Industrie zufrieden mit Corona-Krisen-Politik
Ganz virtuell klopfte sich die Industrie heute auf die eigenen Schultern. Deutschland habe erstaunlich gut im Lockdown mit Digitalisierung reagiert, so das Credo auf den Digital Days der Deutschen Messe.

BDI-Präsident Dieter Kempf forderte auf den Digital Days einen geordneten Rückzug des Staates aus der Wirtschaft.
Foto: Regine Bönsch
Die hochkarätigen Vertreter von Industrie und Politik auf den Digital Days 2020 waren sich heute einig: Digitale Konferenzen sind schön und wichtig, aber sie ersetzen nicht die reale Hannover Messe. Die große Industrieschau, die üblicherweise im April auf dem Messegelände stattfindet, wurde in diesem Jahr wegen der Corona-Krise abgesagt. Heute und morgen findet nun ein digitales Format mit vielen virtuellen Konferenzen statt.
Geordneter Rückzug des Staates
In den ersten Foren wurden Industrievertreter gefragt, wie sie und ihre Unternehmen die Corona-Zeiten erleben und welche Impulse sie sich jetzt erhoffen. Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbands Deutscher Industrie (BDI), lobte die Bundesregierung für ihr „tatkräftiges Handeln“ – sowohl pandemisch, aber auch bezogen auf die Industrie. „Wirtschaft konnte stattfinden“, erklärte er.
Doch nun sei es an der Zeit für einen „geordneten Rückzug des Staates“, von dort, wo er jetzt noch unternehmerisch helfend tätig sei. Die soziale Marktwirtschaft hätte Deutschland groß gemacht. „Wir müssen jetzt Ingenieurgeist und -Know-how kraftvoll einsetzen, um die Krise zu überwinden.“
Phase der Stimulierung

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier will Milliarden in Zukunftstechniken investieren.
Foto: Regine Bönsch
Die Industrie sei die Basis unseres Wohlstands, so formulierte es Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, der aus Berlin in die virtuelle Eröffnung der Digital Days zugeschaltet wurde.
„Wir befinden uns in der Phase der Stimulierung.“ Von dem rund 130 Mrd. € schweren Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket gingen 50 Mrd. € in Zukunftsaufgaben – vom Wasserstoff bis hin zur neuen Mobilität. Alle digitalen Themen stünden weiter auf der Tagesordnung, so der Minister. Das betreffe Industrie 4.0 ebenso wie künstliche Intelligenz und 5G, aber auch das Dateninfrastrukturprojekt Gaia-X.
Digitalisierung hat in Fabriken funktioniert
Die teilnehmenden Unternehmensvertreter waren sich einig, dass vor allem Flexibilität in der Krise geholfen habe. „Unternehmen, die in Digitalisierung und Automatisierung investiert haben, konnten das durchsetzen“, davon ist Klaus Helmrich, CEO des Geschäftsbereichs Digital Industries bei Siemens, überzeugt und setzt auf noch mehr Agilität von Unternehmen.
Für Rolf Najork von Bosch ist es erstaunlich gewesen, wie schnell Deutschland mit der Digitalisierung klargekommen ist. Das treffe nicht nur auf all die Menschen in ihren Homeoffices zu, sondern auch auf Fabriken. Wartung über Remote Control, die Inbetriebnahme von Maschinen – auch das hätte gut funktioniert. „Wir müssen uns nicht verstecken“, betonte SAP-Vorstandsmitglied Thomas Saueressig. „Digitalisierung ist jetzt kein Marketing-Buzzword mehr.“
Mehr Nachfrage nach Clouds als erwartet
Ursula Morgenstern, CEO des IT-Dienstleisters Atos, resümiert: „Die Nachfrage nach Cloud-Lösungen ist in einer Art und Weise vorangeschritten, wie wir es nicht erwartet haben.“ Doch sie ist auch davon überzeugt, dass in den nächsten fünf Jahren 75 % der Daten gar nicht mehr in der Cloud liegen, sondern in den Maschinen selbst. Stichwort: Internet der Dinge. Der Lockdown selbst hätte auch Grenzen gezeigt. So wissen Experten jetzt, dass der Transport von Materialien aus dem Ausland nach Deutschland volle Transparenz von Daten verlange. Die Atos-Chefin wittert die Chance, aus der Corona-Krise zu lernen. „Es ist wichtig, agile Systeme aufzubauen, die Daten ganzer Lieferketten nutzen, ohne dass Menschen dabei die Kontrolle über die eigenen Daten verlieren.“
In der Krise habe sich die Zusammenarbeit mit Lieferanten und Kunden geändert, berichtete Oliver Jung, Vorstandsvorsitzender beim Automatisierer Festo. Sein Unternehmen hat 7000 VPN-Knoten zusätzlich geschaffen, um alle einzubinden. So habe auch der Außendienst mit Kunden interagieren können.
Höhepunkt der Globalisierung überschritten
Im Lockdown musste kein einziges Festo-Werk aussetzen. Im Gegenteil: Es habe unerwarteten Nachschub an Laborequipment, Atemgeräten und Anlagen für Masken gegeben. Jung ist überzeugt: „Die Globalisierung hat ihren Höhepunkt überschritten.“ Jetzt werde immer mehr in den Regionen produziert. Das wiederum verlange im Hightechland Deutschland einen höheren Automatisierungsgrad. „Die Werke der Zukunft zeichnen sich durch höhere Autonomie und verstärkten Einsatz von Synchronisation aus.“