Wettbewerb Exoworkathlon 2021 28. Jul 2022 Von Bettina Reckter Lesezeit: ca. 5 Minuten

Arbeitswelt: Exoskelette für die Industrie im Test

Exoskelette sollen Beschäftigte vor Überlastung schützen. Und sie könnten sogar deren Output und Arbeitsleistung verbessern. Ein Technikvergleich.

In der Kfz-Branche sind solche ermüdenden Tätigkeiten an der Tagesordnung. Eiin Exoskelett greift dem Beschäftigten hier unter die Arme.
Foto: Fraunhofer IPA

Mit lautem Ratschen vermeldet der Akkuschrauber, dass er seine Aufgabe ordnungsgemäß erfüllt hat. Die Schraube sitzt fest, aber nicht zu fest. Sofort greift Alexander Esin die nächste Schraube aus der Kiste und fixiert auch sie in der Unterbodenkonstruktion, die etwa 20  cm über seinem Kopf schwebt. Erneut hat er exakt 2  s für den reinen Schraubvorgang – so lauten die Vorgaben der Arbeitsablaufzeitanalyse in der Industrie.

16 Schrauben eindrehen, zwölf Klipse setzen, zwei Kabel einziehen, 25 Lackstriche akkurat und waagerecht auf ein Pad pinseln, anschließend Kabel und Klipse wieder lösen und auch die Schrauben wieder herausdrehen: Diese Tätigkeiten sieht das Lastenheft für die erste Station des Experiments vor, das das Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) und das Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart in der Wilhelm-Maybach-Schule aufgebaut hat.

Dieses passive, also nicht motorgetriebene Exoskelett von Laevo unterstützt die Probanden an der Packstation. Foto: Bettina Reckter

Wie viel Entlastung bringt ein Exoskelett bei der Arbeit?

Die Forscherinnen und Forscher wollen herausfinden, wie viel Entlastung ein Exoskelett bei ermüdender Tätigkeit wirklich bringt. Die gewerbliche Berufs- und Fachschule Bad Cannstatt ist als Austragungsort für diesen Zweck gut gewählt, denn sie bietet jede Menge Know-how in Maschinentechnik, Gießereitechnik und Kfz-Technik.

Der Exoworkathlon, so die offizielle Bezeichnung des Versuchs, sei international eine Premiere, meint Urs Schneider, Leiter des Bereichs „Medizin- und Bioproduktionstechnik“ am Fraunhofer IPA. Sein Team, das Mensch-Technik-Lösungen entwickelt, ist in Deutschland die größte Exoskelettforschungsgruppe. Die Teststationen wurden zusammen mit Spezialisten für Ergonomie und Arbeitssicherheit aus der Industrie entwickelt. Sie spiegeln typische Arbeitssituationen wider, in denen häufig Zwangshaltungen auftreten. An der Station von Esin gilt es über Kopf zu arbeiten, an einer anderen Kisten zu schleppen.

Kalibrierung: Die Sensoren für die Erfassung der physiologischen Daten werden vor dem Versuch exakt auf die Testperson eingestellt. Foto: Bettina Reckter

Eine Stunde lang schuften unter Erfassung von physiologischen Daten

Jeweils eine Stunde lang erledigen mehrere Berufsschüler nacheinander diese ermüdende Tätigkeit, einmal mit und einmal ohne Unterstützung durchs Exoskelett. Sensoren erfassen dabei ihre physiologischen Daten wie Muskelaktivität und kardiovaskuläre Parameter wie Herzfrequenz und Sauerstoffaufnahme, in einem Fragebogen geben die Probanden zudem ihr subjektives Empfinden während des Arbeitsprozesses an.

Exoskelette sind am Körper befestigte Stützkonstruktionen, die die Muskelkraft an Armen, Beinen oder Rumpf verstärken oder sogar ersetzen können. Man unterscheidet passive und aktive Systeme, je nachdem, ob batteriegetriebene Motoren integriert sind. Erste Entwicklungen wurden in der Medizin eingesetzt, um Menschen nach Schlaganfall oder mit Querschnittlähmung zu unterstützen. Doch zunehmend entdeckt die Industrie Exoskelette, um die Beschäftigten bei schwerer körperlicher Arbeit ergonomisch zu entlasten. Das Schleppen von Kisten gehört dazu.

Packstation: Beim Schleppen und Stapeln der Pakete im ‧Akkord erfassen 15 Sensoren am Körper des Probanden die physiologischen Daten und funken sie zur Auswertung. Foto: Fraunhofer IPA

Kisten schleppen wird mit dem Exoskelett fast zum Kinderspiel

Geschmeidig bewegt sich Simon Bader zwischen Packtisch und Container hin und her. Kontinuierlich trägt er 8 kg schwere Kisten durch die zweite Station. Meist setzt er seine durchs Exoskelett erleichterte Last lässig im Behälter ab. Wie Esin absolviert auch er sechs Runden á 10 min. „Eigentlich soll man ja in die Knie gehen, um die Last aus den Beinen und nicht aus dem Rücken heraus zu heben“, sagt der Mitarbeiter eines mittelständischen Spezialisten für Druckgusstechnik aus dem Remstal, der gerade seinen Maschinenbautechniker im zweiten Jahr macht.

Mehrere Sensoren erfassen an seinem Körper Daten und funken sie zur Auswertung weiter. Damit will das IPA-Team gemeinsam mit der Uni Stuttgart ermitteln, welche Entlastung die im Test eingesetzten Exoskelette den Beschäftigten tatsächlich bringen und inwieweit sie möglicherweise Folgeschäden abwenden können.

Attrappe: Im Exoworkathlon wird nicht am realen Kfz-Unterboden herumgewerkelt, sondern an einer Nachbildung. Eine Studentin von der Universität Stuttgart überwacht den korrekten Ablauf. Foto: Bettina Reckter

„Überlastung im Beruf führt zur Erwerbsunfähigkeit“

„Überlastungen, die gerade von jungen Menschen oft kaum wahrgenommen werden, können im Laufe des Berufslebens zu Ausfällen und Erwerbsunfähigkeit führen“, sagt die Leiterin des IPA-Projekts, Verena Kopp. Exoskelette hingegen könnten die Fachkräfte langfristig vor solchen Folgeschäden schützen, ist die Sportwissenschaftlerin und Biomechanikexpertin überzeugt. Doch das wird die Versuchsauswertung erst noch zeigen müssen. Wichtig ist den Fraunhofer-Leuten, dass die getesteten Exoskelette nicht miteinander in Konkurrenz treten, deren Hersteller aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und den USA kommen.

„Hier geht es lediglich um den Vergleich der Tätigkeit mit und ohne Unterstützung“, sagt Kopp. „Wir wollen nur sehen, ob Exoskelette das Potenzial haben, die körperliche Belastung zu verringern und die Leistungsfähigkeit zu erhalten.“ Und wie sich das auf das subjektive Empfinden auswirkt. Speziell dafür hat Kopp einen Fragebogen ausgetüftelt, den die Probanden direkt nach ihrem Einsatz ausfüllen.

Lacksimulator: Die „Pinselstriche“ gilt es über Kopf gleichmäßig auf dem Touchpad zu applizieren. Jede kleine Abweichung wird registriert. Foto: Fraunhofer IPA

Exoskelett kann den Output steigern

„Im besten Fall kann man mit einer Arbeitshilfe sogar den Output steigern, dann setzen sie sich in der Industrie vielleicht durch“, hofft Urs Schneider. Rein für die Gesundheit der Beschäftigten würden die Betriebe nicht unbedingt Geld in die Hand nehmen, wohl aber, wenn sie damit eine Steigerung der Arbeitsleistung erreichen. „Wir wissen, dass man über Kopf besser schweißen kann, wenn die Arme von einem Exoskelett unterstützt sind. Da freut sich der Arbeitgeber, wenn die Schweißnaht sauber ist“, schmunzelt der IPA-Bereichsleiter. Diese Erfahrung habe sein Team beim Automobilhersteller Audi gemacht.

Eine solche Schweißstation haben die Stuttgarter auch auf der Arbeitsschutzmesse A+A, die vom 26. bis 29. Oktober in Düsseldorf lief, aufgebaut. Mitarbeiter des Autobauers Ford konnten dort die Exoskelette am eigenen Körper testen. „Aus den Ergebnissen beider Events werden wir eine Datenbank erzeugen“, sagt Schneider. Im Januar ist ein weiterer Parcours in der schweißtechnischen Versuchsanstalt in Hamburg geplant. Dort werden Hafenschweißer ins Experiment mit einbezogen.

Arbeitsschutz und Unfallversicherungen sind an Ergebnissen interessiert

An den Ergebnissen des Exoworkathlon sind auch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua) und die deutsche gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) interessiert. Sie hoffen, dass die Experimente ein wenig Methodik in die bislang recht dünne Datenlage im Umgang mit Exoskeletten bringen. Schnell kann es bei den Beschäftigten in Betrieben der Logistik oder des Kfz-Gewerbes zu Bandscheibenvorfällen oder schlimmstenfalls zur Frühverrentung kommen. Das gilt es zu verhindern.

In Zukunft könnte man gerade für Mittelständler und Handwerksbetriebe Empfehlungen aussprechen, wie sie Arbeitsprozesse ergonomischer gestalten können. Denn: „Die wirklich harten Jobs finden bei den kleinen Firmen statt“, ist Schneider überzeugt. Sie könnten sich nicht wie große Konzerne eine aufwendige Prozessplanung und Teams erlauben, die die Produktionsstraßen unter ergonomischen Aspekten aufbauen. Auch deshalb verkaufen zurzeit die meisten Hersteller ihre Exoskelette an kleinere Unternehmen.

„Die gefühlte Anstrengung lag mit Exoskelett knapp 30 % niedriger“

Derweil ist die Auswertung in vollem Gange. Simon Bader hat durch das Exoskelett einen deutlichen Unterstützungseffekt gespürt. „Auf längere Sicht kann es bestimmt zur Arbeitserleichterung, zur Sicherheit und zur Mitarbeiterzufriedenheit beitragen“, meint er. Er kann sich vorstellen, dass auch sein Arbeitgeber solche Unterstützungs­systeme einführt. „Bei uns gibt es Tätigkeiten, bei denen bis zu 25 kg schwere Kisten geschleppt werden, da wäre es eine große Erleichterung.“

Für Projektleiterin Kopp ist besonders wichtig, ob es eine spürbare Entlastung durch Exoskelette gibt. Das haben die Versuche deutlich gezeigt. „Die gefühlte Anstrengung lag mit Exoskelett knapp 30 % unter dem Wert, der ohne die technische Unterstützung angegeben wurde“, sagt sie. In allen Muskelregionen ergab sich eine geringere gefühlte Belastung mit Exoskelett.

Exoskelette zeigen großes Potenzial

Ein verblüffendes Ergebnis hat Kopp allerdings auch auf Lager – mit Exoskelett waren die Probanden etwas langsamer im Arbeitsprozess. „Vielleicht liegt es daran, dass die Bewegung mit dem System ungewohnt war“, vermutet Kopp. Dennoch: „Die Ergebnisse zeigen, dass Exoskelette definitiv das Potenzial haben, den Beschäftigten zu unterstützen“, sagt die Projektleiterin.

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