Hannover Messe 29. Apr 2016 Martin Ciupek Lesezeit: ca. 4 Minuten

Neues Leben für alte Maschinen

Auch antiquierte Produktionsanlagen lassen sich mit etwas Mühe an die Industrie 4.0 ankoppeln. Wie? Die VDI nachrichten haben sich auf der Hannover Messe nach sogenannten Retrofit-Lösungen umgesehen.

Technik-Dinosaurier: Das Ziel des Retrofits besteht darin, alte Produktionsanlagen mit neuer Technik zukunftsfähig zu machen. In der hier abgebildeten Maschinenhalle ist allerdings beim besten Willen nichts mehr zu machen.
Foto: imago/imagebroker

Wenn die Industrie 4.0 – also die Digitalisierung der Fabriken – ein Erfolg werden soll, muss der Anlagenbestand in den Fabriken ständig modernisiert werden. Denn die Mechanik ist häufig für die Dauer von Jahrzehnten ausgelegt, während sich die IT in immer kürzeren Zyklen wandelt. Das Thema Retrofit – also nachträgliche Ertüchtigung – gewinnt an Bedeutung. „Die Zahl der Anfragen zum Retrofit und auch deren inhaltliche Qualität und Detaillierung nimmt zu“, schildert Birgit Vogel-Heuser, die an der TU München den Lehrstuhl für Automatisierung und Informationssysteme innehat.

Oscar für „Mica“

Der Hermes Award 2016, der „Oscar für Ingenieure“, wurde im Rahmen der Hannover Messe an das Technologieunternehmen Harting aus Espelkamp verliehen.

Ausgezeichnet wurde das Produkt „Mica“. Der modulare Kleincomputer mit den Abmessungen 13 cm × 8 cm × 3 cm vernetzt bereits existierende Produktionsmaschinen und Anlagen mit den IT-Systemen im Unternehmen.

Eine bestehende Fabrik kann so schrittweise in das Industrie 4.0-Zeitalter migriert werden. sta

Die Forscher an der TU München haben Softwaremodule – sie nennen sie Agenten – entwickelt, mit denen die Betreiber von Altanlagen ihre Produktion auf Industrie 4.0 trimmen können. Die Agenten komplettieren das cyberphysische System einer Anlage, sie sind ihr digitales Abbild und können mit anderen cyberphysischen Systemen in der Produktion kommunizieren. „Unser Agent repräsentiert eine Altanlage in den oberen Ebenen der Automatisierungssoftware, also im MES- und im ERP-System“, sagt Vogel-Heuser.

Die Wissenschaftlerin nennt zwei Gruppen von Anwendern. Zur ersten Gruppe gehören Maschinen- und Anlagenbauer, die international viele Kunden mit unterschiedlichen MES- und ERP-Systemen haben. Die Agenten übersetzen gewissermaßen zwischen Dialekten. Die zweite Gruppe bildet sich aus Softwarespezialisten. „Im klassischen Retrofit nutzen MES-Anbieter Agenten, um die Altanlagen ihrer Kunden an die digitalisierte Produktion anzubinden.“

Auch die Industrieausrüster – Sensor-, Stecker- und Antriebshersteller etwa – schielen auf den Retrofit-Markt. So auch der Automatisierer Bosch Rexroth. „Wir setzen die Technik zunächst in unseren eigenen Werken ein, um Erfahrungen zu sammeln“, so Steffen Haack, im Vorstand für den Vertrieb und den Bereich Industrieanwendungen zuständig.

Haack geht davon aus, dass sich Retrofitprojekte, die auf Anlagenverfügbarkeit abzielen, am schnellsten in Industrien mit kontinuierlichen Prozessen durchsetzen, etwa in der Papier- und in der Stahlerzeugung. Dort kämen Ausfallzeiten die Betreiber am teuersten zu stehen.

Ein weiterer Anbieter von Retrofit-Lösungen ist Sensorhersteller Sick. Das Unternehmen hat alle seine neuen Sensoren mit zwei Schnittstellen ausgerüstet. „Sie kommunizieren also wie bisher mit der Maschinensteuerung, der SPS. Zusätzlich verfügen sie nun über eine Anbindung an das Internet“, so Bernhard Müller, verantwortlich für das Thema Industrie 4.0.

„Die Industrie 4.0 spielt sich aber nicht nur innerhalb der Maschine ab“, so Müller weiter. „Um Durchlaufzeiten verkürzen und so die Produktionseffizienz steigern zu können, muss auch der Materialfluss stetig überwacht werden. Dazu bieten wir ein neues RFID-Schreib- und -Lesegerät an. Es erfasst die Transponder, die beispielsweise an vorhandenen Transportkörben befestigt sein können, auf großer Reichweite und erkennt sogar die Bewegungsrichtung der Objekte.“ Die gewonnenen Daten würden direkt ins ERP-System des Nutzers fließen und könnten dort zur Optimierung der Produktion genutzt werden.

Leicht nachrüstbar ist auch eine Technologie des Messtechnikunternehmens Polytec. Konzipiert ist es, um drohende Schäden an Generatoren in Windrädern zu detektieren – vom Boden aus. Das laserbasierte System lässt sich aber auch verwenden, um Wälz- und Kugellager in Produktionslinien zu überwachen. Bei drohendem Ausfall schlägt es frühzeitig Alarm. „Die Analysemethode ist derart genau, dass jedes einzelne Zahnrad innerhalb der Anlage überwacht werden kann – mit nur einem Laserstrahl“, so Physiker Christian Staniewicz, Außendienstler bei Polytec.

Der Laser wird dazu auf die Gondel des Windrads ausgerichtet. Je nach Schwingungsverhalten wird er frequenzverschoben reflektiert. Innerhalb des resultierenden Frequenzbandes lassen sich Abweichungen vom Sollzustand ablesen – für jedes sich bewegende Bauteil im Generator. Verschlissene Teile können ausgetauscht, Ausfallzeiten vermieden werden.

Ausfallzeiten vermeiden will auch der Automatisierer B&R. Dessen Lösung ist unabhängig von Alter und Zustand der zu kontrollierenden Produktionsanlage. Das System besteht aus einer Hardware- und einer Softwarekomponente. „Die Hardwareseite wählen wir gemeinsam mit dem Kunden in Abhängigkeit von seiner Ausgangssituation aus“, so Geschäftsführer Markus Sandhöfner. Als Anschauungsobjekt verweist er auf eine am Messestand aufgebaute Nudelstanzmaschine. „Bei solch einfachen Anlagen können produktionsrelevante Daten abgegriffen werden, indem vorhandene Sensoren, etwa Produktionszähler, doppelt verdrahtet und so mit unserem Datenkonzentrator verbunden werden.“ Bei Anlagen, die bereits über ein Bussystem verfügen, könne sich das System aufschalten („Stethoskopfunktion“) oder direkt eingebunden werden.

„Die Software filtert dann produktionsrelevante Informationen heraus. Sie erkennt, unter welchen Bedingungen sich Stillstandszeiten häufen – etwa in Abhängigkeit von Maschinenzustand, Tag, Zeit, Schicht, Losgröße oder Produkt.“ Nun könne gezielt an den richtigen Schrauben gedreht werden, um die Produktivität durch die Vermeidung ungeplanter Maschinenstillstände zu steigern.

Neben dieser vorausschauenden Wartung zählt auch Fernwartung zu den großen Themen in der Industrie 4.0. Anbieter einer nachrüstbaren Gateway-Lösung ist die Schildknecht AG. Das System basiert auf Mobilfunk. Es kann also auch dort zum Einsatz kommen, wo es keine Ethernet-Infrastruktur gibt. Beispiele sind in der Agrarwirtschaft oder im Bergbau zu finden. „Unser System sammelt die Informationen von vorhandenen Sensoren, aggregiert sie gemäß Kundenwunsch und sendet sie unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen an einen Cloud-Server“, so Vorstand Thomas Schildknecht. „Die Produktion lässt sich so rund um die Uhr von überall in der Welt überwachen.“

Wenn neben Sensoren auch Aktoren verbaut sind, ließen sich die Maschinen über das gleiche System auch fernsteuern. „Ein Erdbeerbauer hat unser Gateway beispielsweise genutzt, um die Feuchtigkeit im Boden und die Temperatur im Gewächshaus zu kontrollieren. Bei Abweichungen vom Optimum hat er die Belüftung variiert und den Output des Bewässerungssystems angepasst. Er konnte dadurch innerhalb eines Jahres eine zusätzliche Wachstumsperiode realisieren.“

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