Ägyptische Kraftwerksriesen
In Ägypten hat Siemens drei Gas- und Dampfkraftwerke mit mehr als 14 GW in die Wüste gepflanzt. Sie sollen den wachsenden Energiebedarf decken.
Von einem wolkenlosen Himmel brennt die Sonne nieder; das Thermometer zeigt 36 °C. Schnurgerade führt die Autobahn durch die Wüste, deren gelbes Gestein sich auf allen Seiten bis zum Horizont erstreckt. Zwei Stunden dauert die Fahrt von Ägyptens Hauptstadt Kairo bis zur Provinzstadt Beni Suef im Süden, wo hinter einer Abfahrt kaum befestigte Straßen beginnen. Vor den Steinhäusern sitzen Männer in traditionellen Kaftanen. Ein Maulesel zieht einen Karren, in dem Zitrusfrüchte hin- und herrollen. Der Wind weht Plastiktüten in die Wüste, wo in der Weite Strommasten in der Hitze flirren.
Erdgas ist für viele Schwellenländer mit Zugang zu Gasfeldern der Energieträger der Wahl, um die Stromversorgung zügig auszubauen. Eines davon: Ägypten. Ein weiteres Beispiel ist der Irak, wo Siemens auf einen Milliardenauftrag für GuD-Kraftwerke zum Wiederaufbau des vom Krieg zerstörten Landes hofft.
Siemens könnte gezwungen sein, mit dem Wettbewerber General Electric zusammenzuarbeiten. Beide Firmen haben von der irakischen Regierung eine Zusage erhalten. Wie wichtig das Geschäft auch für die Heimat der beiden großen Konzerne ist, zeigt, dass sich sowohl Kanzlerin Merkel als auch US-Präsident Trump in Bagdad für ihre Industrie stark gemacht haben.ori
Plötzlich tauchen Felder mit Dattelpalmen auf – bewässert durch Kanäle des nahen Nils. Während die Strommasten näher rücken, zeigt sich eine aufgeräumte Oase mit Wiesen und Bäumen. Kurz dahinter ist auch der Ausgangspunkt der Stromleitungen erreicht – das Gas- und Dampfkraftwerk (GuD) von Beni Suef, gekennzeichnet durch 16 rot-weiße Türme. Vor der Mauer des Kraftwerks türmt sich ein Gewirr aus Stahlträgern und Kabeln auf. Es ist die Schaltanlage, die den Strom des Kraftwerks über drei Mastenreihen und je eine 500-kV-Leitung in die Wüste hinausschickt.
Hinter dem schwer bewachten Tor nimmt Sherif Kotb die Besucher in Empfang. Der Elektroingenieur arbeitet für Siemens in Kairo und ist für die drei GuD-Kraftwerke verantwortlich, die der deutsche Technologiekonzern zusammen mit lokalen Partnern in zweieinhalb Jahren in Ägypten gebaut hat: eines an der Mittelmeerküste, eines in der Nähe der Hauptstadt und ein drittes hier in Beni Suef. Es soll den Süden des Landes versorgen und erreicht im Vollbetrieb 4,8 GW Leistung.
„Die Kapazitäten sind wichtig für das Land“ sagt Kotb, während der Werksrundgang startet. Unter den Sohlen seiner schweren Sicherheitsschuhe knirscht der Sand. Laut der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer dürfte sich der Strombedarf in dem nordafrikanischen Staat in den kommenden fünf Jahren um 50 % erhöhen.
Die alten Öl- und Gaskraftwerke reichen für die 100-Mio.-Einwohner-Nation, in der mehr als 90 % der Bevölkerung ans zentrale Netz angeschlossen ist, längst nicht mehr aus. „2014 gab es in Ägypten großflächig Stromausfälle“, erinnert sich der Siemens-Manager. „Die Regierung hat deshalb beschlossen, neue Kapazitäten ans Netz zu bringen.“ Mit Unterstützung internationaler Finanzpartner, vor allem aus Deutschland und Italien, wurde das „Megaprojekt“ mit seinen 14,4 GW und 6 Mrd. € Investment aus der Taufe gehoben. Damit erhöhen sich die installierten Erzeugungskapazitäten Ägyptens schlagartig um mehr als die Hälfte.
Während die Technologie importiert werden muss, liegen die Rohstoffe vor der Tür. Das Gasfeld Zohr vor der Küste Ägyptens ist mit geschätzt 850 Mrd. m3 eines der größten Vorkommen im Mittelmeer. Erschlossen wird es seit Kurzem vom italienischen Energiekonzern Eni.
Nach Beni Suef strömt der Energieträger in gelben Pipelines. Sie führen direkt in die Maschinenhäuser mit den Gasturbinen. „In allen drei Kraftwerken sind acht Gasturbinen mit 400 MW Leistung und vier Dampfturbinen mit 400 MW Leistung installiert“, sagt Kotb „Je zwei Turbinen versorgen eine Dampfturbine und bilden ein Modul.“ Der Manager betritt eine mit arabischen Schriftzeichen gekennzeichnete Maschinenhalle.
Zu sehen ist im Innern von Modul 4 nicht viel, außer ein paar Rohren und den großen Kammern, in denen die Gasturbinen liegen. Es ist still. Nur von jenseits der Wände dringt ein Zischen und Brummen an das Ohr. Das Modul ist noch nicht in Betrieb. Die Leistung des Kraftwerkes wird peu à peu hochgefahren. Jede einzelne Gasturbine ist ein Gigant. „Mit 445 t wiegen sie so viel wie ein betankter A380“, sagt Kotb mit einem Lächeln. „Oder wie 250 Porsche 911“. Der 33-Jährige scheint schnelle Autos und derartige Vergleiche zu lieben. Durch kleine Fenster ist die Stahlummantelung zu sehen. „Die Turbinen sind im Falle von Problemen nicht mehr ohne Weiteres zugänglich“, erklärt er. „Dafür muss der Mantel aufwendig entfernt werden.“
Mit der Notwendigkeit regelmäßiger Wartungen rechnet Siemens offenbar nicht, eher mit der Sorge, dass die empfindliche Konstruktion mit den vielen Lauf- und Schaufelrädern bei Kontrollen Schaden nimmt. Ohnehin ist der Zustand der Turbinen jederzeit digital einsehbar.
Damit die Turbinen auf Touren kommen, brauchen sie Luft. Dafür existieren draußen vor den Modulhäusern riesige braune Absorber, die die Außenluft in die Kraftmaschinen leiten. Von Zeit zu Zeit ertönt ein Knall. „Durch Kompression werden Sand und andere Partikel in der Luft zerstört, damit sie nicht die Turbinen beschädigen können“, erklärt Kotb. Gekühlt werden müsse die Luft bei 40 °C übrigens nicht. „Diese Temperaturen beeinträchtigen nicht den Wirkungsgrad“.
Kotb zählt auf: Pro Sekunde strömen 820 kg Luft in die Turbine ein, zusammen mit 22 kg Erdgas. Das Gemisch wird verdichtet und entzündet sich in der Brennkammer. Dabei entstehen Temperaturen von 1330 °C. Die heißen Gase strömen beim Austritt durch die Turbine, die einen Generator zur Stromerzeugung antreibt.
Die 650 °C heißen Abgase erzeugen im Anschluss Dampf und treiben die Dampfturbinen an. Davon zeugen die dicken blitzenden Stahlrohre jenseits der Gasturbinenhallen. Gas- und Dampfturbinen sind in getrennten Gebäuden untergebracht. Sind beide im Einsatz, erreicht das Kraftwerk einen Wirkungsgrad von 61 %.
Weil das aber nicht immer der Fall ist, verfügt jedes Modul über zwei Abgasschlote. „Der eine ist für den Einzelbetrieb der Gasturbinen vorgesehen, der andere zusammen mit den Dampfturbinen“, erläutert Kotb und legt seinen Kopf in den Nacken, um die 60 m hohen Kolosse in Augenschein zu nehmen. Mit ihrem rot-weißen Anstrich erinnern sie an Leuchttürme. Bei niedriger Nachfrage etwa wird der Strom nur mit den Gasturbinen erzeugt. Dann gehen die heißen Abgase über den ersten Schornstein ab. Das soll zwar die Ausnahme bleiben, der Einzelbetrieb ist aber auch für das Anfahren der Kraftwerke wichtig.
Rund um die 30 m hohen Kühltürme liegt ein modriger, brackiger Geruch in der Luft. Hier fällt das Gelände steil ab bis zum hier träge fließenden Nil. Täglich werden ihm zur Kühlung 260 m3 Wasser entnommen. Das gegenüberliegende Ufer ist sumpfig und grün. Eine Ansiedlung roter Gebäude schimmert im Dunst. Sie zählen zur Provinzhauptstadt Beni Suef, das vor allem als Agrarzentrum bekannt ist. Auch eine Universität hat die 200 000-Einwohner-Stadt. Ingenieure, wie sie das Kraftwerk braucht, werden dort aber nicht ausgebildet.
Ohnehin hat Siemens einen eklatanten Fachkräftemangel für technische Berufe im Land festgestellt. „Um die 600 Ingenieure für die drei Kraftwerke zu rekrutieren, haben wir einen landesweiten Aufruf gestartet“, sagt Kotb. „Es gab viele Tausend Bewerber, aber kaum einer verfügte über die notwendige Qualifikation. Die besten 600 wurden ausgewählt und nach Deutschland zum Training geschickt.“ Heute arbeiten manche von ihnen in den Kontrollräumen der Anlagen. Um künftig ausreichend qualifizierte Ingenieure in Ägypten finden zu können, ist Siemens selbst in die Weiterbildung eingestiegen.
Ortswechsel Kairo, Stadtteil El Sayeda Zeinab, ein einfaches Arbeiterviertel, viele Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Hier sitzt die staatliche Fachhochschule Zein El Abedeen. Initiiert und finanziert von Siemens und der Bundesregierung können Studenten seit einem Jahr Kurse für mechanische Instandsetzung, Industrieengineering und Automation besuchen. 100 Schüler haben die dreijährige Ausbildung begonnen. Einer ist Mohamed. Er ist 15 Jahre alt und fährt täglich eine Stunde mit der Metro zur Schule. „Ich will Ingenieur werden wie mein ältester Bruder“, sagt er stolz und mit fester Stimme. „Mich interessiert Technik.“
Er steht in einem Labor zusammen mit vier anderen Jungs vor einer Tafel. Sie bewegen Regler auf Aluminiumschienen. Ähnliche Einheiten werden für die pneumatische Steuerung von Maschinen eingesetzt; Druckluft gibt die Impulse. Das können die Studenten simulieren, indem sie kleine blaue Schläuche mit den Reglern verbinden.
„In ihrer Ausbildung lernen die Schüler solche Einheiten zu programmieren und einzusetzen“, erklärt Ahmed El Saadany, der bei Siemens für die Ausbildung verantwortlich ist. In einem anderen Raum demonstriert ein Lehrer gerade virtuelles Schweißen. Auf dem Lehrerpult liegen die Unterrichtsmaterialen. Sie sind in arabischer Schrift und enthalten viele technische Zeichnungen. Auf dem Deckblatt prangt das Siemens-Logo.
Die Curricula sind vom Industrieunternehmen vorgegeben worden. „Bisher gab es eine solche Ausbildung nicht“, erklärt El Saadany. Die Voraussetzungen dafür wurden auf höchster Ebene zwischen Ägypten und der Bundesrepublik vereinbart. Er zeigt Fotos einer Zeremonie mit Präsident Al-Sisi und Kanzlerin Merkel. Die Ausbildung sei für alle Schüler offen, die Interesse am Ingenieurberuf haben, betont der Siemens-Mitarbeiter. Es gibt keine Studiengebühren, und auch andere Unternehmen können die Nachwuchskräfte an sich binden. Schon jetzt seien verschiedene Firmen Ausbildungspartner der Schüler. Siemens hat Interesse an einer Streuung des Wissens, damit auch Zulieferer Personal finden.
Damit Mohameds Traum vom Ingenieur wahr wird, muss er noch einige Jahre lernen. Nach der dreijährigen dualen Ausbildung auf der Fachhochschule folgen zwei Jahre an der Technischen Hochschule. Danach schließt sich noch ein Jahr in einem Trainingszentrum an, das Siemens gerade baut. Für das Bildungsvorhaben gibt die Firma 17,7 Mio. € aus. Die Bundesrepublik schießt noch einmal 6,3 Mio. € hinzu. Siemens hofft, dass so in vier Jahren 5500 ägyptische Nachwuchskräfte zur Verfügung stehen.