Deutschland ist gut gerüstet, um Krise zu meistern
Deutschland ist dank eines satten Wirtschaftspolsters weiterhin hoch wettbewerbsfähig, heißt es aus der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Zurückhaltung bei Löhnen sei der falsche Weg.

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Die deutsche Wirtschaft ist während des vergangenen Jahrzehnts im Jahresdurchschnitt um 2,0 % gewachsen und damit weitaus kräftiger als in den 2000er-Jahren, als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) durchschnittlich nur um 1,3 % zunahm. Zu dieser Erkenntnis kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung in einer aktuellen Studie.
Der Wachstumsaufschwung seit der Finanz- und Wirtschaftskrise verlief zeitgleich und war laut IMK wesentlich beeinflusst von der Rückkehr zu einer stabilitätsorientierten Entwicklung bei Löhnen, Arbeits- und Lohnstückkosten. „Diese ist ein wichtiger Faktor für eine erstarkte Binnennachfrage. So haben die Löhne zwischen 2010 und 2019 im Einklang mit dem neutralen Verteilungsspielraum zugenommen, nachdem der Zuwachs in den 2000er-Jahren weit darunter gelegen hatte“, heißt es in der Studie.
Trotz Booms im Mittelfeld
Trotz der zuletzt stärkeren Entwicklung und des jahrelangen wirtschaftlichen Booms rangiere die Bundesrepublik bei den Arbeitskosten für die private Wirtschaft aktuell allerdings weiterhin lediglich im oberen Mittelfeld Westeuropas, 2019 auf Position sechs im EU-Vergleich. Der durchschnittliche jährliche Anstieg der Lohnstückkosten in Deutschland lag demnach nach 2010 bei 1,9 % , im gesamten Zeitraum zwischen 2000 und 2019 hätten die Lohnstückkosten allerdings nur um 1,2 % im Jahresmittel zugenommen – spürbar langsamer als im Durchschnitt des Euroraums (1,4 %) und weitaus weniger als mit dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (knapp 2 %) vereinbar.
Im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrzehnten sei der gerade durch die Coronakrise jäh beendete Aufschwung durch die breitere Fundierung nach Analyse des IMK sehr stabil gewesen, mit Rekordständen bei der Beschäftigung und sprudelnden Steuereinnahmen. International sei die deutsche Wirtschaft sehr konkurrenzfähig, was sich auch am immensen und nur langsam sinkenden Leistungsbilanzüberschuss von 7,6 % des BIP im Jahr 2019 ablesen lasse, so das IMK.
Weg in die Austerität vermeiden
Damit bestünden gute Voraussetzungen, um zu verkraften, dass durch die weitverbreitete Kurzarbeit die Arbeitskosten zeitweilig stärker anwachsen, zumal sich dieser Ausnahmeeffekt wie in der Finanz- und Wirtschaftskrise wahrscheinlich schnell wieder zurückbilden werde. „Vor dem Hintergrund der guten wirtschaftlichen Entwicklung und der stärkeren Bedeutung der binnenwirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre ist Deutschland gut gerüstet, diese Krise zu meistern. Von entscheidender Bedeutung ist, dass der im letzten Jahrzehnt eingeschlagene Weg fortgesetzt wird“, schreiben die Autoren.
Sie warnen allerdings: „Es wäre verheerend für die zukünftige Entwicklung, wenn mit einer nicht gerechtfertigten Bezugnahme auf eine scheinbare Gefährdung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit und dem Appell des Maßhaltens der Weg in die Austerität und in dauerhaft schwaches Lohnwachstum gewählt würde.“ Dabei unterstreichen die Forscher zugleich, dass für die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage die Lohnsumme, also die Summe der insgesamt gezahlten Löhne und Gehälter, zentral sei.
Tarifliche Vereinbarungen für von der Krise besonders betroffene Branchen, die zur Beschäftigungssicherung beitrügen, könnten deshalb über den reinen Lohneffekt hinaus einen zusätzlichen Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Stabilisierung leisten.