„Ohne Mint keine Digitalisierung“
Die Politik vernachlässigt die Mint-Bildung, meinen Nathalie von Siemens und Ekkehard Winter, die Sprecher des Nationalen Mint Forums.

Nathalie von Siemens (li): „Leider hat man im Moment den Eindruck, das Thema Mint gerät in Vergessenheit." Ekkehard Winter: „Wir brauchen dringend Untersuchungen darüber, wie wir Mint-Bildung wirksamer gestalten können.“
Foto: Konrad Fersterer/Siemens Stiftung (li.)/Deutsche Telekom Stiftung (re.)
Die Welt, die Zukunft, die Arbeit, sogar das Denken – alles ist heute digital. Im Koalitionsvertrag kommt das Wort Digitalisierung gleich über 90 Mal vor und in keiner Rede von (gefühlter) Bedeutung darf es heutzutage fehlen.
Nathalie von Siemens ist seit 2015 Co-Sprecherin des Nationalen Mint Forums. Die Ururenkelin des Siemens-Gründers Werner von Siemens ist Aufsichtsrat der Siemens AG und geschäftsführender Vorstand der Siemens Stiftung.
Ekkehard Winter wurde 2017 zum Co-Sprecher des Nationalen Mint Forums gewählt. Er ist seit 2005 Geschäftsführer der Deutsche Telekom Stiftung.
Im Nationalen Mint Forum haben sich über 30 Institutionen zusammengeschlossen, die sich für die Förderung der Bildung in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik einsetzen (Mint-Bildung). Das Forum entstand 2012 auf Initiative von Acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und der BDA/BDI-Initiative „Mint Zukunft schaffen“.
Mitglieder sind u. a. der DIHK, die Fraunhofer-Gesellschaft, Gesamtmetall, die Hans-Böckler-Stiftung, die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, die Hochschulrektorenkonferenz und der VDI.
Der 6. Nationale Mint Gipfel am 7. Juni 2018 steht unter dem Thema „Mint-Bildung in Deutschland: Qualität sichern – Wirkung erzielen – Zukunft gestalten“. Daran teilnehmen werden u. a. Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung, Matthias Kleiner, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, Helmut Holter, Präsident der Kultusministerkonferenz, und VDI-Direktor Ralph Appel.
Die dabei häufig sichtbar werdende semantische „Fehlbildung“ zeigt vor allem, dass die wenigsten das Wort in seiner unmittelbaren Bedeutung verwenden, sondern als Chiffre für die moderne Welt. Und tatsächlich greifen die digitalen Techniken und Technologien bereits jetzt tief in unseren beruflichen und privaten Alltag ein, und der breite gesellschaftliche Dialog über die Auswirkungen ist nicht nur begrüßenswert, sondern unbedingt erforderlich. Es geht um unsere gemeinsamen Werte, um Selbstbestimmung, gegenseitige Achtung, eine funktionierende Demokratie.
Ob wir diesen Werten gerecht werden, ist vor allem eine Frage der Bildung – also das Wissen um das Mögliche und die Entscheidung für das Richtige. Digitalisierung fußt auf dem Wissen von Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, kurz Mint. Mint-Bildung versetzt in die Lage, dieses Wissen einzuordnen. Das ist inzwischen in jedem Lebensbereich, an jedem Arbeitsplatz und im gemeinschaftlichen Zusammenleben erforderlich.
Mint-Bildung ist damit die Grundvoraussetzung einer gelingenden Digitalisierung unserer Welt. Deswegen bedarf es unserer besonderen Aufmerksamkeit und unseres größten Engagements, vor allem der nächsten Generation die Kompetenzen zu vermitteln, die sie benötigt, um die Digitalisierung sinnvoll zu gestalten. Leider hat man im Moment aber den Eindruck, das Thema Mint gerät in Vergessenheit. Im Koalitionsvertrag steht es nur an einer Stelle und in der Strategie der Kultusministerkonferenz zur Bildung in der digitalen Welt wird kein einziges Mal das Wort Informatik erwähnt.
Nun liegt uns nichts ferner als hier eine Politikschelte zu betreiben. Im Gegenteil. Wir haben vor sechs Jahren das Nationale Mint Forum gegründet, weil wir uns alle in der Verantwortung sehen. Dabei sind wir 30 Mitgliedsorganisationen mit den unterschiedlichsten Rollen und Aufträgen: gemeinnützige Stiftungen, Wirtschaftsverbände, wissenschaftliche Einrichtungen. Uns alle verbindet die Erkenntnis, dass Mint-Bildung der Schlüssel zur kompetenten Gestaltung einer digitalisierten Welt ist.
Allerdings wissen wir auch, dass Bildung vor allem von der Politik gesteuert wird. Und daher wollen wir mit unseren Aktivitäten nicht nur die Mint-Bildung direkt fördern, sondern auch Anstöße und Empfehlungen für die Politik geben. Die Aktivitäten unserer Mitglieder sind vielfältig, darüber hinaus gibt es viel vorbildliches bürgerschaftliches Engagement für Mint-Bildung in ganz Deutschland entlang der gesamten Bildungskette – es existieren sicherlich mehrere tausend Mint-Initiativen. Können wir uns also zufrieden über diese Erfolge zurücklehnen?
Drei Studien aus den vergangenen Wochen zeigen, wo wir wirklich stehen.
Studie 1: Das TechnikRadar, eine Befragung der Deutschen zu ihrer Haltung gegenüber Technik, in diesem Jahr insbesondere gegenüber der Digitalisierung. Es zeigt, dass die Bundesbürger die Entwicklungen mitbestimmen wollen; nicht Technik an sich steht für sie im Mittelpunkt des Interesses, sondern deren soziale Einbettung.
Studie 2: Der Mint-Frühjahrsreport 2018, eine halbjährliche Studie zu Arbeitskräften in Mint-Berufen. Die Studienergebnisse sind alarmierend: Der Fachkräftemangel hat sich verschärft und von den Mint-Ausbildungsplätzen blieben 10 000 unbesetzt. Fazit der Autoren: Mint-Berufs- und -Studienorientierung sowie Mint-Bildung stärken, digitale Kompetenzen in den Schulen verbessern.
Studie 3: Der Monitor Lehrerbildung, eine Befragung von Hochschulen und Ländern zur derzeitigen Vorbereitung angehender Lehrkräfte auf das Arbeiten mit digitalen Medien. Das bestürzende Ergebnis: Diejenigen, die in der Schule den Umgang mit digitalen Medien vermitteln sollen, können durch ihre eigene Ausbildung gehen, ohne jemals selbst darin geschult worden zu sein. Fazit der Experten: Der Einsatz digitaler Medien muss endlich Pflichtbestandteil in der Lehrerausbildung sein, unabhängig von Schultyp und Fach.
Und es gibt noch mehr alarmierende Erkenntnisse aus weiteren Studien, etwa dass junge Frauen weniger denn je Mint-Ausbildungsberufe wählen oder dass nur 15 % der Schülerinnen und Schüler glauben, einmal einen Mint-Beruf auszuüben.
Beim Nationalen Mint Forum (NMF) trifft uns das nicht ganz überraschend, denn alle genannten Studien wurden von unseren Mitgliedern in Auftrag gegeben. Doch wir brauchen nicht nur Analysen der aktuellen Problemfelder, wir brauchen auch dringend Untersuchungen darüber, wie wir Mint-Bildung wirksamer und zielführender gestalten können. Gesicherte Erkenntnisse dazu gibt es noch viel zu wenige, wie die von uns beauftragte und gerade erschienene Expertise von Reinhold Nickolaus zeigt.
Die Priorität unserer Aktivitäten muss daher darauf gerichtet sein, nachhaltig die Verbesserung von Qualität und Wirksamkeit von Mint-Bildungsaktivitäten voranzutreiben. Dazu gehören die systematische Begleitforschung zur Wirkanalyse von Mint-Initiativen, in den Schulen die Kompetenzorientierung für Mint und digital zu gewährleisten oder auch das Mint-Lehramt attraktiv zu machen – auch für Quereinsteiger.
Entscheidend ist aber, dass wir gemeinsam mit der Politik die Herausforderungen angehen: Wir brauchen eine Mint-Qualitätsallianz aus Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft. Nur wenn dieser Dialog systematisch, kontinuierlich und sektorübergreifend geführt wird, können wir Wirkungen und Fortschritte in der Mint-Bildung erzielen.
Der Nationale Mint Gipfel in der kommenden Woche ist für uns ein wichtiges Ereignis, um eben diesen Dialog voranzutreiben. Wir freuen uns, dass mit der neuen Bundesbildungsministerin Anja Karliczek und mit KMK-Präsident Helmut Holter die Spitzen der Bundes- und Landespolitik unsere Einladung zum Dialog angenommen haben.
Ergreifen wir also gemeinsam die Chancen der Mint-Bildung und meistern so die anstehenden Herausforderungen der Digitalisierung.