Energiewirtschaft: Mittelstand schlägt Alarm 01. Nov 2021 Von Stephan W. Eder Lesezeit: ca. 6 Minuten

Warum sind die Energiepreise so hoch?

Der Wirtschaftsmotor springt nach der Corona-Krise weltweit wieder an. Aber er stottert. Auch weil die Energiepreise die ohnehin Gebeutelten noch mehr unter Druck setzen. Das Beispiel der Haushaltspreise für Strom und Gas zeigt, wie komplex die Einflussfaktoren sind.

Es wird teurer, auf jeden Fall: Ob Gas und Öl, Strom oder Sprit, die Preise für Energierohstoffe und -produkte klettern rasch nach oben.
Foto: PantherMedia / Andriy Popov

Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung steht im Briefkopf, kurz WSM; es ist ein Dachverband für 14 Fachverbände dieser Branchen mit Tausenden von mittelständischen Betrieben.

Der Verband mit Sitz in Düsseldorf schlägt Alarm: „Der rasante Anstieg der Preise für Industriestrom und Erdgas bedeutet für viele mittelständische Industriebetriebe der Stahl- und Metallverarbeitung, dass sie nicht mehr in Deutschland produzieren können – das Rückgrat der deutschen Industrie stirbt.“ Der WSM, das ist der Pressemitteilung zu entnehmen, ist stinksauer.

Die Preise für Gas, Öl und Strom steigen kräftig

Seit Monaten schnellen die Preise besonders für Gas in die Höhe, die Ölpreise reißen mehrjährige Rekordstände. Und die Strompreise im Großhandel werden durch den hohen CO2-Preis im EU-Emissionshandelssystem (ETS) und den Gaspreis gleichermaßen nach oben getrieben.

Ein Blick auf den Gaspreis (er zeigt für das Jahr 2021 einen rapiden Anstieg). Ein zweiter Blick auf die Füllstände der europäischen Gasspeicher, den Jean-Baptiste Dubreuil, Senior Natural Gas Analyst bei der Internationalen Energieagentur (IEA), jüngst auf der Handelsblatt-Tagung Gas 2021 gewährte, zeigt zudem einen historischen niedrigen Füllstand. Einen Versorgungsnotstand aber sah Sebastian Bleschke, Geschäftsführer der Initiative Erdgasspeicher (Ines), nicht. Bis Anfang November sei es möglich, einen Füllstand von über 90 % zu erreichen, das entspräche dem üblichen Füllstandsniveau.

Aber schießt nicht der Haushaltsgaspreis trotzdem durch die Decke? Der Gaspreis, der bei Haushalten ankommt (s. unten), bildet nicht nur den Spotmarkt ab, decken sich doch die Gasversorger auch mit Langfristverträgen ein. Je besser sie dies getan haben, desto weniger schlägt der Run auf Gas an den Spotmärkten auf die Gasbeschaffung durch. Laut Branchenverband BDEW lag der auf ein Einfamilienhaus umgerechnete Gaspreis bei 6,22 Cent/kWh (Stand Juni 2021, s. unten). Und damit unter dem Jahresniveau von 2008 bis 2015. „Die nächste Aktualisierung der Gaspreisanalyse erfolgt daher im November 2021 und dann im Januar 2022 mit dem ersten ‚Snapshot‘ des neuen Jahres“, so der BDEW.

Energiepreise: Steigerungen beuteln auch die Unternehmen

Zahlen, wie die Lage an den globalen Energiemärkten auf die mittelständischen Stahl- und Metallverarbeitenden Betriebe durchlägt, liefert der Verband WSM: „Der Börsenstrompreis für den Bezug im Jahr 2022 ist seit Oktober 2020 von rund 40 €/MWh auf über 128 €/MWh (Base-Load) gestiegen, der Gaspreis in demselben Zeitraum von unter 30 €/MWh auf knapp 130 €/MWh (zwischenzeitlich auf 160 €/MWh)“, zählt er auf.

Wirkliche Entlastung, etwa durch die sinkende EEG-Umlage (s. unten) zum Jahresbeginn 2022, ist nicht in Sicht: „Für nicht von den staatlichen Abgaben entlastete Betriebe sind Strompreiserhöhungen von 34 % zu erwarten, die Gaspreise können um 240 % oder mehr ansteigen, wenn der zuständige Einkäufer einen ungünstigen Zeitpunkt erwischt – und das Zeitfenster zur Beschaffung der Energie für 2022 schließt sich.“

Mittelständische Industrie fühlt sich von der Politik im Stich gelassen

Die EU-Kommission sorgte sich letztens, wie es gelingen könnte, Verbraucherinnen und Verbraucher vor hohen Heiz- und Stromkosten zu schützen. Dazu gehören Steuersenkungen, Zahlungen an betroffene Haushalte und Subventionen für kleine Unternehmen. Mehrere Länder haben solche Maßnahmen bereits ergriffen. Die mittelständische Industrie, wie die Stahl- und Metallverarbeiter, scheint durch das Aufmerksamkeitsraster der Politik zu fallen.

Grund für den Preisanstieg bei Energierohstoffen ist die wirtschaftliche Erholung, und die läuft teilweise schneller als erwartet. Diverse Effekte verknappen das Angebot an fossilen Energieträgern. Wenig Angebot, starke Nachfrage, diese Konstellation lässt Preise steigen.

Preise für Energierohstoffe sind komplizierte Konstrukte

Hinzu kommt, dass die Preise für Energierohstoffe sich zwar am Markt bilden, bis der aber beim Haushalt oder Unternehmen ankommt, ist der Preis ein komplexes Konstrukt. Allein der Strompreis für deutsche Haushalte kommt auf zehn Bestandteile, nur einer ist marktgetrieben. Beim Gas sind es sechs. Für Unternehmen gibt es Befreiungen – teilweise.

Dieses Gesamtsystem kann nicht flexibel reagieren. Seit Jahren wird eine Reform des Marktdesigns und der Preisstruktur angemahnt. Dass die neue Bundesregierung die EEG-Umlage fallen lässt, scheint festzustehen. Der WSM hätte lieber eine Umlagen-Radikalkur. Holger Ade, Leiter Industrie- und Energiepolitik: „Wenn die Energiepreise nicht schnell auf ein europäisches Niveau sinken, werden wir leider Insolvenzen sehen, die vermeidbar gewesen wären, erste Fälle gibt es bereits.“

Wie setzt sich der Strompreis für private Haushalte* zusammen?

Am Beispiel des Strompreises für private Haushalte wird deutlich, wie vielfältig – für sehr verschiedene Zwecke – die Energiepreise in Deutschland belastet sind. Wird öffentlich eine einzelne Ursache für einen eklatanten Anstieg verantwortlich gemacht, ist es daher sehr anzuraten, auf die Entwicklung der einzelnen Komponenten zu sehen. Diese sind teilweise bundesweit gesetzlich festgelegt, teilweise aber auch regional differenziert. Die Preise können daher individuell variieren.

Die folgenden Werte veröffentlicht der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) in der Regel einmal jährlich, Mitte des Jahres. Viele der Umlagen werden jeweils Ende Oktober von den vier Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) in Deutschland für das folgende Jahr neu festgelegt. Daher liegen diese Werte für 2022 inzwischen vor.

Der durchschnittliche Strompreis für Haushalte liegt im Jahr 2021 um 0,4 % höher als 2020 und beträgt im Schnitt 31,94 Cent/kWh. So die Analyse des BDEW im Juni. Auf diesen Wert beziehen sich im Folgenden auch die Werte bei den prozentual ermittelten Strompreiskomponenten.

Strombeschaffung, -vertrieb und Dienste: lagen 2021 im Bundesschnitt bei 7,74 Cent/kWh. Dieser Preisbestandteil ist marktabhängig.

Stromnetzentgelte inklusive der Messung und des Messstellenbetriebs: regulierte Entgelte, laut BDEW im bundesdeutschen Schnitt bei 7,80 Cent/kWh. Regional unterschiedlich. Seit 2019 fallen für Messung und Messstellenbetrieb 0,30 Cent/kWh an.

Umsatzsteuer: liegt bei 19 %, ergibt 5,40 Cent/kWh. Sie fließt an Bund, Länder und Kommunen und ist die zweitwichtigste staatliche Einnahmequelle nach der Lohnsteuer.

Stromsteuer: früher Ökosteuer, fließt zu ca. 90 % in die Rentenkassen. Liegt seit 2010 bei 2,05 Cent/kWh. Es gelten zahlreiche Ermäßigungen und Steuerbefreiungen.

EEG-Umlage: zur Förderung von Ökostrom nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). 2021 bei 6,50 Cent/kWh, sinkt 2022 auf 3,723 Cent/kWh.

Offshore-Netzumlage: 0,395 Cent/kWh. Wälzt Haftungsrisiken einer verzögerten Anbindung von Offshore-Windparks, die sonst nicht abgesichert werden können, auf die Allgemeinheit ab, ebenso Einnahmeausfälle durch Netzunterbrechungen ab zehn Tagen. Liegt 2022 bei 0,419 Cent/kWh.

Konzessionsabgabe: im Schnitt bei 1,66 Cent/kWh. Entgelt für die Einräumung von Wegerechten der Kommunen, daher variierend nach Größe der Kommune.

Umlage nach § 19 Stromnetzentgeltverordnung: liegt bei 0,432 Cent/kWh. Für den Zugang zum Stromnetz ist an Netzbetreiber ein Entgelt zu zahlen. Hiervon gibt es Ausnahmen, die Kosten werden umgelegt. Neufestlegung für 2022 liegt bei 0,437 Cent/kWh.

KWK-Umlage: soll die höheren Kosten von Blockheizkraftwerken (KWK: Kraft-Wärme-Kopplung) ausgleichen. Staffelung nach Höhe des Jahresstromverbrauchs, für den Endverbraucher bei 0,254 Cent/kWh. 2022 wird die Umlage bei 0,378 Cent/kWh liegen.

Umlage für schaltbare Lasten: liegt bei 0,009 Cent/kWh, für 2022 bei 0,003 Cent/kWh. Sie soll Vergütungszahlungen der ÜNB an Anbieter sogenannter „Abschaltleistung“ ausgleichen. Das sind zum Beispiel Industriebetriebe, die für einen vereinbarten Zeitraum – oder auch kurzfristig – auf die Lieferung von Strom verzichten können, wenn im Stromnetz gerade nicht genügend Strom vorhanden ist. Die ÜNB gleichen ihre Zahlungen untereinander aus und legen den Betrag mit dieser Umlage auf alle Letztverbraucher um.

Wie setzt sich der Gaspreis für private Haushalte** zusammen?

Salopp gesagt, finden sich im Gaspreis die gleichen Elemente wieder wie beim Strompreis, bereinigt um die stromspezifischen Bestandteile: EEG-Umlage, Offshore-Netzumlage, KWK-Umlage, Umlage für schaltbare Lasten sowie nach § 19 Stromnetzentgeltverordnung. Die Stromsteuer wird durch eine Erdgassteuer ersetzt. Hinzu kommt für das Erdgas als fossilen Brennstoff seit Beginn dieses Jahres eine CO2-Steuer, die einfach CO2-Preis heißt.

Generell ist Gas, gerechnet auf die übliche Energieeinheit von 1 kWh, deutlich günstiger als Strom. Dies hängt zum einen daran, dass Gas ein Primärenergieträger ist, Strom jedoch eine Veredelung. So wird Gas als Brennstoff in Kraftwerken eingesetzt und im Endeffekt wird thermische und elektrische Energie gewandelt. Zum anderen hängt dies aber eben auch an der Vielzahl von Umlagen, die es beim Strom gibt. Diese rechnen sich für 2021 auf 7,59 Cent/kWh, werden aber für 2022 sinken, weil vor allem die EEG-Umlage deutlich sinkt.

Auch die Gaspreisanalyse des BDEW kommt jährlich zur Jahresmitte: Sie betrachtet einerseits den Erdgaspreis für Haushalte in Einfamilienhäusern (EFH), andererseits den für solche in Mehrfamilienhäusern. In der Regel liegen diese zwischen 0,5 Cent/kWh und 1 Cent/kWh unter den Preisen für die EFH-Haushalte.

Der durchschnittliche Erdgaspreis für Haushalte in Einfamilienhäusern (EFH) ist 2021 – Stand Juni – gegenüber dem Vorjahr um 4,2 % gestiegen und liegt bei 6,22 Cent/kWh. Die Effekte der seit Jahresbeginn steigenden Spotmarktpreise dürften nach Einschätzungen des BDEW erst im Laufe des Winters durchschlagen.

Gasbeschaffung und -vertrieb: Hierfür lag 2021 der Anteil im Bundesschnitt bei 2,55 Cent/kWh. Dieser Preisbestandteil ist marktabhängig.

Gasnetzentgelte inklusive der Messung und des Messstellenbetriebs: regulierte Entgelte, laut BDEW im bundesdeutschen Schnitt bei 1,64 Cent/kWh. Regional unterschiedlich. Für Messung und Messstellenbetrieb fallen vergleichsweise geringe Entgelte zwischen 0,08 Cent/kWh und 0,15 Cent/kWh an (Zeitraum 2008 bis 2021). Auch die Netzentgelte sind beim Gas deutlich niedriger als beim Strom. Bisher haben die Anforderungen der Energiewende allerdings auch beim Gasnetz kaum eine Rolle gespielt. Dies dürfte sich ändern, auch weil Wasserstoff integriert werden soll bzw. teilweise auch eigene Wasserstoffnetze nötig sein werden.

Umsatzsteuer: liegt bei 19 %, ergibt 0,99 Cent/kWh.

Erdgassteuer: Laut Energiesteuergesetz wird seit 2004 eine Steuer von 0,55 Cent/kWh erhoben.

Konzessionsabgabe: gibt es auch beim Gasnetz, ist aber mit 0,03 Cent/kWh deutlich niedriger als beim Stromnetz.

CO2-Preis: Der CO2-Preis in Höhe von 0,455 Cent/kWh ist eine nationale deutsche CO2-Steuer, die seit Anfang 2021 auf fossile Energieträger, zu denen Erdgas gehört, erhoben wird. Gesetzliche Grundlage ist das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG), der Preis solle die Kosten der CO2-Emissionshandelszertifikate abbilden und ist bis Ende 2025 gesetzlich fixiert auf 25 €/t CO2. Das rechnet sich um zu 0,455 Cent/kWh.

* Bezogen auf den durchschnittlichen Strompreis für einen Haushalt mit 3500 kWh/a. Quelle: Strompreisanalysen BDEW 2021

** Bezogen auf den durchschnittlicher Erdgaspreis für einen Haushalt eines Einfamilienhauses (EFH) mit Erdgas-Zentralheizung, die das Warmwasser bereitet. Jahresverbrauch 20 000 kWh; entsprechende Haushalte sind in der Regel Sondervertragskunden.

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