Leerverkäufer nehmen deutsche Aktien ins Visier
Hedgefonds erheben in Studien schwere Vorwürfe gegen Unternehmen. Prompt brechen deren Kurse ein. Wirecard und Ströer hat es bereits erwischt. Zuvor hatten die Angreifer genau darauf gewettet.

Strategie der Hedgefonds: Erst in Studien Unternehmen schlecht schreiben, dann von den fallenden Kursen profitieren.
Foto: PantherMedia/luislouro
Die Attacke erfolgte am 21. April. Kurz vor Mittag ging die Aktie des Werbevermarkters Ströer in den Sinkflug über. In der Spitze fiel der Marktwert des Kölner Unternehmens um 30 %, bevor der Kurs sich etwas erholte und mit einem Minus von 18 % aus dem Handel ging
Anleger können sich über die Plattform bundesanzeiger.de informieren, ob es Netto-Leerverkaufspositionen einer Aktie gibt. Dafür müssen sie nur in der Suchfunktion den Namen der Aktiengesellschaft (z. B. Ströer) eingeben und zusätzlich sinnvollerweise den Suchbereich auf „Kapitalmarkt“ eingrenzen.
Ab einer Position von 0,5 % aller ausstehenden Aktien müssen Leerverkäufer sich öffentlich melden, die Finanzaufsicht BaFin muss ab 0,2 % informiert werden. Bei der Meldung müssen bestimmte Fristen eingehalten werden.
Im Fall Ströer zeigt sich, dass neben Muddy Waters auch andere „Shorties“ wie z. B. Third Point aus New York sowie die beiden Londoner Hedgefonds Thélème Partners und Lansdowne Partners vom Kursrutsch profitiert haben.
Eine äußerst negative Analyse des US-Hedgefonds Muddy Waters hatte den Sturz ausgelöst. Die Vorwürfe von Carson Block, Chef und Gründer der Gesellschaft sind schwer: Zum Beispiel sei das organische Wachstum nach eigenen Berechnungen deutlich geringer, als Ströer berichtet. Pikant: Zuvor hatte sich das Management des Hedgefonds so positioniert, dass dessen Investoren durch den Kurssturz einen kräftigen Gewinn verbuchten. In einer Mitteilung wies Muddy Waters selbst auf Interessenkonflikte hin.
Ein Einzelfall ist Ströer nicht. Auch die Aktien des deutschen Zahlungsverkehrsdienstleisters Wirecard und des französischen Lebensmitteleinzelhändlers Casino gingen nach ähnlichen Frontalangriffen in die Knie. Dahinter stecken Leerverkäufer, im Fachjargon Shortseller genannt.
Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz in Düsseldorf erklärt: „Sie verkaufen Aktien, die sie sich vorher geliehen haben, um sie dann billig zurückkaufen zu können. Dann veröffentlichen sie die Analyse und warten in Ruhe ab, was passiert.“ Im für die Leerverkäufer schlimmsten Fall tue sich nichts. Ihr Risiko beschränke sich auf die üblichen Leihgebühren.
„Shortseller-Attacken auf deutsche Unternehmen haben offenbar Konjunktur“, schreibt Tüngler in einem Gastbeitrag für die Börsen-Zeitung. Weitere Attacken würden folgen. Neu sei, dass nun auch größere Aktiengesellschaften angegriffen werden – wie eben der MDax-Konzern Ströer. Die Masche sei simpel. „Die Ziel-AG wird mit mehr oder weniger seriösen Analysen eine fehlerhafte Bilanzierung vorgeworfen, die Geschäftszahlen angezweifelt, manchmal auch das gesamte Geschäftsmodell als gescheitert verurteilt.“ Auffällig auch, dass als Angriffsziel typischerweise eine Aktie ausgewählt wird, deren Kurs zuvor kräftig gestiegen ist, denn das Rückschlagpotenzial bei ihnen ist besonders groß.
Im Fall von Wirecard ist das Vorgehen besonders harsch. Nach der Veröffentlichung einer Studie im Internet mit Betrugsvorwürfen und dem absolut unüblichen Kursziel „0 €“ stürzte die Aktie des TecDax-Schwergewichts zeitweise um 25 % ab. Rund 1 Mrd. € Marktkapitalisierung lösten sich in Luft auf. An diesem Tag, dem 24. Februar 2016, wurden um ein Vielfaches mehr Wirecard-Aktien gehandelt, als sonst in einem ganzen Monat. Den lebhaften Handel dürften die Angreifer genutzt haben, um in der Masse unterzutauchen und ihre Shortseller-Gewinne zu realisieren. Herausgeber der Studie ist Medien zufolge eine „Zatarra Research & Investigations“. Eine Autorenangabe fehle. Glaubwürdigkeit erreichte die Publikation wohl erst durch einen Hinweis im Blog der Financial Times. Später wurde dort die Diskussion der Leser über die Studie geschlossen.
Sowohl Ströer als auch Wirecard weisen die Anschuldigungen sowie die belastenden Studienergebnisse zurück. „Der Bericht ist weit hergeholt, mindestens tendenziös und im Ergebnis vollkommen haltlos“, so die Stellungnahme von Ströer. Zudem prüfe man rechtliche Schritte. Wirecard hat diese bereits eingeleitet. Zudem betonte das IT-Unternehmen gegenüber Medien: „Der gesamte Bericht enthält verleumderische Anschuldigungen, die gänzlich unwahr sind.“ Und eine Sprecherin der Finanzaufsicht BaFin sagte auf Anfrage: „Wir untersuchen in beiden Fällen den Wertpapierhandel im Hinblick auf mögliche Marktmanipulationen.“
Verboten sind die gedeckten Leerverkäufe nicht, wie Tüngler erklärt. Er befürchtet aber, dass die Reputation und Funktion der Börse unter solchen Attacken leidet. Während die Leerverkäufer mit ihren Studien den Zeitpunkt und die Wucht des Angriffs bestimmten, schauten alle anderen Anleger in die Röhre und würden instrumentalisiert, da immer mehr Stop-Loss-Orders ausgelöst würden, womit sich die Negativwelle verstärke. Mit einer Stop-Loss-Orders können sich Anleger eigentlich vor Kursstürzen schützen, indem sie mit ihr festlegen, ab welchem Wert eine Aktie automatisch verkauft werden soll. „Sollten unsere Gesetze hier nicht ausreichend schützend wirken, muss nachjustiert werden“, sagt der Beschützer der Wertpapierbesitzer. Etwas Transparenz und damit Schutz für Anleger bringt die Pflicht zur Veröffentlichungen von Leerverkaufspositionen im Bundesanzeiger (siehe Kasten).
Die Wirecard-Aktie hat sich inzwischen wieder erholt und notierte am 19. Mai mit rund 41,50 € fast auf dem Niveau unmittelbar vor der Attacke. Dazu beigetragen hat eine leicht erhöhte Ergebnisprognose für dieses Jahr, nach dem Rekordjahr 2015. Geholfen haben dürften auch die Aktienkäufe des Vorstandsvorsitzenden und Großaktionärs von Wirecard. Unmittelbar nach dem Angriff kaufte Markus Braun an der Börse insgesamt rund 250 000 Titel und stockte so seinen Anteil an der Gesellschaft auf 7 % auf. Aktuell wird Wirecard von vielen Bankanalysten zum Kauf empfohlen. Hauck & Aufhäuser z. B. nennt ein Kursziel von 62,50 €, die Commerzbank von 55 €. Die Anteilsscheine von Ströer werden laut Unternehmens-Homepage von 13 Banken zum Einstieg empfohlen. Die Kursziele liegen zwischen 62,50 € (KeplerCheuvreux) und 80 € (Commerzbank). Noch leidet die Aktie des Werbevermarkters unter den Vorwürfen des Hedgefonds. Vier Wochen danach jedenfalls liegt der Titel immer noch fast 14 % tiefer.