GAS 22. Mrz 2018 Klaus Sieg Lesezeit: ca. 6 Minuten

Perlende Zeitbombe

Im Kivu-See liegen eine große Menge Kohlendioxid, hochgiftiges Schwefelwasserstoff und ein bisschen Methan. Das Gas wird nun gefördert – nicht ohne Risiko.

Die Plattform des Kivuwatt-Projekts liegt mitten auf dem See, 13 km vom Ufer entfernt.
Foto: Martin Egbert

David Krasners Arbeitsweg möchte man haben. Warmer Fahrtwind weht ihm ins Gesicht, als sein Aluminiumboot Fahrt aufnimmt, der Rumpf hebt sich aus dem Wasser. Schnell lässt er das Sirren und Brummen der drei gewaltigen Gasgeneratoren am Ufer hinter sich, beziehungsweise das ihrer Lüfter in der Außenwand der Kraftwerkshalle. Ein letzter Blick zurück auf die sanften Hügel mit den hohen Masten der noch blitzblanken Überlandleitungen, die seit zwei Jahren den Strom aus dem Kraftwerk in die Hauptstadt Kigali leiten. Dann ist nur noch das Röhren des 200-PS-Außenborders zu hören.

Draußen schlagen die Wellen hoch wie auf dem Meer. Mit 2400 km2 ist der Lake Kivu in Ruanda fünfmal so groß wie der Bodensee. Das Boot rast entlang einer Kette roter Bojen, auf denen Kormorane hocken. An den Bojen hängt in zehn Metern Tiefe die Pipeline, durch die das Methan für die Turbinen des Kraftwerkes strömt. „Zehn Meter reichen aus, um die Pipeline vor Beschädigung durch Fischerboote und den Fährverkehr auf dem See zu schützen“, erklärt David Krasner.

Der in Russland geborene Israeli ist ein gefragter Experte für Gasförderung. Sein Arbeitsplatz ist die Welt. Die letzten Jahre aber hat er seine Dienste dem US-Konzern ContourGlobal zur Verfügung gestellt. Nichts geringeres als den Schatz eines der größten Seen des afrikanischen Grabenbruchs soll er heben. Wer kann da schon widerstehen? „Wir fördern das wertvolle Methan aus den sehr tiefen Schichten des Sees, das ist eine große Herausforderung.“ David Krasner reibt sich über seine Wange mit den drei Tage alten Bartstoppeln.

An seiner tiefsten Stelle im Hauptbecken misst der Lake Kivu 485 m. Tief unten schlummern – im entspannten Zustand – 300 km3 Gas. Dreiviertel davon allerdings ist Kohlendioxid. Das kalte Wasser in den Tiefen kann im Vergleich zum Oberflächenwasser ein Vielfaches des Klimagases speichern. Der hohe Druck der Wassermassen über den tiefen Schichten hält das Gas dort gefangen.

Aus dem Kohlendioxid und aus abgesunkenen, organischen Substanzen produzieren Bakterien in der dunklen Tiefe anaerob Methan. Das ist der Schatz des Kivu-Sees. Mit ihm lassen sich große Mengen Strom erzeugen.

Gewonnen wird das Methan auf einer 13 km vom Ufer entfernten Plattform. Aus dem Schnellboot geklettert, betritt der Besucher hier draußen technisches Neuland – im wahrsten Sinne des Wortes. Auch wenn das Konglomerat aus Röhren, Tanks, Waschtürmen und Leitungen zunächst aussieht wie jede andere Förderplattform. Ebenfalls zum Standard gehören die kleinen Geräte für den Gasalarm sowie die Westen mit dem Not- sauerstoff, die man auf der Plattform tragen muss.

Das war es dann aber auch mit den Gemeinsamkeiten. Im Kontrollraum, zwischen bunten Monitoren und blinkenden Lampen, erklärt Krasner das Verfahren: „Das gashaltige Wasser wird mit einer Auto-Siphon-Pumpe aus einer Tiefe von 355 m nach oben befördert.“ Aquarianer kennen diesen automatischen Heber, der ihnen beim Wasserwechsel das unappetitliche Ansaugen erspart. Nach dem Ansaugen kommt das gashaltige Wasser von alleine nach oben. Ab 170 m steigt das Gas in Blasen weiter auf. „Wir müssen hier nur die Klappe aufmachen“, grinst David Krasner.

In vier horizontalen Separatoren wird das Gas 20 m unterhalb der Plattform weitgehend vom Wasser getrennt. Das gewonnene Gas enthält neben Methan leider immer noch dreiviertel Kohlendioxid sowie Anteile hochgiftigen Schwefelwasserstoffs. Oben auf der Plattform wird dieses sogenannte Sour Gas deshalb in einer Waschanlage aus vier jeweils 50 m hohen Türmen zu 85 % reinem Methan gewaschen. Nun heißt es Sweet Gas, wird getrocknet, komprimiert und durch die lange Pipeline an Land gepresst. 5500 m3/h kommen im Kraftwerk am Ufer an.

Genutzt werden sie mit großer Effizienz. „85 % bis 90 % des geförderten Methans erreichen die Generatoren“, sagt David Krasner zufrieden.

Doch bis dahin war es ein weiter Weg. „Wir haben sieben Jahre vor Ort gebraucht, um das Projekt zu realisieren“, erzählt der aus Mauritius stammende Leiter, Priysham Nundah, in seinem Büro in Kigali.

Über den Mangel an Herausforderungen konnte das international besetzte Team nicht klagen. Wie in einem Binnenland in Zentralafrika tausende Tonnen Material sicher heranschaffen? Oder Experten für ein Land wie Ruanda rekrutieren, das die meisten Menschen noch mit Krieg und Völkermord verbinden? Überforderte Baufirmen mussten heraus gedrängt, geeignete Ingenieurbüros gefunden werden.

Und dann waren da noch jede Menge Schwierigkeiten bei der Montage und Inbetriebnahme der Plattform. „Niemand hatte Erfahrungen damit, 1500 t schwere Separatoren aus Stahl unter einer Plattform zu befestigen, die auf einem so großen See hin und her schwankt.“ Nundah rief einen 75-jährigen Experten aus dem Ruhestand, der es durch die Bergung des Wracks der Costa Concordia vor der italienischen Küste zu weltweitem Ruhm gebracht hatte.

Als endlich alles montiert war, wollte zunächst das Gas nicht gleichmäßig aus der Tiefe aufsteigen. War dort unten vielleicht gar nicht so viel Methan? Der ganze Schatz nur ein Märchen? Die Nerven lagen blank. Das Team wechselte Gasleitungen, änderte Druckparameter.

„Wir waren so erleichtert, als es dann endlich klappte.“ Priysham Nundah scheint immer noch von der Euphorie dieses Momentes getragen. Die Geschichten sprudeln nur so aus ihm heraus. Wie das Methan aus dem Kivu-See. Dann schüttelt er lachend den Kopf. „Das war kein Zuckerschlecken.“

Auch nicht für das Management: Mit 200 Mio. $ ist das Projekt fast doppelt so teuer geworden wie geplant. Zwischendurch verweigerten die Banken weiteres Geld. Eine neue Finanzierung musste her. Selbst in Zeiten von Kostentreibern wie der Hamburger Elbphilharmonie, des Bahnhofs Stuttgart 21 und des Berliner Großflughafens ist die Kostenexplosion bemerkenswert. „Für das Geld müsste man eigentlich 110 MW bauen.“ Es sind derzeit aber 26,2 MW. Dafür funktionieren die Förderung des Methans und die Stromproduktion einwandfrei.

Im Kontrollraum der Plattform setzt Francois Darchambeau seinen Helm auf und geht hinaus. Mit einem Probenset in der Hand steigt er die Treppen an den Waschtürmen hinauf, vorbei an Revisionsklappen von der Größe eines Lkw-Reifens. In 50 m Höhe ist der Blick atemberaubend. Drüben, auf der Seite der Demokratischen Republik Kongo, dem früheren Zaire, erheben sich schroffe Vulkanberge bis zu 5000 m hoch in den weiten Himmel. Der Biologe aus Belgien geht in die Hocke, öffnet das Schloss an einer Entnahmestelle und zieht eine Probe Waschwasser.

Das Waschwasser wird wieder in den See geleitet. Täglich muss seine Zusammensetzung im Labor untersucht werden. Schließlich enthält es das klimaschädliche Kohlendioxid und das giftige Schwefelwasserstoff. Es riecht entsprechend nach faulen Eiern. Aber bringt das rückgeführte Waschwasser nicht das gesamte Ökosystem des Sees durcheinander? „Wir pumpen es in 240 m Tiefe in den See, das ist weit unterhalb der Biozone und nicht so tief, dass es die Ausbeute des Methans stört“, erklärt Darchambeau. In dieser Tiefe sei der See tot.

Der hohe Druck sorgt laut Darchambeau zudem dafür, dass die Schichten sich kaum vermengen. Wie in Schubladen liegen sie übereinander. „Die Verweildauer des Wassers in der Zone ab 180 m beträgt eintausend Jahre.“

Der Wissenschaftler kontrolliert regelmäßig, ob das Waschwasser in die richtige Tiefe gelangt, und ob es in dem See nicht doch etwas verändert. Zudem untersucht er Arten und Biomasse der Fische. Externe Kontrolleure überprüfen seine Messungen.

Zwar leben nur etwa dreißig Fischarten in dem See, fünfzehn davon aber sind endemisch, das heißt: Sie sind nur hier zu finden. Zudem stellt der Fisch eine wichtige Lebensgrundlage für die lokale Bevölkerung dar.

Letztlich aber ist die Entnahme des Methans dringend notwendig, weil sie den Gasdruck im See senkt. Denn der Segen des Kivu-Sees ist gleichzeitig sein Fluch. Gelangen Kohlendioxid, Schwefelwasserstoff und Methan an seine Oberfläche, wäre das Leben von Millionen Menschen an seinen Ufern gefährdet. Eine vergleichbare Katastrophe ereignete sich 1986 am Lake Nyos in Kamerun. Dort starben über Nacht 1800 Menschen als eine Gaswolke aus dem See stieg. Ihr war vermutlich ein starker Erdrutsch vorausgegangen. Der 2400 km2 große Lake Kivu enthält 300-mal so viel Gas wie der See in Kamerun.

Der deutsche Physiker Klaus Tietze warnt seit Jahrzehnten vor dieser Gefahr: „Ohne Gasförderung würde der Kivu-See nach etwa einhundert Jahren von selbst explodieren.“ Eine katastrophale Gaseruption könne jederzeit auf natürliche Weise von innen oder außen getriggert werden, beispielsweise durch einen kleinen Vulkanausbruch auf dem Boden des Sees oder durch Eindringen aufgeheizter Grundwässer.

Tietze erforscht seit den 1970er-Jahren die außergewöhnlichen Vorkommen des Kivu-Sees und anderer gashaltiger Seen und Meeresbecken. Mit seinen Forschungen in Ruanda und in der Demokratischen Republik Kongo hat er wichtige wissenschaftlich-technische Grundlagen gelegt. Er warnt aber vor den Risiken der Förderung. Die Wahrscheinlichkeit einer Gaseruption aus dem Kivu-See sei zwar viel geringer als am Nyos-See. Durch eine fehlerhafte Förderung und Rückführung des Tiefenwassers und der Restgase werde sie aber langfristig stark erhöht. „Nur ein gasarmer See ist ein ungefährlicher See.“ Klaus Tietze hat deshalb eine Methode entwickelt, mit der auch das Kohlendioxid gefördert und wirtschaftlich in brauchbarere Produkte umgewandelt werden soll. Er hofft, diese bald in der Demokratischen Republik Kongo realisieren zu können.

ContourGlobal plant unterdessen, die Verstromung auszuweiten. KivuWatt erhält in Kürze einen weiteren Generator, weil die Plattform mehr Methan fördert als geplant. Später soll der Ausbau auf 100 MW folgen. So viel allerdings könnte das Stromnetz Ruandas nicht aufnehmen. Die Energie soll über den Netzverbund der ostafrikanischen Staaten exportiert werden, von denen die meisten unter einem Mangel an Strom leiden. Das kleine Ruanda könnte die großen Nachbarn dann versorgen.

Nach einer Zwölfstundenschicht verlässt David Krasner die Plattform und steigt ins Schnellboot. „Wir produzieren an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden.“ Nur so sind die Generatoren im Kraftwerk ausreichend versorgt. Methan lässt sich nicht lagern. „Nur in der Pipeline wird etwas von dem Gas vorgehalten“, sagt Krasner und zeigt auf die roten Bojen, auf denen immer noch die Kormorane hocken. „Wenn wir auf der Plattform Probleme haben, gibt es eine Dreiviertelstunde später im Kraftwerk welche.“ David Krasner reibt sich die Augen. Scheint anstrengend zu sein, aus dem Fluch des Kivu-Sees einen Segen zu machen.

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