Atomkraft: Sicherheit ist neu zu bewerten
Der Beschuss des Atomkraftwerks Saporischschja wirft die Frage auf, wie wir als Gesellschaft mit den Risiken der Kerntechnik umgehen.

Foto: dpa Picture-Alliance / Xinhua News Agency/Victor
Am Freitag, dem 22. 7. 2022, berichtet Energoatom, Betreiber von Europas größtem Kernkraftwerk Saporischschja in der Ukraine, erstmals, dass Militärausrüstung, Sprengstoff und Waffen im Maschinenhaus von Block 1 lagern. Anmerkung: Russische Truppen haben das KKW besetzt, betrieben wird es weiterhin von der ukrainischen Betriebsmannschaft.
- Dann, am Mittwoch, dem 3. 8., ein Bericht aus den USA: Russland würde das KKW als Schutzschild nutzen, also aus der Nähe der Anlage auf ukrainische Kräfte schießen.
- Freitag, 5. 8.: Die ukrainische Nuklearaufsichtsbehörde SNRIU meldet, auch in der Turbinenhalle von Block 2 sei militärisches Equipment untergebracht.
- 6. 8.: Artilleriegranaten schlagen in unmittelbarer Nähe des Kraftwerks ein. Beschädigt wird die Stickstoff-Sauerstoff-Station in einem Nebengebäude und die 380-kV-Leitung zum benachbarten Heizkraftwerk.
- 8. 8.: Energoatom berichtet über erneuten Beschuss. Ziele waren ein Trockenlager – dort lagern 174 Behälter mit abgebrannten Kernbrennstäben – und drei Sensoren zur Strahlenmessung im Umfeld des Lagers.
- 10. 8.: Russland stationiert Flugabwehr auf dem Kraftwerksgelände und bietet gleichzeitig der IAEA an, das Gelände zu besuchen – eine Forderung, die die Internationale Energieagentur (IAEA) seit Monaten vergeblich erhoben hatte.
Ein Atomkraftwerk als Schutzschild für die Artillerie deckt die Risiken der Technik auf
„Grave concern“ – ernste Besorgnis – bringt der Generaldirektor der IAEA, Rafael Grossi, angesichts dieser Nachrichten zum Ausdruck. Nicht zum ersten Mal seit Beginn des Krieges, damals ging es um das KKW Tschernobyl. Eine Hochrisikotechnologie wie ein Kernkraftwerk als Schutzschild für die eigene Artillerie zu benutzen, gibt die ganze Menschenverachtung wider, mit der im Krieg agiert wird. Wenn es denn stimmt.
Die Nachricht sagt uns auch etwas für die deutsche Debatte zur Verlängerung der drei letzten noch in Betrieb befindlichen KKW.
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Das meint der VDI dazu: Ist eine Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken sinnvoll?
Andersrum: Wir haben in diesen Kriegstagen gelernt, dass es um die Resilienz unserer Gesellschaft und Wirtschaft geht, und darum steht es nicht zum Besten. Konkret bezieht Bundeskanzler Olaf Scholz seine Zeitenwende-Rede nicht nur auf die Bundeswehr, sondern explizit genauso auf die Energiewirtschaft.
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