RWE stoppt seine Braunkohlebagger – doch was wird jetzt aus den Geisterdörfern am Rande von Garzweiler II?
RWE zieht sich acht Jahre früher aus der Braunkohleverstromung zurück. Fünf Dörfer in NRW bleiben so vom Abriss verschont – gerettet sind sie noch nicht.
„Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein“, schrieb Friedrich Nietzsche einst in „Jenseits von Gut und Böse“. David Dresen hat den Abgrund vor Augen, solange er denken kann. „Als der Braunkohleplan Garzweiler II 1997 genehmigt wurde, war ich sieben Jahre alt“, sagt er. Spätestens seitdem stand fest: Die gigantische Grube wird immer näher an sein Heimatdorf, Kuckum, heranrücken. Irgendwann, Jahre nachdem die Kirchtürme der Nachbardörfer vom Horizont verschwunden sind, wird auch sein Zuhause; das Haus, in dem er aufgewachsen ist, der Garten, in dem er als Kind gespielt hat, die Straße, auf der er das Rad fahren lernte, in die Grube fallen.
RWE gibt die Braunkohleverstromung früher als geplant auf
Im Oktober kam die Wende. Auf politischen Druck erklärt der Energieriese RWE, der Konzern werde 2030 aus der Braunkohleverstromung aussteigen – acht Jahre früher als bislang geplant. 280 Mio. t Kohle sollen dort verbleiben, wo sie seit Jahrmillionen lagern: in der rheinischen Erde. Fünf Orte, die nach bisheriger Planung von den Kohlebaggern geschluckt werden sollten, werden verschont. Für David Dresen, heute 31 Jahre alt, bedeutet das: Er darf bleiben. Doch was ist von seiner Heimat, von Kuckum geblieben?
Beim Gang durch die vermeintlich „geretteten“ Orte stellt sich Beklemmung ein. Hier wuchert das Gras aus der Dachrinne, da liegen zerschellte Dachziegel auf der Terrasse. Zum Symbol, dass das Leben hier erstarrt ist, geht die Kirchturmuhr deutlich nach. Der „Keyenberger Hof“, einst Ort der Geselligkeit und des Dorflebens, verschwindet hinter herbstbraunen Weinranken.
Nach Angaben von RWE sind mindestens vier Fünftel der Bewohner bereits umgesiedelt. Kuckum, Keyenberg, Unter- und Oberwestrich sowie Berverath sind Geisterdörfer. Vom Fluch der beginnenden Umsiedlung 2016 an zu Jahre langem Siechtum verdammt – oder zum Widerstand. Denn hier und da stehen gelbe Kreuze vor den Hauseingängen. Sie zeigen an, wo Gebäude noch bewohnt sind, so Dresen: „Das Symbol haben wir von der AKW-Bewegung übernommen.“ Weil es beim Widerstand der verbliebenen Dorfbewohner um mehr gehe, als um den Erhalt ihrer Heimat, sondern „um eine andere Art der Energiegewinnung“.
Die Kreuze erfüllen aber auch einen ganz praktischen Zweck: Sie schrecken Metalldiebe ab, die des nachts in die verlassenen Häuser einsteigen und sie ausplündern. „Sie brechen die Kupferrohre aus den Wänden und verkaufen sie auf dem Schrott“, erklärt Dresen. Selbst wenn er die Einbrecher beobachtet und die Polizei anruft, bleibt der Diebstahl unbestraft. „Die Polizei kommt nicht. Die sagen uns, da müsse der Eigentümer anrufen, da könnten sie nichts machen“, so Dresen. Der Eigentümer all dieser vorhanglosen Häuser aber sitzt im fernen Essen. Es ist RWE.
Verheizte Heimat: Die Bewohner fühlen sich lange von der örtlichen Politik im Stich gelassen – und von der Kirche
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