Migration 12. Jun 2015 Ruth Kuntz-Brunne Lesezeit: ca. 3 Minuten

Schweizer Mentalität zieht deutsche Ingenieure an

Auswandern ist kein Spaziergang. Häufig ist es ein steiniger Weg, bis eine neue Existenz aufgebaut und der Wohnort zur Heimat wird – auch im idyllischen Umfeld des Matterhorns.
Foto: PantherMedia/Vaclav Volrab

Ein Berliner mag sich in der Schweiz nicht ausgesprochen heimisch fühlen. „Für mich als Karlsruher aber war sie schon immer weniger fremd als Berlin oder Hamburg“, lacht Hans-Jörg Dennig. Der Maschinenbauingenieur, der seit sechs Jahren in der Region Zürich lebt, ist Dozent für Produktentwicklung an der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und Wissenschaftlicher Berater der Phi Engineering Services AG, die er mitgegründet hat.

„Als ich 2009 in die Schweiz ging, dachte ich nicht, dass hier das große Geld auf mich wartet“, so Dennig. Diese Vorstellung mögen viele Deutsche haben, er aber hatte Kontakte in die Schweiz. Gemeinsam gründeten sie die Beraterfirma im Züricher Schwerzenbach. Der Verdienst war zunächst bescheiden. „In der gut zahlenden deutschen Automobil- und Luftfahrtbranche hätte ich anfangs mehr verdient.“ Überhaupt seien in der Schweiz oft nur die Anfangsgehälter für Ingenieure wesentlich höher. Außerdem würden die Lebenshaltungskosten den Lohnzugewinn teilweise auffressen. „Heute ist das allerdings auch in München oder Stuttgart so“, sinniert Dennig.

Die Qualitäten der Schweiz sieht der Badener anderswo, etwa im Umgang miteinander. „Die Leute sind sehr zuvorkommend und das Geschäftsleben entspannter als in Deutschland“, sagt der Unternehmer. Business basiere in der Schweiz mehr auf Vertrauen als auf Kontrolle. Und alles sei ein bisschen kleiner und doch weitläufig, „die Menschen sind bereit, mit der Bahn statt mit dem Auto zu fahren“, was den Verkehr entzerre. Das alles trägt zu dem Bild bei, das die Lebensqualität des südlichen Nachbarlands widerspiegelt – sekundiert von der Natur, den Bergen, den Seen vor der Haustür. Auch das stärker auf Selbstbestimmung und Selbstverantwortung basierende System gefällt Dennig, obwohl es weniger staatliche Unterstützung bedeutet. Nein, er plant nicht, hier wieder wegzuziehen.

Die Identifikation mit der neuen Heimat steigt bei vielen mit der Länge des Aufenthalts. Ingenieur Raimond Gatter, General Manager bei Swagelok und Vater von zwei Kindern, ist nach 17 Jahren in der Schweiz längst angekommen. Neben der deutschen besitzt er die Schweizer Staatsbürgerschaft und ist ebenso Mitglied bei Swiss Engineering wie im VDI. Die Ausreise aber fiel ihm einst nicht leicht. „Ein bisschen hatte ich ja auch mit China geliebäugelt“, gesteht Gatter. Ein Headhunter überzeugte ihn schließlich.

„Nach meiner Erfahrung läuft das bei den meisten deutschen Ingenieuren ähnlich: Sie kommen schlicht deshalb in die Schweiz, weil sie von einem Headhunter – oder von der Stelle – überzeugt worden sind.“ Dann gebe es noch die Gruppe der Romantiker. „Gar nicht wenige kommen wegen der Liebe – zu einer Partnerin oder zu den Bergen“, berichtet Gatter.

Wie der 41-jährige Björn Walter, Projektleiter bei Eternit, den die Liebe gen Süden zog. Obwohl er vom Norden träumte, von Finnland und Norwegen, folgte er seiner Frau in die Heimat. In der Schweiz angekommen, bekam er direkt seine Wunsch-Stelle. Und die Arbeit unter Schweizern, die seltener ihre Ellbogen ausfahren würden, gefällt ihm.

Letztlich sei immer die gute Lebensqualität ausschlaggebend, meint Renato Krienbühl, Direktor des Züricher Personalvermittlers Gloaex. Und nach seiner Erfahrung entscheiden deutsche Ingenieure vor allem pragmatisch. „Als Grund für ihre Auswanderung geben sie am häufigsten den höheren Lebensstandard an.“

Für Krienbühl ist klar, dass hoch qualifizierte Deutsche dorthin gehen, wo die Arbeitsbedingungen gut sind. „Bisher liegt die Schweiz für sie vorne – dank exzellenter Löhne, Lebensqualität und niedrigeren Steuern.“ Gleichzeitig biete sie dem in vielen Lebensläufen aufscheinenden Bedürfnis nach Sicherheit einen verlässlichen Hafen. „Wer ein Abenteuer sucht, kommt eher nicht hierher“, vermutet er. „Die Leute, die wir vermitteln, achten schon auf eine gesicherte Zukunft.“ Ingenieure sind keine Hasardeure. Viele wollen bleiben, vor allem jene mit Familie und Ältere. Zwar vermittelt Krienbühl mehrheitlich Ingenieure unter 40 Jahren – und könnte noch viele weitere vermitteln. „Aber auch Ältere, die in ihrem Fach spitze sind, werden gesucht.“

Die Wanderungsprofile des Statistischen Bundesamts zeigen jedoch, dass insgesamt vor allem jüngere Deutsche auswandern: Von den 25- bis 35-Jährigen waren es 2013 knapp 50 000, von den 35- bis 45-Jährigen knapp 21 000, von den 45- bis 55-Jährigen nur noch rund 18 000. Die Rückkehrquote aus der Schweiz ist im Schnitt geringer als jene aus anderen Ländern. Gemessen an der Zahl der Auswanderer betrug sie 2013 über alle Länder hinweg 85 %, aus der Schweiz 57 %: 12 000 kehrten zurück, 21 000 wanderten dorthin aus. Vor allem Ingenieure scheinen der Schweiz treu zu bleiben.

Vielleicht mögen deutsche Ingenieure das Land besonders gerne. Vielleicht behagt ihnen das helvetische Tüftlerklima und die sprichwörtliche Zuverlässigkeit. Möglicherweise aber wägen sie die Gründe für eine Migration besser ab als andere Berufsgruppen. Gatter jedenfalls warnt davor, Deutschland „aus Überdruss“ zu verlassen. Als stellvertretender VDI-Bezirksleiter Bodensee hilft er seinen deutschen Landsleuten bei der Integration. „Wenn mir jemand sagt, dass er einfach weg will aus Deutschland, rate ich, erst die Probleme zu lösen.“ Denn in einem neuen Land kämen eher neue hinzu. Die Arbeitszeiten in der Schweiz sind länger als in Deutschland, Mieten, Kindergärten und vieles mehr wesentlich teurer. „Auch die Integration gibt es nicht umsonst, sie verlangt Goodwill und viel Fingerspitzengefühl.“

Walter beispielsweise lernte in einer Musikkapelle, wie Schweizer ticken. „Etwa, dass jeder Einzelne namentlich begrüßt werden muss oder dass bei gemeinsamen Feiern mit jedem vollen Glas erneut angestoßen wird – auch das gehört zur Schweizerischen Konsensmentalität.“

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