Meinungsbeitrag Klaus Riedle 06. Apr 2017 Klaus Riedle Lesezeit: ca. 6 Minuten

Effiziente Energiewende

Energiemanager Klaus Riedle sorgt sich um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und ihrer Arbeitsplätze. Selbst wenn man sehr langfristig die Ziele der Energiewende akzeptiert, der Weg dorthin sollte schrittweise und technologieoffen erfolgen.
Foto: MCI Management Center Innsbruck

Die Energieversorgung eines Landes wird durch drei Größen bestimmt: Umweltfreundlichkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit. In Deutschland stand in den letzten Jahren die Ökologie im Vordergrund – mit dem drängenden Hinweis auf einen Klimawandel.

Klaus Riedle

ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der VDI-Gesellschaft Energie und Umwelt (VDI-GEU) und Honorarprofessor am Lehrstuhl für Technische Thermodynamik der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen.
arbeitete bis 2006 bei Siemens; lange Jahre leitete er verschiedene Geschäftsgebiete im Bereich „Fossile Energieerzeugung“, zuletzt als „President Products Fossil Power Generation“.
studierte Verfahrenstechnik an der TU München, an der er bis 1969 wissenschaftlich arbeitete; danach bis 1971 Ass. Professor an der Carnegie-Mellon University, USA.
ist 75 Jahre alt und gebürtiger Österreicher.

Maßnahmen, die diesen Klimawandel abwenden sollen, werden mit so viel missionarischem Eifer vorgetragen, dass Überlegungen zur Wirtschaftlichkeit dieser Maßnahmen oder zur Versorgungssicherheit hintangestellt werden.

Dieses Bündel von teils konkurrierenden Klimaschutzmaßnahmen greift in alle Bereiche des privaten und wirtschaftlichen Tuns ein: Industrie, Verkehr, Haushalte und insbesondere bei der Stromerzeugung. Um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und die Arbeitsplätze dabei nicht zu gefährden, müssen die beiden anderen Eckpunkte des Energiedreiecks – Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit – wieder stärker berücksichtigt werden.

Stromerzeugung: Zur deutschen Stromversorgung tragen regenerative Quellen heute etwa 31 % bei, aber mit Kosten in der Größenordnung von 24 Mrd. €/Jahr für Wirtschaft und Verbraucher mit noch steigender Tendenz; erst nach 2025 besteht Hoffnung auf eine Verringerung dieser Mehrkosten. Die Ausschreibung von Wind- und Solarparks ist ein guter Schritt, um wirtschaftlichen Wettbewerb in diesen Markt einzuführen.

Der weitere Ausbau der Regenerativen sollte in Abhängigkeit von den erreichten Voraussetzungen beim Stromtransport und bei den -speichern erfolgen, um die kostenpflichtige Abregelung neuer Ökostromkapazitäten sowie Verärgerungen bei unseren östlichen Nachbarn wegen der exportierten Leistungsschwankungen zu vermeiden.

Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) wurden im Jahr 2016 50,6 % des Stroms in Deutschland aus Kohle und in Kernkraftwerken (KKW) erzeugt. Für die KKW liegt ein Beschluss der Bundesregierung vor, deren Nutzung bis 2022 zu beenden. Bevor man auch für die 38 % der Stromerzeugung aus Kohle auf einen Ausstieg drängt, muss ein belastbares Konzept vorliegen, wie eine sichere und bezahlbare Stromversorgung mit verfügbaren Technologien aussehen kann.

Wie kann das energiewirtschaftliche Dreieck aus Wirtschaftlichkeit, Zuverlässigkeit und Ökologie wiederhergestellt werden? Nur der weitere Ausbau regenerativer Energiequellen allein löst diese Frage nicht.

Dies zeigt ein Gedankenexperiment von Karl Linnenfelser aus der Fachzeitschrift BWK (1/2014): Er überlegte, die gesamte regenerative Stromerzeugung aus Wind und Sonne in Deutschland nur für den Bedarf eines Bundesland zu verwenden (damals 67 GW für den Bedarf von Baden-Württemberg von ca. 10 GW). Selbst bei dieser riesigen Überkapazität der regenerativen Stromerzeugung blieben bei ihrer stark schwankenden Einspeisung Tage und fast Wochen ohne ausreichende Versorgung; das heißt, es muss auch in diesem Fall eine parallele, regelbare Back-up-Kapazität bereitgehalten werden.

Was soll mit den großen, tagelangen Spitzen geschehen? Abregeln oder exportieren? Um diese Leistungsspitzen in Pumpspeichern, Batterien oder über Power-to-Gas im Inland zu speichern, fehlen die Kapazitäten; diese aufzubauen, lohnt sich bei der geringen jährlichen Nutzungsdauer ohne weitere Subventionen nicht.

Wenn es schwierig ist, diese Leistungsspitzen aus dem Ausbau der Regenerativen zu nutzen, und eine regelbare Back-up-Kapazität fast in Höhe des maximalen Bedarfs vorgehalten werden muss, sollten die beiden Anteile so optimiert werden, dass daraus eine sichere, wirtschaftliche und umweltfreundliche Versorgung entsteht.

Der Wärmesektor: Die Raumwärme verursacht ein Drittel unseres Energieverbrauchs. Maßnahmen, um diesen Energieverbrauch zu verringern, sind bekannt und werden bei Neubauten auch weitestgehend umgesetzt. Im Gebäudebestand setzt die deutsche Bevölkerung einen Teil dieser Maßnahmen freiwillig um, zumeist in Verbindung mit allfälligen Sanierungen von Heizung, Fenstern oder Dächern, was aber bislang eine Sanierungsrate von nur 1 %/Jahr ergibt.

Für eine Halbierung des Energiebedarfs des Gebäudebestands von rund 3,8 Mrd. m2 nennt das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) Kosten von 350 €/m2, für eine Absenkung um 60 % etwa 600 €/m2, wovon man etwa ein Drittel für die allfällige Sanierung abziehen kann. Ob verfügbare Subventionen diese Investitionen wirklich beschleunigen werden, bleibt nachzuweisen.

Der Industriesektor: Der Energiebedarf der Industrie besteht zum großen Teil aus Strom für Antriebe und aus Prozesswärme. Die Energiekosten betragen etwa 8 %, bezogen auf die Bruttowertschöpfung der Betriebe, aber nur 2 % der Produktkosten – aufgrund des hohen Anteils an Vorlieferungen.

Um die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Ländern mit günstigeren Energiepreisen zu erhalten, hat die deutsche Wirtschaft fortlaufend in ihre Energieeffizienz investiert, so dass 2015 im Schnitt eine Energieintensität von 4,78 GJ/1000 € Wirtschaftsleistung erreicht wurde. Das ist eine Verbesserung von ca. 20 % in den letzten zehn Jahren. Über etablierte Netzwerke wurden in einzelnen Industriezweigen weitere Potenziale identifiziert, zum Beispiel in Hilfssystemen wie Druckluft, deren Investitionen sich in wenigen Jahren amortisieren.

Der Transportsektor: Ein weiterer großer Energieverbraucher ist der Personen- und Gütertransport. Die spezifischen Treibstoffverbräuche bei Pkw und Lkw wurden in den letzten 20 Jahren um 15 % bis 20 % gesenkt. Neben der Weiterentwicklung in der Effizienz von Verbrennungsmotoren können elektrische Batterien ebenfalls zur Einsparung von Primärenergie beitragen.

Noch unbefriedigend in der Batterietechnik sind deren Leistungsgewichte, das heißt, die begrenzte Reichweite und der hohe Zeitaufwand für die Nachladung sowie die Kosten. Aufgrund des großen Potenzials solcher Energiespeicher wurde die Weiterentwicklung hierzulande vorangetrieben, auch mit dem Ziel, die Herstellung der Batterien als Teil der Zuliefererkette in Deutschland zu etablieren.

Wenn diese Entwicklungen erfolgreich sind, besteht auch kein Bedarf, den Verbrennungsmotor heute schon durch politische Vorgaben ins Abseits zu drängen. Hier sollte man die Entscheidungen dem gutwilligen Verbraucher überlassen.

Für den Kurzstreckenverkehr in der Stadt kann man sich batteriebetriebene Lkw vorstellen. Auf große Entfernungen sollte der Güterverkehr weitgehend auf die Schiene verlagert werden. Ob Lkw mit Oberleitung wettbewerbsfähig sein können, bleibt abzuwarten, ebenso wie der Einsatz von Wasserstoff als Energiequelle in Lkw.

Versorgungssicherheit: Sie hängt einerseits von der Vielfalt und Verfügbarkeit der Primärenergieträger ab, um die jeweilig benötigte Sekundärenergie zu erzeugen; andererseits von der unterbrechungslosen Umwandlung und dem zuverlässigen Transport. Bis heute kann Deutschland auf einen breiten Mix von Primärenergieträgern wie Kohle, Öl, Gas und Kernenergie sowie der regenerativen Energien aus Wasser, Wind, Sonne und Biomasse vertrauen.

Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie und dem Zurückdrängen von Kohle aus CO2-Gründen stützt sich die Stromerzeugung immer stärker auf die regenerativen Energien. Da diese aber ungeplant für Stunden und Tage ausfallen können, ist eine regelbare Back-up-Kapazität – fast in Höhe des Spitzenbedarfs – erforderlich. Solange keine wettbewerbsfähigen Stromspeicher zur Verfügung stehen, wird diese regelfähige Back-up-Kapazität auf fossilen Energiequellen basieren. Diese Kapazitäten sind heute grundsätzlich verfügbar, wenn man kohlebefeuerte Anlagen einschließt.

Viele fossil befeuerte Kraftwerkskapazitäten sind aber heute von einer Schließung bedroht, da sie sich für die geringen jährlichen Einsatzstunden nicht rechnen; siehe die hochmodernen Gaskraftwerke Irsching 4 und 5. Eine befriedigende Lösung für einen solchen Kapazitätsmarkt muss noch gefunden werden. Ob es sich lohnt, für die wenigen Stunden im Jahr und die damit einhergehende geringe CO2-Freisetzung die vorhandenen Kohlekapazitäten durch neu zu bauende, gasgefeuerte Anlagen zu ersetzen, sollte der Markt entscheiden.

Netzstabilität gewährleisten: Die großen, schnellen Schwankungen in der Bereitstellung der regenerativen Energien stellen auch die Netzbetreiber vor große Herausforderungen. Noch vor Jahren brauchten sie nur einige Male pro Jahr einzugreifen, heute sind fast täglich mehrere Eingriffe erforderlich.

Bislang haben diese die Ausfallzeiten im deutschen Netz von weniger als 12 min nicht verschlechtert. Dennoch steigen das Risiko eines Blackouts und der Aufwand – von einigen 10 Mio. € im Jahr 2010 auf rund 1 Mrd. € im Jahr 2015.

Da die Schwerpunkte von regenerativer Erzeugung – speziell bei Wind – im Norden und der Verbrauch im Süden und Westen weit auseinanderliegen, sind neue „Stromautobahnen“ erforderlich und auch geplant.

Durch Einsprüche aus der Bevölkerungen werden diese Transportkapazitäten erst nach Abschaltung aller KKW zur Verfügung stehen, was beim weiteren Ausbau von Windkraftwerken und der Stilllegung fossiler Kraftwerke berücksichtigt werden muss.

Energiewende der kleineren Schritte. Die Energiewende in Deutschland ist ein gigantisches Experiment. Das Bundeswirtschaftsministerium stellt zudem fest, dass auf Grund der hohen Komplexität der Energiewende die Kosten nicht abzuschätzen sind.

Wenn in allen drei Eckpunkten des energiewirtschaftlichen Dreiecks große Unsicherheiten in der Vorhersage, der Planung und der Umsetzung bestehen, dann ist ein schrittweises Vorgehen vorzuziehen, bei dem die erreichten Fortschritte die nächsten Ziele definieren.

Auch bei wünschenswerten Zielen kann ein Ingenieur Beschlüsse nur so weit mittragen, wie eine belastbare Lösung aus den heute oder spätestens morgen verfügbaren Technologien erarbeitet werden kann, die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und ihrer Arbeitsplätze im Auge behält. Immer nur missionarisch oder auch mit der Brechstange auf die Ziele der Energiewende im Jahr 2050 zu verweisen, verbaut den Weg, unser Energiesystem effizient und kostengünstig umzubauen.

Deutschland emittiert etwa 2,5 % der globalen Treibhausgasemissionen; diese abzusenken, ist wichtig. Der wichtigere Beitrag Deutschlands ist aber, Technologien zu entwickeln und bereitzustellen, die weltweit helfen, CO2-Emissionen zu senken, die Reichweite der fossilen Energieträger zu vergrößern und den Lebensstandard zu verbessern.

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