AGRITECHNICA 15. Nov 2013 Thomas Gaul Lesezeit: ca. 4 Minuten

Landwirtschaft buhlt um Ingenieure

In dieser Woche zog es alles, was sich in der Landwirtschaft tummelt, zur Agritechnica nach Hannover. Die weltgrößte Landmaschinenmesse ist nicht mehr nur Treffpunkt für Landwirte. Fast alle Hersteller von Landtechnik sind mit ihrer Personalabteilung an den Ständen vertreten und werben eifrig um Ingenieure.

Zum Staunen bietet die Agritechnica in Hannover ebenso Gelegenheit wie zum Gespräch. So diente die Messe auch als Kontaktbörse für Arbeitgeber und arbeitsuchende Ingenieure.
Foto: pa/Peter Steffen

Die Landmaschinenhersteller, die ihre auf Hochglanz polierten Maschinen und Geräte im Scheinwerferlicht präsentieren, zeigen sich von den wirtschaftlichen Krisen in anderen Ländern und Branchen unbeeindruckt. „Die Stimmung in der Agrartechnikbranche könnte nicht besser sein“, verkündete Bernd Scherer, Geschäftsführer des VDMA Landtechnik, zum Auftakt der Agritechnica.

Fast 400 technische Neuheiten in Hannover

-Die Agritechnica in Hannover ist die wichtigste Plattform der Landmaschinenindustrie, um neue Maschinen und Geräte vorzustellen. Die Leistungen der Ingenieure zeigen sich an den fast 400 Neuheiten, die von den Ausstellern beim Messeveranstalter, der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), angemeldet wurden.

-Die globale Produktion von Nahrungsmitteln muss in den kommenden vier Jahrzehnten jeweils um fast 20 % steigen, um den Bedarf zu sättigen. Das bedeutet, dass im Durchschnitt jedes Jahr 10 Mio. t Getreide zusätzlich produziert werden müssen.

-Die Produzenten von Landtechnik in Deutschland erzielen in diesem Jahr einen Umsatz von 8,2 Mrd. €, 7 % mehr als im Vorjahr, so der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). tg

In diesem Jahr werden die Hersteller von Landmaschinen und Traktoren am Standort Deutschland ein Rekordwachstum erzielen. Die Agrartechnik profitiert davon, dass die Weltbevölkerung Prognosen zufolge bis 2050 auf 9 Mrd. Menschen anwachsen wird. Für diese Menschen müssen nicht nur ausreichend gesunde Lebensmittel produziert werden, sondern auch Biomasse, um fossile Energieträger ersetzen zu können. Zudem bringt die stoffliche Nutzung von Rohstoffen vom Acker neue Herausforderungen mit sich.

Auch eine neue Generation von Landwirten übt als Kunden Druck auf die Hersteller aus. Innovationen sollen die Arbeit auf dem Feld erleichtern, lässt Scherer durchblicken: „Die technikaffinen Landwirte fungieren als Impulsgeber für die Landtechnikindustrie.“

Die großen Hersteller haben ihre Budgets für Forschung und Entwicklung daher aufgestockt. So hat alleine Claas, Hersteller vor allem von Mähdreschern und Traktoren, über 200 Mio. € im vergangenen Geschäftsjahr in die Entwicklung neuer Produkte investiert.

International haben sich die deutschen Hersteller eine starke Position erobert. Das Potenzial wird in den nächsten Jahren größer, wenn es darum geht, zusätzliche Flächen in die landwirtschaftliche Produktion zu nehmen, so Martin Richenhagen, CEO des Agco-Konzerns, der vor allem durch die Traktoren der Marke Fendt bekannt ist: „Über 60 % der Reserven an landwirtschaftlicher Fläche befinden sich in Afrika“.

Um die erwartete Nachfrage zu bedienen, sollen nicht mehr nur Maschinen exportiert, sondern auch Produktionsstandorte auf dem Kontinent aufgebaut werden.

Das sind glänzende Karriereperspektiven für Hochschulabsolventen, die ihre berufliche Zukunft in der Agrartechnik sehen. Denn die Unternehmen werden ihre Wünsche ohne die Hilfe junger Ingenieure nicht umsetzen können.

„Die Firmen haben bereits jetzt zunehmend Schwierigkeiten, qualifizierte Ingenieure zu bekommen“, hat Bernd Scherer festgestellt. Das kann Till Meinel nur bestätigen, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Landmaschinentechnik und Regenerative Energien der Fachhochschule Köln: „Die Studenten werden von der Industrie umworben, die händeringend auf der Suche nach Ingenieuren ist. Bachelor-Studenten werden von den Firmen regelrecht ‚weggekauft‘, noch bevor sie wie geplant ein Master-Studium beginnen können.“

Branchenverbände haben Initiativen gestartet, um junge Menschen für die Hightech-Branche Agrartechnik zu begeistern. Schließlich ist in einem modernen Traktor mehr Elektronik verbaut als in einem Tablet oder Smartphone, wie Firmenvertreter stolz am Stand erzählen.

Mit der Initiative „Maschinenhaus“ versucht der VDMA, die hohe Abbrecherquote von rund 50 % in den Maschinenbau-Studiengängen zu senken. Aber es gilt auch, den Frauenanteil in der männerdominierten Welt der Landtechnik zu erhöhen.

Vor allem Mittelständler gehen hier mit gutem Beispiel voran. Amazone im niedersächsischen Hasbergen in der Nähe von Osnabrück setzt auf das Mint-Technikum (Mint steht für naturwissenschaftlich-technische Fachbereiche in Schule und Hochschule), um mehr Frauen in die Agrartechnik zu bringen, berichtet Amazone-Personalleiter Renee Hüggelmeier. Einen Tag in der Woche verbringen die „Technikantinnen“ in einem Mint-Studiengang an der Hochschule, an den anderen vier Tagen arbeiten sie in einem konkreten Projekt im Unternehmen. „Eine Absolventin berichtet in einem Blog in sozialen Netzwerken von ihren Erfahrungen“, berichtet Hüggelmeier und hofft, dass so weitere junge Frauen angesprochen werden.

Noch immer gilt ein Ingenieurstudium der Fachrichtung Landtechnik als beste Voraussetzung, um etwa als Konstrukteur bei einem Hersteller von Landmaschinen durchzustarten. Dabei gibt es grundsätzlich drei Wege: ein Maschinenbaustudium in der Fachrichtung Landtechnik, ein Studium des Agraringenieurwesens mit dem Schwerpunkt Landtechnik oder ein duales Studium bei einem Agrartechnikhersteller.

Zunehmend wird die Branche aber auch für Quereinsteiger interessant. Denn die Landmaschinen sind so komplex geworden, dass Elektroingenieure und IT-Spezialisten an der Entwicklung einer neuen Maschine beteiligt sind.

Schön zu sehen ist das an einem neuen Düngerstreuer, der in diesem Jahr auf der Agritechnica mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurde. Dabei wird mit Mikrowellen die Düngerverteilung vollautomatisch online gemessen, sodass sich der Düngerstreuer praktisch von selbst auf die jeweilige Düngersorte und die gewünschte Arbeitsbreite einstellt.

Die Idee hatte Norbert Rauch, Chef des gleichnamigen Düngerstreuer-Herstellers. Auf einer Messe kam Rauch ins Gespräch mit den Inhabern einer kleinen Elektronikfirma und beauftragte sie gemeinsam mit den Rauch-Entwicklungsingenieuren mit der Konstruktion des neuartigen Düngerstreuers.

Ein Ingenieur in der Agrartechnik muss heute nicht mehr zwangsläufig bei einem Landmaschinenhersteller arbeiten. „Immer mehr Ingenieure arbeiten im Service“, sagt Horst Schmiemann, Human Resources Manager bei John Deere in Deutschland. Die Händler, die für John Deere die Maschinen verkaufen und im Service betreuen, sind mit bis zu 250 Mitarbeitern selbst schon mittelständische Unternehmen.

Im Verkauf steigt die Suche nach Ingenieuren ebenfalls, um die Landwirte bei der Wahl der geeigneten Maschine zu beraten.

Auch landwirtschaftliche Betriebe sind auf der Agritechnica auf der Suche nach Ingenieuren. So sucht die Mriya Agro Holding, die in der Ukraine eine Fläche von 300 000 ha bearbeitet, Maschinenbauabsolventen.

Weitere Informationen zum Karrierestart bietet auf der Messe die Max-Eyth-Gesellschaft (MEG) im VDI. Auch auf deren jährlichen Nachwuchsförder-Tagungen können sich die Studierenden über ihre beruflichen Möglichkeiten informieren. THOMAS GAUL

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