Umwelt 26. Feb 2016 Rudolf Stumberger Lesezeit: ca. 1 Minute

Das seltsame Brummen

Mysteriös: In Steinhöring brummt es und das bringt viele Anwohner um den Schlaf. Andere allerdings hören es gar nicht. Ein Gutachten soll klären, wer Schuld an der Dauerbeschallung ist.
Foto: R. Stumberger

Steinhöring ist eine kleine Gemeinde in Oberbayern, rund 40 km östlich von München. Quer durch den Ort führt die viel befahrene B305, vorbei an der örtlichen Metzgerei. Dort preist ein Schild „Schwarzgeräuchertes“ für 1,20 € pro 100 g an. Und natürlich gibt es eine Ortskirche mit Glockenturm. Steinhöring im Landkreis Ebersberg hat rund 4000 Einwohner und das Leben geht einen eher gemächlichen Gang.

Im Rathaus, 100 m neben der Kirche, sitzt Bürgermeister Alois Hofstetter (CSU) zwar still im ersten Stock an seinem Schreibtisch, aber er ist unruhig: „Wir hoffen alle, dass die Ursache bald gefunden wird.“ Dann könnte endlich wieder Ruhe herrschen in seiner oberbayerischen Gemeinde.

Denn seit fünf Jahren leiden einige der Steinhöringer unter einem seltsamen, tiefen Brummen. Woher das Geräusch kommt, ist unbekannt. Ein Messgutachten für 90 000 € soll nun endlich Klarheit schaffen. Aber: Schlappe 22 500 € sollen die Betroffenen aus eigener Tasche zahlen, das hat jetzt der Gemeinderat entschieden. Die Zeichen stehen auf Sturm.

„Ich sag’ nix mehr dazu“, sagt Ludwig Linner (77). Der Senior steht in der Tür seines Bauernhauses droben in Zaißing, einem Ortsteil von Steinhöring. Der Hof ist wunderschön gelegen, von der kleinen Anhöhe geht der Blick weit übers Land bis hin zu den Bergen. Hinter ihm steht seine Frau und rechts wacht Gustl, ein gigantischer Bernhardiner. Dann sagt Linner aber doch noch: „Ich zahl’ das nicht.“

Er meint die Beteiligung an dem Gutachten. Denn seine Familie leidet wie rund 100 andere Einwohner des Dorfes an dem seltsamen Brummen. Die Ehefrau von Linner wacht wegen des Brummtons nachts oft auf. Tagsüber wird er durch die Alltagsgeräusche übertönt, da rumpelt der Traktor durch den Hof und immer ist irgendwo eine Kreissäge in Betrieb. Das Eigenartige ist, dass einige Steinhöringer das Vibrieren wahrnehmen, andere aber nicht.

Steinhöring besteht aus mehreren verstreut liegenden Ortsteilen. Dazu gehört, auf einer kleinen Anhöhe gelegen, Berg. Hier gibt es noch etliche Bauernhöfe, in den Ställen muhen die Rindviecher, draußen dampft der Mist. Auch in Berg leiden manche Bewohner unter dem Brummen.

Das tiefe Brummen ist da, aber es erreicht nicht alle

Bürgermeister Hofstetter hat selbst noch nichts gehört: „Gott sei Dank, ich muss nicht alles haben.“ Doch dass es diese Schwingungen gibt, daran besteht kein Zweifel mehr. Das hat ein erstes Gutachten erbracht, das die Gemeinde in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Landratsamt in Ebersberg für 22 000 € hat erstellen lassen.

Begonnen hatte alles im Jahr 2010, damals wurden die ersten Beschwerden laut. Da die Gemeinde mit ihren Möglichkeiten rasch an ihre Grenzen kam, wandte sie sich an den Landrat, der ein offenes Ohr hatte. Man beauftragte ein Ingenieurbüro aus München, um Messungen durchzuführen.

So rückten im Juni 2014 die Spezialisten mit ihren Messinstrumenten an und bauten in drei Wohnhäusern, darunter dem Bauernhof von Ludwig Linner, ihre Geräte auf. Im Schlafzimmer wurden Luft- und Körperschallsensoren angebracht, die Messdaten mit einem ganzen Wald an Messgeräten erfassten: ein geeichter akustischer Kalibrator, ein Mikrofon mit Mikrofonverstärker, ein Beschleunigungsaufnehmer, ein Schwingungskalibrator und eine Schallintensitätssonde. All diese Geräte dienen zur Messung von Vibrationen und Schallwellen. Gemessen wurde vom 23. Juni bis 13. Juli. Der Befund: Die Überwachungsmessungen legen Schwingungsübertragungen im Erdreich nahe, was die Schwingungen verursacht, war dagegen weiterhin unklar.

Im Herbst desselben Jahres wurde erneut gemessen. Das Messergebnis vom Juni und Juli war reproduzierbar. Um dem Fremdgeräusch auf die Spur zu kommen, schalteten die Ingenieure aber nun nach und nach alle Stromquellen im Bauernhof ab, darunter zwei Neonröhren über der Küchenzeile, zwei Kühlschränke mit Gefrierfächern und ein Netzteil für Elektrogeräte.

Doch auch bei abgeschalteter Haustechnik war „nach Einschätzung der Bewohnerin“ das Brummen weiterhin „subjektiv wahrnehmbar“, so das Gutachten des Ingenieurbüros vom Mai 2015. Wenn auch auf niedrigem Niveau: „Nach Abschalten aller internen Haushaltsverbraucher war nur noch ein Zwanzigstel des maßgebenden Luftschallpegels vorhanden.“ Das heißt, der Brummton mit einer Tonhöhe im 50-Hz-Bereich existierte, aber schwach.

Dass die Bauersgattin das Brummen immer noch hört, ist theoretisch möglich, da Menschen die Töne einer bestimmten Frequenz ab unterschiedlichen Druckpegeln hören. So wie Frauen oft mehr Farbnuancen sehen als Männer, sind manche Ohren sensibler als der Durchschnitt.

Das Fazit der Experten war jedenfalls: „Es verbleiben Schwingungen und tieffrequente Geräusche, von denen das Gesamtanwesen Zaißing betroffen ist.“ Da aber der Einfluss von außen lediglich 5 % betrage, sei die Ortung im Erdreich mit konventioneller Messtechnik erschwert.

Szenenwechsel. Von Zaißing in die Eichthalstraße 5 des benachbarten Ebersberg. Dort ist Franz Neudecker beim Landratsamt zuständig für Emissionen. Er hat mit einer Fragebogenaktion versucht, dem Brummton auf die Spur zu kommen. Die Betroffenen sollten über vier Wochen hinweg aufzeichnen, wann und wie intensiv sie das Brummen hören. Dazu gab es einen Aufruf im Gemeindeblatt: „Sehr geehrte/r Betroffene/r, damit die Suche nach der Ursache des im Gemeindegebiet Steinhöring auftretenden ‚Brummtons‘ effektiv vorgenommen werden kann, ist eine möglichst vollständige Erfassung der Wahrnehmung des Brummtons sowohl lokal als auch zeitlich notwendig. Wir bitten Sie daher, dieses Formblatt gewissenhaft entsprechend des zeitlichen Auftretens und in der Intensität des Brummtons auszufüllen.“

„Doch“, so Neudecker, „wir haben kein Muster erkennen können.“ Klar ist nur, dass sich die betroffenen Anwesen wie auf einer Perlenschnur aufgereiht quer durch das Gemeindegebiet ziehen und das Geräusch vor allem nachts wahrgenommen wird. Und dass es sich um Schwingungen im Boden handelt, die dann in den Gebäuden als tiefes Brummen wahrgenommen werden. Dass es in manchen Häusern brummt und in anderen nicht, könnte von der verwendeten Bausubstanz abhängen – ähnlich wie bei den Resonanzkörpern von Geigen, die auch unterschiedlich klingen.

Ist also die Existenz der Schwingungen unbestritten, bleibt deren Ursache im Dunklen. Das Brummen wird mittlerweile im Internet diskutiert. Es wird spekuliert, ob es sich dabei gar um den „Ur-Ton“ handele, den die Erde bei ihrer Entstehung erzeugt habe und der in vielen Teilen der Welt heute noch zu hören sei.

Anscheinend brummt es öfter in Deutschland: „Das sogenannte Brummen ist auch hier bei uns im Aschaffenburger Raum täglich präsent“, schreibt ein Nutzer als Kommentar auf der Homepage des Bayerischen Rundfunks, der über das Thema berichtet hatte. Ein Baubiologe aus dem oberfränkischen Heinersreuth leidet ebenfalls unter tiefen Tönen und hat ein eigenes „Forum für Brummtonbetroffene“ ins Leben gerufen.

Zurück nach Steinhöring. Dort hat man eine bestimmte Quelle als Ursache der Misstöne im Auge. Von der Zaißinger Anhöhe aus ist ein riesiger Öltank zu sehen. Er gehört zum Tanklager des Mineralölkonzerns OVM mit Sitz in Burghausen. Eine kleine Nebenstraße führt zu der Anlage, die in die hügelige Landschaft hineingebaut wurde. Sie ist umgeben von einem Zaun und einer Reihe junger, jetzt kahler Bäume. In drei Tanks wird Rohöl gelagert, in einem vierten Heizöl. Von Steinhöring aus werden die Mineralöle mithilfe einer Pumpstation zur Raffinerie in Burghausen gepumpt.

Das Öl stammt aus der Ölpipeline der Transalpinen Ölleitung (TAL), die auf dem Gelände neben den OVM-Tanks eine Pumpstation betreibt. Seit fast 50 Jahren wird der zähflüssige Rohstoff schon vom italienischen Triest nach Karlsruhe gepumpt. Diese Pumpen, so glauben etliche der Betroffenen von Steinhöring, sind die Ursache für ihre Leiden.

Doch OVM und TAL weisen das zurück, sie haben eigene Messungen durchgeführt und nichts gefunden. Um der Sache auf den Grund zu gehen, empfiehlt das beauftragte Ingenieurbüro, zeitgleiche Dauermessungen an den Pumpstationen und den betroffenen Anwesen durchzuführen. Drei Wochen lang soll eine sogenannte „Kreuzkorrelationsmessung der emissionsrelevanten Anlage“ unternommen werden.

Landratsamt und Gemeinde sind bereit, die Messungen durchführen zu lassen. Da kein Grenzwert überschritten wird, besteht dazu allerdings keine Verpflichtung. „Wir machen es, weil wir uns um die Bürger kümmern“, sagt Bürgermeister Hofstetter. Aber, so hat es der Gemeinderat einstimmig beschlossen, die Betroffenen sollen einen Beitrag zu den Kosten leisten, schließlich leide nicht jeder in Steinhöring. Viele Brumm-Geschädigte sind anderer Meinung: Der Verursacher solle zahlen.

Wenn er denn je gefunden wird. Da die Messungen nur durchgeführt werden, wenn die Bürger die 22 500 € einzahlen, ist derzeit noch völlig offen, ob das Gutachten überhaupt erstellt wird. Klar ist nur, das mysteriöse Brummen wird jetzt auch von einem lokalpolitischen Grummeln begleitet.

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