sieht er zum Beispiel „mindestens eine Verdreifachung dessen, was wir heute sehen“.
Mit der Veröffentlichung des Zwischenberichts, so die Dena, gehe die Arbeit in die zweite Phase mit der Modellierung. „Auf dem Weg zum Abschlussbericht im Herbst dieses Jahres wird es öffentliche Formate zu einzelnen Fragestellungen geben.“