Hans-Peter Bartels: EU soll bei Rüstungsprojekten stärker kooperieren
Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels über die Chancen europäischer Rüstungskooperation, die Lehren aus Fehlern der Vergangenheit und die Dringlichkeit milliardenschwerer Investitionen in die Streitkräfte.
VDI nachrichten: Herr Bartels, Sie fordern supranationale Industriestrukturen in Europa, um große Rüstungsprojekte gemeinsam zu meistern. Was kann die Politik dafür tun?
Bartels: Europas Regierungen müssen sich darauf einigen, dass sie den Rahmen für eine gemeinsame europäische wehrtechnische Basis schaffen wollen. Beliebtestes Beispiel für den Erfolg eines solchen Vorhabens ist Airbus als absolut weltmarktfähiger Luftfahrtkonzern, der das US-Monopol bei Passagierflugzeugen aufgebrochen hat.
Woher kommt die Zuversicht, dass das gelingt?
Ich vertraue auf die normative Kraft des Faktischen. Wir stehen gemeinsamen Bedrohungen bei begrenzten Etats gegenüber. Das zwingt eigentlich zur Einigung. Frankreich wird sicher kein Kampfflugzeug der sechsten Generation alleine entwickeln, dafür fehlt das Geld. Wir brauchen gemeinsame europäische Standards, so wie der Leopard 2 seit Jahrzehnten der Standardkampfpanzer in der Nato ist. Jetzt muss sein Nachfolger MGCS entwickelt werden, deutsch-französisch. Unter der Bezeichnung FCAS geht es um den gemeinsamen Ersatz für Eurofighter und Rafale in 20 Jahren. Heute ist der richtige Zeitpunkt für Kooperationen, für leistungsfähige europäische Firmen. Wir haben ja gern Angst vor Monopolen, aber das Finanzieren von Scheinwettbewerb in der Vergangenheit war gelegentlich noch unwirtschaftlicher. Beispiel: Unser dritter Einsatzgruppenversorger für die Marine (ein Versorgungsschiff für Fregatten, d. Red.) war so teuer wie der erste und zweite zusammen, weil an seinem Bau insgesamt vier Werften beteiligt waren, die sonst angeblich pleitegegangen wären.
Falsche Zusagen der Industrie bei Rüstungsprojekten
Airbus und die Bundeswehr hatten in den letzten Jahren nicht viel Freude miteinander, etwa beim Transportflugzeug A400M. Woran liegt es, dass Rüstungsprojekte so häufig von Pleiten, Pech und Pannen verfolgt werden?
Das hat sicher mit einem Erfahrungsverlust in der Industrie nach dem Ende des Kalten Krieges zu tun. Jahrzehntelang musste die Bundeswehr bei Aufträgen die Stückzahlen reduzieren und die Auslieferungstermine strecken. Weil trotzdem das finanzielle Volumen erhalten bleiben sollte, vereinbarten Amtsseite und Industrie ein noch mal gesteigertes Leistungsvermögen des jeweiligen Waffensystems. Das führte nicht selten zu einem Forderungsoverkill, etwa dass der A400M einen bestimmten, noch nicht existierenden Schützenpanzer transportieren können sollte. Die Industrie hat beim neuen Transportflugzeug Zusagen gemacht, von denen sie von Anfang an gewusst haben muss, dass sie diese so nicht einhalten kann.
Ein weiteres Problem ist, dass die Bundeswehr in der Schrumpfungsphase bis 2014 sehr viele Materialerhaltungsaufgaben nach außen vergeben hat, um die Unternehmen, ihr Personal und ihr Know-how in Deutschland zu erhalten. Nun haben die Firmen zwar wieder Neubauaufträge, aber nicht genug Personal dafür. Ein Teil der Lösung könnte darin liegen, Wartung und Instandsetzung stärker in die Bundeswehr zurückzuholen. Das wäre auch unter dem militärischen Gesichtspunkt der Einsatzbereitschaft besser.

Sie nennen als Vorteil europäischer Rüstungsprojekte, dass daraus eine gemeinsame Waffenexportpolitik entstehen könnte. Aber zeigt nicht die Erfahrung, dass Frankreich aufgrund seiner außenpolitischen Interessen etwa in Afrika stets seiner eigenen Agenda folgt?
Wenn man sieht, wie weit Europa in anderen Politikbereichen, von der Währung bis zum Umweltschutz, schon gekommen ist, könnte es mit der Gemeinsamkeit beim Rüstungsexport auch klappen. Denn am Ende sollten wir Europäer uns einig werden, mit wem wir sicherheitspolitisch verbunden sein wollen und mit wem nicht. Dann gehören terrorexportierende Wüstenstaaten vielleicht eher nicht dazu, aber Israel und seine Freunde schon. Jedenfalls brauchen wir keinen innereuropäischen Überbietungswettbewerb um die höchste Moralität in Exportfragen. Auch hier gilt: Einigkeit macht stark.
Deutsche Rüstungsindustrie stark bei Panzern und U-Booten
Welche Stärken bringen deutsche Unternehmen in europäische Projekte ein?
Ganz klassisch liegen die Stärken bei U-Booten und Landsystemen – also etwa Kampfpanzer, gepanzerte Fahrzeuge, Artillerie. Bei Flugzeugen sind zumindest noch wesentliche Teilkompetenzen vorhanden, etwa in der Triebwerkstechnik. Zudem gibt es hierzulande eine erstaunlich vielfältige Flugkörperindustrie. Insgesamt verfügt Deutschland weiterhin nahezu über ein Universalangebot. Internationale Zusammenschlüsse können aber dazu führen, dass mancher Schwerpunkt künftig eindeutiger im Ausland liegt, dafür ein anderer im Inland noch stärker wird.
Wenn Sie alleine über den Verteidigungshaushalt bestimmen könnten, worauf würden Sie das meiste Geld ansetzen?
Erst einmal sollte die Bundeswehr weniger Geld durch dysfunktionale Strukturen verbrennen. Die Bundeswehr ist in einer Weise organisiert, dass sie stets zu wenig Personal und zu wenig Geld haben wird, wenn sich nichts ändert. Zudem fordere ich seit langem, das Thema „Persönliche Ausstattung“ mit einem Sofortprogramm zügig abzuräumen. Also an jede Soldatin und jeden Soldaten das moderne Equipment auszugeben, das schon getestet, zertifiziert und meist in kleinen Mengen in die Bundeswehr eingeführt ist: Schutzwesten, Kampfbekleidung und Stiefel, dazu Nachtsichtgeräte und der richtige Rucksack. Dann müssten endlich die Entscheidungen über die Großprojekte getroffen werden: Mehrzweckkampfschiff 180, Tornado-Nachfolge, vierte Tranche Eurofighter, neues Luftverteidigungssystem, schwerer Transporthubschrauber … Nichts davon ist entschieden. Je länger man diese Milliarden-Euro-Projekte auf die lange Bank schiebt, desto sicherer werden sie irgendwann finanziell in Konkurrenz zueinander geraten.
Wenn Sie die drei Säulen Ausbildung, Ausrüstung und Aufstellung betrachten, um die sich der Wehrbeauftragte kümmern soll, wo sieht es bei der Bundeswehr noch am besten aus?
Die Bundeswehr hat gut ausgebildete Soldaten. Das bekommt man von anderen Armeen immer wieder zu hören. Und sie wollen noch mehr können: Bei mir beschweren sich zum Beispiel Soldaten, dass man ihnen zusätzlich zum obligatorischen Englisch keinen Französischkurs anbietet, bevor sie in die Sahelzone geschickt werden. Das ist die richtige Einstellung!