Kernenergie 24. Apr 2023 Von Eckart Pasche Lesezeit: ca. 3 Minuten

Atomkraft: Wie der Schnelle Brüter sich zur Investitionsruine wandelte

Mit dem Schnellen Brüter in Kalkar wollten Jahren Regierung und Energieversorger das Perpetuum mobile realisieren.

Der Schnelle Brüter in Kalkar am 18. 4. 1994. Bereits 1991 hat die Politik das Atomkraftprojekt „SNR-300“ offiziell beendet und machte aus dem Atomkraftwerk eine der größten deutschen Investitionsruinen.
Foto: dpa picture alliance / ZB/euroluftbild.de/Elmar Hartmann

„Heller als 1000 Sonnen“ hatte Robert Jungk seine 1956 erschienene Darstellung des Schicksals der Atomforscher betitelt. Einen Schritt weiter ging ein Jahrzehnt später die Bundesregierung als Befürworter der neuartigen Brutreaktortechnik. Das seinerzeit modernste Kernkraftwerk der Welt, der Schnelle Brüter in Kalkar, sollte quasi als „Perpetuum mobile des Industriezeitalters“ funktionieren (wie es mal der Spiegel nannte), indem es mehr Plutoniumbrennstoff herstellte, als es gleichzeitig verbrauchte. Strategisches Ziel war die mittelfristige Unabhängigkeit Deutschlands von Energieimporten. Im Dezember 1973 passierte das ambitionierte „Vierte Atomprogramm“ den Bundestag: Es sah den Ausbau der Kernenergie auf eine Gesamtleistung von 45 GW bis 50 GW bis Mitte der 1980er-Jahre vor.

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Bundesforschungsminister Volker Hauff (2.v.li) besichtigte das Atomkraft-Zukunftsprojekt „Schneller Brüter“ in Kalkar. Foto: imago images/Sven Simon

Mit Interatom wurde die Atomkraft in Deutschland salonfähig

Alles aber begann in Deutschland wesentlich früher. Im Jahre 1957 gründete die North American Aviation/Atomics International Division gemeinsam mit der Demag AG in Duisburg die Interatom, Internationale Atomreaktorbau Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Das Unternehmen zog 1958 nach Bensberg in das Alte Schloss. Ab 1969/70 wurde der Schnelle Natriumgekühlte Reaktor SNR-300 als Gemeinschaftsprojekt von Deutschland, Belgien und den Niederlanden konzipiert und entwickelt. Die Grundsteinlegung erfolgte am Osterdienstag, den 24. April 1973, in Kalkar am Niederrhein. Interatom vereinbarte mit der Schneller Brüter Kernkraftwerksgesellschaft mbH als Eigentümer und Betreiber der Anlage einen Festpreis von 500 Mio. DM.

Der SNR-300 war für eine Bruttoleistung von 327 MW ausgelegt. Der Baubeginn eines zweiten, als SNR-2 projektierten Reaktors war nach der Inbetriebnahme der ersten Anlage vorgesehen. Diesem sollte als größter Kernreaktor der Welt eine Bruttoleistung von 2000 MW installiert werden.

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Schnelle Brüter erlauben eine wesentlich bessere Nutzung der in Kernbrennstäben enthaltenen Energie, was die anfallende Menge radioaktiver Abfälle je erzeugter Energieeinheit deutlich reduziert. Der erste „schnelle“ Reaktor (gemeint ist die Geschwindigkeit der Neutronen) wurde 1946 in den USA als Neutronenquelle für die Forschung gebaut. Es handelte sich dabei um eine Reaktortechnik, die sich grundlegend von den bis dahin errichteten grafitmoderierten Reaktoren unterschied. Ein Brutreaktor kann nicht nur ebenso wie diese das vergleichsweise seltene Uranisotop U-235 verwenden, sondern auch das viel häufigere U-238 in spaltbares Plutonium umwandeln, wobei er mehr Plutonium erbrütet, als er U-235 verbraucht.

Da die Uranvorräte in Westdeutschland begrenzt sind, erhofften die Befürworter der friedlichen Nutzung der Kernenergie mit dem Bau eines Brutreaktors eine erheblich effizientere Ausnutzung dieser Vorräte, sodass Deutschland auf absehbare Zeit von Energieimporten für die Elektrizitätserzeugung unabhängig werden könnte. Der erste deutsche Brutreaktor KNK-I wurde in den Jahren 1971 bis 1974 im Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK) gebaut und 1977 zu einem schnellen Brüter mit der Bezeichnung KNK-II umgerüstet. Im Herbst 1972 wurde in Essen die belgisch-deutsch-niederländische Schnell-Brüter-Kernkraftwerksgesellschaft mbH gegründet.

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Erste Proteststimmen gegen die Atomkraft wurden laut

Am 20. März 1972 begann in Kalkar die öffentliche Anhörung im Rahmen des Genehmigungsverfahrens. Schon bald kam Kritik am Kraftwerksbau auf. Bereits im ersten Jahr nach Baubeginn fand 1974 in Kalkar eine Demonstration statt, allein 20 000 Teilnehmer kamen aus den Niederlanden, „und auf der anderen Seite gab es nur eine Handvoll Deutsche“, wie sich ein damaliger Teilnehmer erinnert.

Die Bürgerinitiative „Stopp Kalkar“ rief am 24. September 1977 zur Großdemonstration auf, bei der 40 000 bis 50 000 Menschen gegen die Fertigstellung des Werks protestierten. Das hierzu beorderte Polizeiaufgebot gilt als das größte in der Geschichte der Bundesrepublik. Neben einer zunehmenden Radikalisierung des antinuklearen Protests – zahlreiche Großdemonstrationen führten teils zu heftigen Zusammenstößen mit der Polizei – ist hier auch die Gründung der Partei „Die Grünen“ 1979/80 anzuführen, die das Thema Kernkraft als Opposition massiv in die politischen Institutionen trug.

Frühe Proteste: Mehr als 40 000 Menschen demonstrierten am 24. September 1977 gegen den „Fast Breeder Reactor“ (FBR) des Atomkraftwerks Kalkar. Foto: dpa picture alliance / Klaus Rose

Das Aus: Atomkraft aus dem Schnellen Brüter „zu unsicher, zu teuer“

Zwar wurden unter den SPD-Bundeskanzlern Willy Brandt (1969–1974) und Helmut Schmidt (1974–1982) die meisten Leistungsreaktoren in Deutschland mit dem öffentlichen Netz verbunden, aber nach der Fertigstellung des Schnellen Brüters in Kalkar vollzog die Partei eine späte Wende: Das „Höllenfeuer“ dürfe nicht entfacht werden, sagte SPD-Landtagsfraktionschef Friedhelm Farthmann – nachdem er zuvor in seiner Zeit als Minister auch für die Atomenergie zuständig gewesen war und mehrere Genehmigungen für den Schnellen Brüter erteilt hatte.

1991 wurde das Projekt „SNR-300“ offiziell beendet: Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber (CDU) verkündete das Aus für den Schnellen Brüter – „zu unsicher, zu teuer“. Mit Kosten von 3,5 Mrd. € gilt der Brüter noch heute als eine der größten Investitionsruinen Deutschlands. Die Anlagen und Gebäude wurden 1995 vom niederländischen Schrotthändler Hennie van der Most gekauft. Der Kaufpreis betrug lediglich 2,5 Mio. €. Aus der einst mit großen Zukunftshoffnungen begonnenen kerntechnischen Anlage wurde der Freizeit- und Vergnügungspark „Wunderland Kalkar“.

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