Boxermotoren 26. Sep 2016 Hans W. Mayer Lesezeit: ca. 4 Minuten

Der Boxer geht nicht k.o.

Die Kraft der sechs Herzen: Porsche setzt seit Anbeginn seiner Unternehmensgeschichte auf den Boxermotor. Hier zu sehen der 3,6-l-Boxer mit Ventilhubverstellsystem VarioCam Plus aus dem Porsche 911.
Foto: Porsche AG

Unermüdlich sind Boxermotoren schon seit mehr als 100 Jahren im Einsatz. Geht es nach Thomas Wasserbach, Entwicklungsleiter Boxermotoren bei Porsche, soll das auch künftig so bleiben. Bekanntestes Beispiel für das hartnäckige Festhalten an dieser technologischen Monokultur war zweifellos der Volkswagen Käfer, der von 1945 bis 2003 mehr als 21,5 Mio. Mal vom Band rollte.

Die Geschichte des Boxermotors

Als Erfinder des Boxermotors gilt der Autopionier Carl Benz (1844 bis 1929)

Bereits 1897 wurde der von ihm konstruierte sogenannte Kontramotor in sein Modell „Dos-à-dos“ eingebaut. Das Triebwerk mit zwei gegenüberliegenden Zylindern holte aus 1,7 l Hubraum anfangs 3,6 kW, später aus 2,7 l 6,6 kW, was die Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h auf 50 km/h verdoppelte.

In den Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg setzten vor allem zahlreiche Motorradhersteller auf dieses Bauprinzip, beispielsweise Puch (Österreich), Itar (Tschechien), Mars, Maurer sowie vor allem BMW und Zündapp in Deutschland.

Nach dem Krieg bauten neben VW auch immer mehr internationale Autohersteller Boxermotoren mit zwei, vier oder sechs Zylindern: in den USA u. a. Preston Thomas Tucker in seinen 1946 vorgestellten avantgardistischen „Torpedo“ (Sechszylinder-Boxermotor mit 110 kW aus 9,6 l Hubraum), in Österreich die Fiat-500-Ableger Steyr-Puch 500 und 650 TR, in Deutschland die BMW-Kleinwagen 600 und 700 oder Goliath/Hansa 1100 und Lloyd Arabella aus dem Borgward-Konzern, in Frankreich Citroen in den Typen 2 CV („Ente“), Ami 6 und GS, in Italien Alfasud und Alfa 33 sowie ein 5-l-V-12-Boxer (250 kW) als Mittelmotor im Ferrari BB 512 .

Konstruktionsbedingt weisen Boxermotoren etliche Vorteile auf, aber auch einige handfeste Nachteile. Die konzeptbedingten Vorzüge des Boxers im Vergleich zu konventionellen Reihen- oder V-Motoren sind bis heute gleich geblieben: Die um 180 Grad versetzten und zu beiden Seiten der Kurbelwelle flach liegenden Zylinder sorgen für einen vollständigen Ausgleich der auftretenden Massenkräfte und damit für ruhigen, vibrationsarmen Motorlauf und höheres Drehvermögen. Hinzu kommen kurze Baulänge, geringe Höhe und niedriger Schwerpunkt.

Wo Licht ist, ist auch Schatten. Neben den konstruktionsspezifischen Vorzügen weisen Boxermotoren auch einige arttypische Nachteile auf. Einer davon ist beispielsweise die konzeptbedingte Breite des Motors. Er benötigt nicht nur mehr Platz, sondern kann auch nicht quer eingebaut werden. Außerdem ist seine Herstellung aufwendiger und teurer, weil er aus mehr Teilen besteht als z.B. ein Reihenmotor – so hat der Boxer zwei Zylinderköpfe.

Die immer noch vorherrschende Vorliebe für diese Motorenbauart könnte möglicherweise mit dem ausgeprägten Harmoniebedürfnis insbesondere der Japaner zu tun haben. So hält Allradspezialist Subaru seit vielen Jahrzehnten daran fest. „Dieses Antriebskonzept verkörpert wohl die harmonischste Form aller Verbrennungsmaschinen“, sagt Jörg Kracke, Technikexperte bei Subaru Deutschland. „Mit seiner vollkommen symmetrischen Bauweise und den sich paarweise gegenüberliegenden Kolben, die sich wie die Arme eines Boxers horizontal bewegen, werden die entstehenden Massenkräfte perfekt ausbalanciert, was zu hervorragender Laufruhe und Vibrationsarmut führt“, sagt Kracke. „Boxertriebwerke drehen geschmeidig und gleichmäßig bis zur Nenndrehzahl hoch und benötigen keine Ausgleichswellen oder Ausgleichsgewichte an den Kurbelwellenwangen.“ Dadurch lasse sich Gewicht und Bauraum einsparen. Wegen der im Vergleich zu Reihenmotoren deutlich kürzeren Kurbelwelle muss diese nur dreifach statt fünffach gelagert werden. Kracke: „Boxermotoren sind robuster und langlebiger als alle anderen Verbrennungsmotoren.“

Seit nunmehr fünfzig Jahren ist der japanische Subaru ein Verfechter der Boxer-Idee. Erstes Modell war der 1966 eingeführte Subaru 1000 mit seinem wassergekühlten Vierzylinder-Boxeraggregat (977 cm³, 40 kW ). Spätere Meilensteine waren der Zweiliter-Turboboxer im Legacy RS Sedan AWD (1989), der 3,3-l-Sechszylinderboxer im Subaru SVX (1991), der weltweit erste Boxerdieselmotor (2008) in den Modellen Legacy, Impreza, Forester und Outback oder das Konzeptfahrzeug Subaru VIZIV von 2013 mit Zweiliter-Turbodieselboxer in Kombination mit drei Elektromotoren.

In Serie ging wenig später der Subaru XV Crosstrek Hybrid. Sein Zweiliter-Boxer-Ottomotor stellt in Kombination mit einem kleinen Elektromotor eine Systemleistung von 118 kW bereit. Nach US-Norm verbraucht er im Stadtverkehr 16 % weniger Kraftstoff als der Basisbenziner. Insgesamt wurden bis heute etwa 16 Mio. Subaru mit Boxertriebwerken produziert.

Noch wesentlich länger als bei Subaru zählen Boxermotoren bei Porsche zum Markenkern. Schon der allererste Porsche 356 von 1948 – er steht heute als „Nr. 1“ im Stuttgarter Firmenmuseum – wurde von einem leistungsgesteigerten Vierzylinderboxer (1131 cm³, 26 kW) aus dem Volkswagen Käfer angetrieben, zunächst noch als Mittelmotor. Höhe- und Endpunkt dieser kurz darauf ins Heck verpflanzten Vierzylinderboxer-Baureihe markierte 1964 ein Zweilitertriebwerk im Porsche 356 C 2000 GS Carrera 2 mit zweimal zwei obenliegenden, über Königswellen angetriebenen, Nockenwellen mit 96 kW bei 6200 min-1. Im selben Jahr löste der erste Porsche 911 mit einem gleich starken Sechszylinderboxer aus Leichtmetall die Baureihe 356 ab.

Heute, 52 Jahre später, verrichtet noch immer ein Sechszylinderboxer seinen Dienst im Heck des „Elfer“. Im aktuell stärksten Modell 911 Turbo S holt er inzwischen aus 3,8 l Hubraum 427 kW. „Kein anderes Motorenkonzept ist so stark mit Porsche verwurzelt wie der Boxermotor“, sagt Wasserbäch. Die bisherige Erfolgsgeschichte wird fortgeschrieben mit einer komplett neuen Boxermotorenfamilie mit Turboaufladung. Als Vierzylinder kommt sie im 718 Boxster zum Einsatz (1988 cm³, 220 kW), als Sechszylinder im 911 Carrera S (2981 cm³, 309 kW).

„Alle Boxermotoren weisen bauartbedingt eine kurzhubige Auslegung auf, um die Breite des Motors zu begrenzen. Daraus resultieren optimale Voraussetzungen für hohes Drehvermögen“, erläutert Wasserbäch. „Durch die boxertypische Kurbelwellenlagerung mit jeweils zwei Hauptlagern pro Pleuel ergibt sich zum einen ein sehr steifer Kurbeltrieb für hohe Zylinderleistungen und Hochdrehzahltauglichkeit, zum anderen ein großer Zylinderabstand, der große Bohrungsdurchmesser und damit sehr gute Ladungswechselverhältnisse ermöglicht.“ Die kurzen Abgaswege und das motornahe Package böten beste Voraussetzungen für künftige Abgasnachbehandlungskonzepte. Einerseits dienen diese spezifischen Eigenschaften der schnellen Aufheizung der Katalysatoren nach dem Kaltstart, andererseits bieten sie die Möglichkeit, unterschiedliche Katalysatordimensionen und zusätzliche Sensorik unterzubringen. „Gerade bei Hochleistungsmotoren ist die Dimensionierung des Katalysators ein wichtiger Faktor“, so Wasserbäch. „Um hohe spezifische Leistungswerte und niedrigen Verbrauch zu erzielen, sind geringe Abgasgegendrücke erforderlich. Größere Katalysatoroberflächen ermöglichen die Einhaltung verschärfter Grenzwerte. In Boxermotoren mit ihren kurzen Abgaswegen sind Katalysatoren mit großem Durchmesser und Volumen darstellbar.“

Auch für eine Hybridisierung bietet der Boxermotor laut Wasserbäch gute Chancen: „Bei ihm ist, ebenso wie bei Reihen- oder V-Motoren, die Baulänge des Antriebsstrangs der entscheidende Faktor zur Fahrzeugintegration. Nach gängiger Praxis muss die Hybridscheibe zum elektrischen Fahren zwischen Motor und Getriebe platziert werden, um entsprechenden Bauraum zu generieren. Denkbar sind jedoch auch Mildhybridisierungen, zum Beispiel durch Installation eines riemenbetriebenen Startergenerators.“

Der Experte aus Weissach ist überzeugt, dass der Boxermotor noch ein langes Leben vor sich haben wird: „Ferry Porsche, der Sohn des Firmengründers, sagte einmal, das letzte jemals gebaute Auto werde ein Sportwagen sein. Vielleicht trifft das ja auch auf den Boxermotor zu.“

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