Deutsche Nachhaltigkeit in der Wüste
Mit einem Jahr Verzögerung beginnt am 1. Oktober die Expo in Dubai. Der deutsche Pavillon hat das Thema Nachhaltigkeit
Es soll eine Expo der Superlative werden. Laut Veranstalter wird zum ersten Mal jedes teilnehmende Land – es sind rund 190 an der Zahl – mit einem eigenen Pavillon vertreten sein. Wer hier auffallen möchte, muss sich also etwas einfallen lassen.
Beim deutschen Pavillon ist zweifelsohne das Dach der große Hingucker. Es wird von einem „Wald“ aus Stahlstäben gehalten, die – hintereinandergelegt – eine Strecke von 10 km ergeben. Sobald die Sonne untergeht, wird die von unten einsehbare Decke angeleuchtet, sodass der Eindruck eines schwebenden Segels entsteht. Der Pavillon hat den Titel „Campus Germany“. Im Innern dreht sich alles um das Thema Nachhaltigkeit und darum, wie Forschung und Wissenschaft ihren Beitrag dazu leisten. Die Anmeldung im Pavillon heißt dieses Jahr „Immatrikulation“, denn das Campusthema zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung.
Campus-Thema
Eine Rolltreppe bringt die „Studierenden“ nach einer Einführungsveranstaltung nach oben, von wo aus sie über einen Erlebnispfad mit verschiedenen Themenbereichen ihr „Curriculum“ durchlaufen. Während der „Abschlussveranstaltung“ nehmen sie auf Schaukelsitzen Platz, um sich im Gleichklang zu bewegen. Damit soll gezeigt werden, dass alle gemeinsam große Dinge meistern können. Passend zum Expo-Motto „Connecting Minds, Creating the Future“ wird das Gemeinschaftsgefühl auch im deutschen Pavillon großgeschrieben. Dessen Konzept und die Ausstellung stammen von der deutschen Kreativagentur „facts and fiction“.
Das Motto schlägt sich auch in der Architektur mit dem großen Atrium und den weiten Sichtachsen nieder. „Die Besucher sollen sich als Teil einer Gemeinschaft sehen“, erklärt Tobias Wallisser, einer der drei Gründer vom Laboratory for Visionary Architecture (Lava), das den Pavillon entwarf. „Auf dem Erlebnispfad können Sie über das zentrale Atrium hinweg die anderen Besucher sehen, die auf dem Weg schon weiter vorangeschritten sind. Durch diese Dynamik entsteht eine ganz eigene Kommunikation“, ergänzt Alexander Rieck, ebenfalls einer der Gründer von Lava. So werde eine Art Campusatmosphäre geschaffen.
Wie in einem Campus sind die einzelnen Räume um einen Hof gruppiert. Die dazu genutzten quaderförmigen Elemente sind vertikal gestapelt (s. Grafik). Geschlossene und offene Bereiche wechseln sich ab, wobei die Decken mancher Räume gleichzeitig als Terrasse dienen. Laut der Arbeitsgemeinschaft für Konzept und Realisierung des Deutschen Pavillons sind diese Quader ein Symbol für den Föderalismus Deutschlands und für die Diversität von Wirtschaft und Forschung.
Konzipiert für geringen Materialeinsatz
Das Gebäude wurde so konzipiert, dass mit wenig Materialeinsatz möglichst viel Volumen geschaffen wurde. Denn schließlich thematisiert das Bauwerk Nachhaltigkeit. Wie nachhaltig kann aber ein Gebäude sein, das nur ein halbes Jahr stehen wird? Eine Nachnutzung ist nicht vorgesehen. „Wir gehen hier von unterschiedlichen Wegen der Kreisläufe aus. Der wichtigste ist dabei die weitgehende Wiederverwendung kompletter Bauelemente durch einen dokumentierten Bauteilekatalog“, kommentiert Rieck.
Die Nachnutzung sei bereits Teil der Konzeption gewesen. Die Hülle und das Dach bestehen zum großen Teil aus einer einschaligen, wiederverwertbaren ETFE-Membran. ETFE steht für Ethylen-Tetrafluorethylen. Der Kunststoff gilt als leicht, widerstandsfähig und lichtdurchlässig. In der Architektur wird er in Form von Folien für Überdachungen und Fassaden eingesetzt.
Eine große Herausforderung in puncto Nachhaltigkeit war die Klimatisierung. Die Expo findet zwar während der kühleren Wintermonate statt, aber auch diese sind in den Vereinigten Arabischen Emiraten warm. Hier kommen wieder die bereits genannten Quader ins Spiel. „Sie sind so gestaltet, dass sie den Innenraum von der Südseite her verschatten“, erklärt Wallisser. Das Dach sei zudem so konzipiert, dass die Sonneneinstrahlung auf ein Minimum reduziert werde.
Ein gestuftes Klimasystem mit verschiedenen Temperaturbereichen soll zusätzlich Energie einsparen. So werden geschlossene Ausstellungsräume gekühlt, und zwar auf 24 °C. In offenen Zwischenbereichen soll es bis zu 28 °C warm werden. Hier erfolgt die Klimatisierung erst abends. Dann öffnet sich die Fassade. Die kältere Nachtluft strömt ein und kühlt das Gebäude.
Aufschub durch Corona
Eigentlich war die Expo bereits für 2020 geplant. Dann aber kam Anfang März des vergangenen Jahres die Coronapandemie. Kurz zuvor hatte das Team noch das Richtfest des Pavillons gefeiert. Was sollte nun mit dem halb fertiggestellten Gebäude geschehen?
Es gab zwei Möglichkeiten: „Wir hätten das Gebäude sehr schnell fertigstellen und dann versiegeln können“, erklärt Wallisser. Den Gebäuden und den Exponaten tue das aber selten gut. Aus diesem Grund wurde der Bau an den neuen Zeitplan angepasst, die Abläufe wurden umorganisiert.
„Eine besondere Herausforderung bestand darin, die Objekte für rund ein Jahr in den Winterschlaf zu versetzen. Bei einigen Installationen reichte eine sachgemäße Einlagerung bei stabiler Temperatur, andere mussten bewegt und genutzt werden“, erklärt Marco Hückel, Mitglied der Geschäftsleitung bei facts and fiction.
Hinzu kamen strenge Hygiene- und Schutzmaßnahmen, die nicht nur während des Baus eine Herausforderung waren. Auch bei den Exponaten, die von vielen Menschen berührt werden, galten nun neue Hygienevorgaben. So mussten die 100 000 Bälle aus dem Bällebad mit einer antiviralen Schicht überzogen werden. Immerhin werden auch sie weiterleben: Sie sollen nach der Expo an lokale Kitas und Schulen verschenkt werden.