KARRIERE 23. Jan 2015 Wolfgang Heumer Lesezeit: ca. 4 Minuten

Die Renaissance des Bauingenieurs hat begonnen

Bauingenieure haben Zukunft. Nach einem Krisenjahrzehnt sucht die Branche händeringend Fachkräfte und verspricht ihnen langfristig gute Perspektiven. Allerdings leidet die Bauwirtschaft weiterhin unter einem Imageproblem. Dabei sind Bauingenieure bei allen großen gesellschaftlichen Themen gefragt.

Es gibt viel zu tun. Das gilt seit langer Zeit auch wieder für Bauingenieure und technische Gebäudeausrüster.
Foto: HollandseHootde/laif

Wer als frischgebackener Bauingenieur eine der knapp 70 Hochschulen mit den entsprechenden Studiengängen in Deutschland verlässt, braucht sich derzeit um seine berufliche Zukunft keine Sorgen zu machen. „Spätestens zwei Monate nach dem Bachelor haben unsere Absolventen einen Arbeitsplatz – wenn sie nicht sogar schon vor dem Abschluss einen Vertrag bekommen haben“, sagt Jürgen Danielzik, Beauftragter für den dualen Studiengang Bauingenieurwesen an der Fachhochschule Köln.

Die Beobachtung deckt sich mit den Zahlen des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Knapp zehn Jahre nach ihrer großen Krise geht es der Baubranche so gut wie selten zuvor. Das spiegelt sich auch in den Statistiken des Hauptverbandes der deutschen Bauindustrie wider: „Heute gibt es rechnerisch 1,6 Bewerber auf eine freie Stelle. 2006 waren es statistisch noch 10,2 Bewerber“, sagt der Chefvolkswirt des Verbandes, Heiko Stiepelmann.

Der jüngsten Statistik der Bundesagentur für Arbeit zufolge gibt es in Deutschland rund 99 100 Bauingenieure. Damit nähert sich die Branche wieder den Beschäftigungswerten um die Jahrtausendwende, als die Talfahrt nach dem Ende des Aufbaubooms in den neuen Ländern begann und 2005/2006 ihren Tiefpunkt erreichte. „Im Schnitt gab es 2006 rund 9200 Arbeit suchende Bauingenieure, im vergangenen Jahr waren es durchschnittlich nur noch 2600“, bilanziert Stiepelmann. „Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung.“

Allerdings ist die regionale Verteilung der guten Beschäftigung noch äußerst unterschiedlich. In Berlin etwa kommen immer noch vier Arbeitsuchende auf eine freie Stelle, in Mecklenburg-Vorpommern und Bandenburg ist das Verhältnis 2,4:1 bzw. 2,7:1.

In Baden-Württemberg (20 800 Bauingenieure) und Bayern (22 100 Ingenieure) müssen sich Bewerber dagegen zumindest theoretisch keine Gedanken machen. Nach Angaben des Bauindustrie-Verbandes melden sich dort nur 0,7 bzw. 1 Bewerber auf eine freie Stelle. „Jetzt beginnt der Wettlauf um die Nachwuchskräfte“, ist Stiepelmann überzeugt.

Den Beobachtungen der Bauwirtschaft zufolge spiegelt sich das bereits an den Hochschulen wider. „Wir erleben die Renaissance des Bauingenieurs“, meint Stiepelmann. Von 2002 bis 2012 hat sich die Zahl der Studienanfänger auf 16 500 verdoppelt, allerdings blieb die Zahl der Absolventen mit 6700 pro Jahr (Stand 2012) auf dem Niveau von 2002.

Die Kurven in der Bauwirtschaft nähern sich: immer weniger Arbeitslose bei immer mehr offenen Stellen.

Für Heiko Stiepelmann ist dies unter anderem eine Spätfolge der Baukrise: „Der Bau hat immer noch ein Imageproblem.“ Offenbar gibt es Schwierigkeiten, dieses Image zu verbessern: „Die Insolvenzrate ist nach wie vor sehr hoch.“ Dies habe aber keine konjunkturellen Ursachen, sondern sei Folge der Rahmenbedingungen in der Branche: „Die Renditen reichen nach wie vor nicht für eine fundierte Risikovorsorge aus.“

Dennoch sind sich alle Experten darüber einig, dass die Chancen in der Baubranche auch auf lange Sicht größer sind als die möglichen Risiken.

Der Dekan der Fakultät für Bauingenieurwesen an der Fachhochschule Köln, Jürgen Steinhoff, verweist auf die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten gut ausgebildeter Bauingenieure. Neben dem Bauhauptgewerbe sieht der Fachhochschul-Dekan jede Menge guter Stellen in den Kommunalverwaltungen sowie allgemein im öffentlichen Dienst, in beratenden Büros, aber auch in der Industrie und in der Immobilienwirtschaft.

Zugleich betont Steinhoff, dass Bauingenieure bei allen großen gesellschaftlichen Themen gefragt sind: „Mobilität und Verkehrsplanung, Umweltschutz und Energieeffizienz, Stadtentwicklung und Stadtgestaltung – überall sind Bauingenieure für die Planung und die Umsetzung erforderlich.“

Dazu kämen die überfälligen Maßnahmen zum Erhalt der Infrastruktur – allein im Schienennetz der Deutschen Bahn seien 1400 Brücken dringend sanierungsbedürftig; jede sechste der 66 000 kommunalen Straßenbrücken bedürften ebenfalls eines Ersatzes. Und bei jedem Vorhaben seien Ingenieure gefragt.

Doch bereits heute sind sie Mangelware. „Den Ingenieurmangel zu beheben, ist eines der Topthemen, um den Investitionsstau in Deutschland aufzulösen“, betont der Experte der Bauindustrie, Stiepelmann. Jungen Leuten rät er deshalb eindringlich, ein Bauingenieur-Studium in Erwägung zu ziehen, auch weil die Branche vor einer Pensionierungswelle steht: „42 % der heute tätigen Bauingenieure sind über 50 Jahre alt.“

Anders als in vielen anderen Branchen reicht in der Bauwirtschaft zumeist ein Bachelor-Abschluss aus, um erfolgreich Karriere zu machen. „Der Master ist vor allem eine Zugangsvoraussetzung für den öffentlichen Dienst. In den Betrieben zählt dagegen eher die Praxis“, sagt Dekan Steinhoff.

Sein Kollege Danielzik hat vor diesem Hintergrund an der FH Köln einen dualen Studiengang entwickelt, in dem sich Studierende innerhalb von nur neun Semestern parallel zu Facharbeitern und Bauingenieuren verschiedener Fachrichtungen ausbilden lassen können. Die Kombination aus Ausbildung und Studium ist im Vergleich zu herkömmlichen dualen Angeboten ein Jahr kürzer, weil die Berufsschulzeit in konzentrierter Form und nicht tageweise angeboten wird.

Dadurch hat der Studiengang laut Danielzik einen weiteren Vorteil auch für die Ausbildungsbetriebe: „Die praktische Ausbildung erfolgt in bestimmten, relativ langen Blöcken, sodass die Auszubildenden auch für größere Projekte oder auf entfernteren Baustellen eingesetzt werden können.“

Dennoch ist die Bauwirtschaft nach Beobachtung des Kölner Professors nur schwer für duale Studiengänge zu begeistern: „Wir können leider nicht alle verfügbaren Plätze vergeben, weil wir nicht genügend Ausbildungsplätze bekommen.“

Das mangelnde Interesse könnte an einem Phänomen liegen, das auch der Potsdamer Bauingenieur und Hochschullehrer Bernd Schweibenz beobachtet hat: „Das Thema Personalplanung liegt bei vielen Firmen noch im Argen.“ Gerade bei den kleinen und mittleren Unternehmen werde noch zu sehr auf den aktuellen und kurzfristigen Bedarf geschaut, aber nicht auf lange Sicht geplant.

Nachdem er sich intensiv mit dem Kommunikationsverhalten seiner Studenten beschäftigt hatte, stellte Schweibenz zudem fest: „Für die Studenten läuft extrem viel über digitale Wege. Die Präsentationsformen der Unternehmen sind demgegenüber noch sehr dürftig.

Ein wesentliches Instrument für die Gewinnung von neuen Ingenieuren sieht Schweibenz außerdem in Karrieremessen und Recruitingtagen. Die Suche nach geeigneten Nachwuchskräften liegt für den Hochschullehrer dabei im ureigensten Interesse der Unternehmen: „Gerade bei den inhabergeführten Familienunternehmen fehlt es häufig an rechtzeitigen Nachfolgeregelungen.“

Die Firmen müssten sich bei der Suche nach Ingenieuren der Konkurrenz durch andere Branchen wie die Versicherungs- oder die Immobilienwirtschaft bewusst sein. „Deshalb muss die Bauwirtschaft jungen Ingenieuren auch die entsprechenden Konditionen bieten“, meint Schweibenz. „Das gilt nicht nur für den monetären Bereich, sondern auch für weiche Rahmenbedingungen wie erreichbare Kindertagesstätten.“

Dieses Thema könnte in der Bauwirtschaft zunehmend an Bedeutung gewinnen; mit einem Anteil von 19 % beschäftigt kaum eine andere Branche so viele weibliche Ingenieure. „Und auch die möchten an den Karrierechancen teilhaben, die die Branche bietet“, sagt Schweibenz.

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