ÖKOSTROM 28. Jun 2019 Josephine Bollinger-Kanne Lesezeit: ca. 5 Minuten

Die Türkei braucht neue Energie

Für das Wirtschaftswachstum am Bosporus ist neue Energie gefragt. Die türkische Regierung setzt verstärkt auf eigene Ressourcen und Ökoenergien. Eine Chance für deutsche Unternehmen.

Solaranlagen sollen in der Türkei verstärkt gebaut werden, deutsche Unternehmen sind dabei mit im Boot.
Foto: meteocontrol

„Wir müssen die gesamten lokalen und erneuerbaren Ressourcen nutzen, um den ständig steigenden Energiebedarf zu decken und die Abhängigkeit vom Ausland zu reduzieren“, mahnte Sefa Sadik Aytekin vom türkischen Energieministerium. Die Türkei könne aktuell nur ein Viertel des Energiebedarfs mit eigenen Ressourcen decken. Der Rest müsse importiert werden.

Energie in der Türkei

Der türkische Strombedarf lag 2015 bei 264 TWh. Gaskraftwerke erzeugten 37,8 %, Kohlekraftwerke 28,4 % und Wasserkraftwerke 25,8 %. Der Ökostromanteil betrug 6,3 %. Den Rest deckten Brennstoffe ab.

Die installierte Stromerzeugungsleistung betrug 2015 rund 74 GW. Größter Leistungsträger ist Wasserkraft mit 35,4 %, gefolgt von Gas mit 28,7 % und Kohle mit 21,3 %. Auf die Windkraft entfielen 6,2 %.

Der Stromverbrauch ab 2023 wird auf 424 TWh prognostiziert. Rund 159 TWh (38 %) soll Ökostrom abdecken.

Aufbau von Ökostromkraftwerken bis 2023: gesamt 61 GW, hiervon 20 GW Windenergie, 5 GW Photovoltaik, 34 GW Wasserkraft, je 1 GW Geothermie und Biomasse.

Quellen: türkisches Energieministerium, Regulierungsbehörde, Nationaler Aktionsplan für erneuerbare Energien

Daher sollen Sonnen- und Windenergie bis zum 100-jährigen Jubiläum der Türkei im Jahr 2023 laut Nationalem Aktionsplan für erneuerbare Energien kräftig ausgebaut werden (s. Kasten). Mit einer aktuell installierten Photovoltaikleistung von 370 MW ist der Solarstrommarkt zwar noch ein Entwicklungsmarkt, aber mit einem erwarteten Zubau von über 600 MW in diesem Jahr scheint er jetzt in Schwung zu kommen. Große Freiflächen- und Dachanlagen stehen dabei im Fokus.

Gleichzeitig wachse das Interesse an Dachinstallationen für Haushalte und kleine Gewerbebetriebe, weiß Yonca Kilic von Zenit Enerji zu berichten. Ihre Firma gründete daher das Tochterunternehmen Sunroof Energy in Izmir, das ein Finanzierungs- und Servicepaket zur Installation von Dachanlagen ab 2 kW aufgelegt hat. Die Rückzahlung ist auf einen Zeitraum von fünf Jahren festgelegt. Lokale Vertragsbetriebe führen die Installationen beim Kunden durch.

Wegen der mehr als 2700 Sonnenstunden im Jahr haben deutsche Projektierer wie IBC Solar oder die Juwi-Gruppe den türkischen Markt längst für sich entdeckt. So beauftragte im April die Koyuncu Group, ein türkischer Salzproduzent, die Juwi-Tochter Juwi Yenilenebilir Enerji, 18 Solaranlagen mit 18,5 MW Gesamtleistung bei Konya und Nevsehir in Anatolien zu bauen. Die Koyuncu Group investiert hierfür rund 23,5 Mio. $. Bis Ende 2016 sollen alle Anlagen am Netz sein.

Am Zeitplan hat Korhan Görüs, Geschäftsführer von Juwi Yenilenebilir Enerji, keinen Zweifel: „Juwi ist seit 2014 in der Türkei aktiv und hat sich bereits einen guten Namen als zuverlässiger Projektpartner gemacht. Unsere Projektpipeline ist gut gefüllt und wir sind zuversichtlich, dass wir viele davon erfolgreich realisieren können.“

Auch der deutsche Dienstleister Meteocontrol ist verstärkt in der Türkei aktiv und übernahm dort Ende März das Monitoring in gleich zwei Photovoltaikanlagen: im 8,3-MW-Solarpark in Burdur Yarisli im Südwesten der Türkei und in einer zweiten Anlage mit 2,1 MW bei Korkuteli, rund 100 km nordwestlich von Antalya.

Ebenso stellte das bayerische Systemhaus Phoenix Solar mit seinem Partner Asunim in der anatolischen Region Kayseri im letzten Jahr eine 6,9 MW starke Freiflächenanlage fertig. Seit Mai 2016 ist dort eine zweite Anlage mit 4,9 MW Leistung am Netz. Bei beiden Anlagen hat Phoenix die Projektabwicklung geleitet, Asunim hat die Genehmigungsfragen geklärt und lokale Komponenten beschafft. Beteiligt sind von deutscher Seite noch Refusol und SMA für Wechselrichter.

Ende Mai 2016 beauftragte der Konzern Akfen Renewable Energies die Unternehmen Phoenix und Asunim, ein 10,2-MW-Solarkraftwerk im osttürkischen Elazig zu errichten. Dies sei laut Phoenix die erste von der türkischen Regierung amtlich lizenzierte Photovoltaikanlage.

Die Lizenz schließe die Genehmigung mit ein, das Kraftwerk als ein geschlossenes System zu bauen, statt als Komplex mehrerer 1-MW-Anlagen, sp Phoenix. Das damit bislang größte Photovoltaikkraftwerk in der Türkei soll bis September 2016 fertig sein.

„Für die Türkei haben wir in diesem Jahr noch über 30 MW in der Projektpipeline“, sagt Klaus Friedl, verantwortlich für den Mittleren Osten bei Phoenix. Nach dem Auftakt im letzten Jahr rechnet er für 2016 mit bis zu 650 MW an Neuinstallationen in der Türkei. „Wenn die Entwicklung sich weiter so positiv gestaltet, können bis 2023 sogar mehr als die von der Regierung avisierten 5 GW Photovoltaikleistung am Netz sein.“

Wie diese deutschen Unternehmen informierte auch Enisolar, der türkische Partner des deutschen Solarkonzerns Solarworld, auf der Internationalen Messe und Konferenz für Energie und Umwelt (ICCI) in Istanbul im April 2016 über sein Angebot. Enisolar installierte im September 2015 unter anderem das leichte Flachdachsystem Sunfix aero von Solarworld mit 110 kW auf dem Dach der Universität für Ingenieur- und Naturwissenschaften Sabanci in Istanbul.

Bei der Windkraft in der Türkei sieht Ibrahim Özarslan, Geschäftsführer des deutschen Windanlagenbauers Nordex in der Türkei, viel Luft nach oben: „Aktuell sind rund 5 GW installiert. Die Behörde für erneuerbare Energien beim Energieministerium weist ein Potenzial von 47 GW aus.“ Doch werde es „sehr schwierig“, das Regierungsziel zu erreichen, das vorsieht, bis zum 100-jährigen Jubiläum der türkischen Republik im Jahr 2023 im Windbereich 20 GW zu erreichen.

Zum einen leide die Stabilität im Land durch die Konflikte mit Russland und dem Südosten der Türkei. Zugleich verunsicherten Diskussionen über Änderungen zu Anreizen wie Einspeisetarifen oder Technologieboni Investoren und ließen sie abwarten, auch wenn dies auf das Geschäft von Nordex bisher keine Auswirkung habe, so Özarslan. Zum anderen hält er besonders die Genehmigungsprozesse, die mehrere Stellen durchlaufen und die Realisierung eines Windkraftprojekts im Schnitt auf fünf Jahre ausdehnen, für eine große Hürde.

„Die türkische Windenergie Association Türeb hat eine Prognose erstellt, dass man bei dem heutigen Vorgehen bis 2023 ca. 11 GW erreichen könnte“, klagt der Nordex-Manager. Da müsse sich an den Regularien sehr viel ändern, um das Investitionstempo auf eine andere Ebene zu bringen.

Sein Geschäftsführungskollege bei Enercon, Arif Günyar, bekräftigt: „Vom heutigen Standpunkt aus ist das Ziel bis 2023 nicht erreichbar.“ Der deutsche Anlagenbauer hat als Pionier 1997 der Windenergie im Land mit zum Durchbruch verholfen und 2002 eine Rotorblattfabrik in Izmir gebaut. Heute können die Anlagen bis auf die Windturbinen mit heimischen Mitteln gebaut werden. Die kommen weiterhin per Schiff aus Deutschland.

Enercon habe insgesamt 1,2 GW an Windkraftleistung in der Türkei installiert, beziffert Günyar und liege damit mit Nordex gleich auf. Dritter im Bunde ist der dänische Windkrafthersteller Vestas. Alle drei Unternehmen haben zwei Drittel des Marktes inne. Das letzte Drittel decken Siemens, GE und Gamesa ab.

Seit 2009 hat die türkische Siemens-Tochter fast 250 MW ans Netz gebracht. Sie arbeitet an sechs Projekten und will bis Jahresende die Windkraftleistung auf 350 MW erhöhen.

Zu den Plänen von Enercon sagt Günyar: „Derzeit sind einige Projekte in der Aufbauphase. Bis Ende 2016 sollen ca. 1,3 GW Gesamtleistung im Einsatz sein.“ Von den zwei Lizenzausschreibungen der türkischen Regulierungsbehörde von insgesamt 5 GW im Lauf des Jahres erwartet er einen Pusch.

Der chinesische Windanlagenbauer Goldwind ist derweil dabei, sich am Bosporus eine Basis zu schaffen. „Wir wollen die Türkei als Hub nutzen, um Osteuropa, den Mittleren Osten und Nordafrika auch mit zu bedienen“, sagt Andreas Dupuis, Vizepräsident bei Goldwind International.

Für den chinesischen Solarmodulhersteller Trinasolar ist der Bosporus ebenfalls eine interessante Adresse, hat er doch erst im April einen Liefervertrag über 40 MW an Solarmodulen mit dem EPC-Unternehmen Tegnatia in der Türkei unter Dach und Fach gebracht.

Auf die milliardenschwere Importrechnung der Türkei für Energierohstoffe kommt am ICCI-Messestand der türkische Nordex-Geschäftsführer Özarslan, Geschäftsführer zu sprechen. „Die Türkei importiert Energie für 54 Mrd. $ pro Jahr.“ Das Gros davon komme aus Russland und der übrige Umfang aus Aserbaidschan und den arabischen Staaten. Die hohe Importsumme will die türkische Regierung Özerslans Worten zufolge so schnell wie möglich reduzieren.

Da es mit erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne allein zu lange dauere, so Özerlan, sollen mehr Kohlekraftwerke und dazu Kernkraftwerke gebaut werden. 7,2 Mrd. $ Ersparnis im Jahr durch wegfallende Gasimporte rechnet sich das Energieministerium aus, wenn ein Kernkraftwerksblock erst einmal 80 Mrd. kWh Strom im Jahr erzeugt.

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