Umwelt 16. Sep 2024 Von Stephan W. Eder Lesezeit: ca. 4 Minuten

Tief Anett und der Klimawandel: Katastrophenregen in Osteuropa

Reißende Ströme richten in Teilen Mittel- und Osteuropas enorme Schäden an, Deutschland dürfte glimpflich davonkommen. Eine vorhergesagte Katastrophenlage.

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Reißende Ströme richten in Teilen Mittel- und Osteuropas enorme Schäden an, Deutschland dürfte glimpflich davonkommen.
Foto: picture alliance / HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com

„Mittelmeerluft und Tief ,Anett‘ – Extremniederschläge im östlichen Mitteleuropa“, so betitelte der Deutsche Wetterdienst (DWD) schon am Mittwoch letzter Woche sein „Thema des Tages“. Was die Wetterfrösche da prognostizierten erscheint angesichts der Bilder und der Gefahr für Leib und Leben der Menschen in den betroffenen Gebieten fast euphemistisch: „Es bahnt sich in den kommenden Tagen eine brisante Wetterentwicklung an, auf die man in einigen Regionen des östlichen Mitteleuropas gut und gerne verzichten kann.“

Es schaut im Fernsehen aus wie die Bilder vom Sommer 2021, an dem in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen nicht nur Ahr und Erft zu reißenden Strömen wurden. Damals reichten rund 200 l/m2 an Niederschlägen binnen eines Tages, um bei der sehr speziellen Geografie des Ahrtals dort fast den gesamten Siedlungsraum zu verwüsten. Der starke Regen setzte am Wochenende ganze Landstriche in Teilen Österreichs, Tschechiens, dem Südwesten Polens, Teilen der Slowakei und Rumäniens unter Wasser. Vor allem in den Alpenregionen kamen Murenabgänge und Hangrutsche hinzu.

Lesen Sie hierzu auch unser umfangreiches Dossier zum Thema Hochwassergefahr

Tief Anett: Die Wetterforschung hat vor den Unwettern gewarnt

Prognosen gingen in den Tagen vor diesem Wochenende von höheren Gesamtmengen aus, allerdings verteilt auf drei Tage: In der niederösterreichischen Landeshauptstadt St. Pölten lagen die Prognosen bei 430 l/m2, de facto steht der Bahnhof dort gut 1,5 m unter Wasser. Das Bundesland um Wien ist vom Hochwasser so stark getroffen wie nie zuvor und komplett zum Katastrophengebiet erklärt worden. Am Stausee Ottenstein wird durch die Hochwasserklappen kontrolliert Wasser abgelassen. In Wien setzt der Wienfluss – und nicht die Donau – die Keller in Teilen der Stadt unter Wasser. Auch wenn das Europawetter des DWD für Wien heute nur „leichten Regen“ vorhersagt: In großen Teilen der Region kommt am heutigen 16. September noch richtig was runter: „Dauerregen, teils ergiebig (Unwetter), in Teilen Sachsens sowie in Südostbayern“, so die DWD-Vorhersage – und das ist nur der westliche Rand des Unwettergebietes.

Niederösterreich ist von den starken Niederschlägen besonders betroffen. Binnen 24 Stunden fielen hier bis zu 430 l/m2. Foto: IMAGO/Bernd März

Für das Riesengebirge in Tschechien lagen die Prognosen bei 470 l/m2. Krnov im Bruntál nahe der tschechisch-polnischen Grenze wurde nach Medienberichten fast komplett überflutet. Dort fließen die Oderzuflüsse Opava und Opavice zusammen. Zu den am stärksten betroffenen Gebieten zählen auch Jeseník im Altvatergebirge und Frýdlant in Nordböhmen. Die Wassermassen aus den tschechischen Mittelgebirgen nimmt einerseits die Oder, andererseits die im Riesengebirge entspringende Elbe auf, weshalb die Einsatzkräfte flussabwärts vor allem in Dresden in höchster Alarmbereitschaft sind.

In Polen kämpft die Kleinstadt Kłodzko mit den Wassern der Glatzer Neiße, einem Nebenfluss der Oder. Hintergrund ist, dass im niederschlesischen Stronie Śląskie ein Staudamm gebrochen ist. Dessen Wasser fließt über die Glatzer Neiße ab.

Deutschland kommt wohl glimpflich davon

Laut dpa wird für heute in Dresden an der Elbe der Richtwert der Alarmstufe drei (6,00 m) erreicht. Die Stadt hatte am Sonntagabend bereits Alarmstufe zwei ausgerufen, in der Nacht stieg der Wasserstand nach Angaben des Landeshochwasserzentrums auf 5,32 m (Stand: 1:00 Uhr). Zum Vergleich: Der Normalstand der Elbe beträgt am Dresdner Pegel rund 2 m, beim Jahrhunderthochwasser 2002 waren es am Höhepunkt 9,40 m.

In Bayern bleibt die Hochwasserlage zwar angespannt, der DWD gibt für den Süden und Südosten des Landes Unwetterwarnungen der Stufen zwei und drei aus (vier ist maximal). Laut dpa prognostizierte aber der Hochwassernachrichtendienst (HND) Bayern am Sonntag, schlimmer als jetzt werde es wohl nicht mehr.

Was haben die Unwetter mit dem Klimawandel zu tun?

Die dpa setzte ans Ende ihres Berichts zu den Unwettern heute eine Art Disclaimer. „Wegen der Erderwärmung gibt es in vielen Regionen häufiger und öfter extremes Wetter. Zu den Folgen gehören auch Überflutungen.“

Ob und wie viel die schon erfolgte Erderwärmung und der resultierende Klimawandel verantwortlich sind für den auftretenden Niederschlag, damit beschäftigt sich die sogenannte Attributionsforschung. Die Wissenschaft braucht allerdings üblicherweise eine Weile nach solchen Ereignissen, um bestehende Zusammenhänge nachweisen zu können. So veröffentlichte das Forschungsnetzwerk www.worldweatherattribution.org Ende August eine Studie, die eine verstärkende Wirkung des Klimawandels für Windgeschwindigkeiten und Niederschläge des Taifuns Gaemi (20. Juli 2024) im Westpazifik bestätigte.

„Tiefdruckgebiete, die mit dem Sturm Boris vergleichbar sind und Überschwemmungen in Mitteleuropa verursachen, zeigen, dass die Niederschlagsmenge (4 mm bis 8 mm/Tag, d. h. bis zu 20 % mehr Niederschlag) über Osteuropa in der Gegenwart höher ist als in der Vergangenheit“, teilt das Wissenschaftsnetzwerk Climameter mit. Das Vb-Tief Anett heißt international „Boris“. ClimaMeter ist nach eigenen Angaben „ein schneller experimenteller Rahmen“, für den europäische Klimaforschungseinrichtungen zusammen arbeiten, um Wetterextreme in eine Klimaperspektive zu setzen. Das Netzwerk führt die starken Niederschläge, die zu den Überschwemmungen in Mitteleuropa führten, größtenteils auf den vom Menschen verursachten Klimawandel zurück, die natürliche Klimavariabilität spiele eine kleinere Rolle, hieß es seitens Climameter. Da es sich um ein ungewöhnliches Ereignis handele, sei die Unsicherheit dieser ersten Abschätzung insgesamt recht groß.

Schon vom 30. Mai bis 3. Juni 2024 traten in Bayern und Baden-Württemberg regional und lokal extreme Niederschläge auf. Auch damals lag dem eine sogenannte Vb-Wetterlage zugrunde. Dass der Klimawandel hier Einfluss haben könnte, deutet der DWD in seinem Artikel vom 11. September an, wissenschaftlich gesichert im Sinne einer konkreten Attributionsforschung ist dies aber nicht. Problematisch für die sich einstellende Vb-Wetterlage sei „das derzeit rekordwarme Mittelmeer“, so der DWD. Diese Rekordwärme wiederum wird inzwischen mit dem Klimawandel in Zusammenhang gebracht. „Im nördlichen Mittelmeerraum bewegt sich die Meeresoberflächentemperatur aktuell bei weit überdurchschnittlichen Werten von 25 °C bis fast 30 °C. Diese Werte liegen teils deutlich über 4 °C über dem vieljährigen Mittel. Unser Vb-Tief kann daher über dem Golf von Genua und der Adria besonders viel Wärme und Feuchtigkeit ,tanken‘, bevor es ins östliche Mittel- sowie nach Osteuropa vorstößt“, erklärt der DWD.

Je wärmer die Luftmassen sind, desto mehr Wasser können sie aufnehmen. Die Vb-Tiefs führen laut DWD diese sehr feuchte und warme Mittelmeerluft mit sich. Wenn gleichzeitig – wie jetzt der Fall – von Westen polare Luftmassen weit über West- und Mitteleuropa Richtung Alpenraum vordringen, dann schieben sich die feuchtwarmen, nordwärts geführten Luftmassen des Vb-Tiefs über diese kühleren Polarluftmassen. „Diese Hebungsprozesse dauern längere Zeit an und verursachen intensive und lang anhaltende Niederschläge“, so der DWD.

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