SANITÄRTECHNIK 05. Jul 2019 Fabian Kurmann Lesezeit: ca. 6 Minuten

Deutsche Ingenieurskunst unter der Dusche

Im neuen Labor von Hansgrohe werden Wasserhähne, -strahlen und -schläuche von Ingenieuren erforscht und von Robotern getestet.

Dauerduschen: Dies ist einer der Teststände im neuen Labor. Im Wechsel wird heißes und kaltes Wasser durch die Brausen gepumpt.
Foto: Hansgrohe

Markus Wöhrle öffnet die Tür seiner Dusche und steigt ein. Viele Menschen ertrinken in ihrer Arbeit, Wöhrle duscht darin. Über ihm hängt die Deckenbrause, an den Wänden angebracht sind Kopfbrause, Seitenbrausen, eine Handbrause und in der Mitte eine verchromte Mischarmatur für alle diese Brausen. Wöhrle hat die Qual der Wahl: druckvoller Strahl, oder sanfter Regen.

„Wir haben alles eingebaut was geht“, sagt er und schmunzelt. Wöhrle leitet die Abteilung Strahlforschung des Schwarzwälder Sanitärherstellers Hansgrohe. Das Badezimmer ist für ihn, was für Porsche-Mitarbeiter der Sportwagen ist. „Wenn Besuch bei uns ist, staunen die immer über unsere Bäder“, sagt er. Seine beiden Duschen sehen nie lange gleich aus. Am häufigsten wechseln die Testbrausen, denn die Vorentwicklung vieler neuer Duschkopftechnologien findet in seiner Abteilung statt. Die neuen Produkte testet er dann gerne auch mal zu Hause.

Für die meisten Deutschen gehört Duschen zum Alltag. 65 % von ihnen steigen laut einer Umfrage mindestens einmal am Tag in die Duschkabine. Anders als beim Sportwagen assoziiert aber kaum jemand eine Handbrause mit ausgefeilter Ingenieurskunst. Doch in der Armatur, dem Schlauch und dem Duschkopf steckt eine Menge Forschungsarbeit. Das zeigt ein Besuch bei Hansgrohe im 3800-Seelen-Dorf Schiltach.

Foto: F. Kurmann

Foto: Fabian Kurmann

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Wöhrles Arbeitsplatz ist eine Werkstatt, ein Strahllabor. Dreh- und Fräsmaschinen stehen dort, ein Teststand mit allerlei Hebeln, Rohren, Druckanzeigen und Schläuchen und natürlich gibt es dort jede Menge Duschköpfe. An fahrbaren Holzwänden hängen sie in einer Art Handtuchhaltestange in mehreren Etagen übereinander: breite, schmale, kugelige, flache, silbern verchromte oder knallig rote Vertreter dieser Art. Der Sanitärhersteller erforscht hier die Dusche im Detail. An den Wänden hängen Ausdrucke mit Durchflussdiagrammen und Strahlimpaktmessungen. „Ab 40 kPa wird ein Strahl spürbar hart, ab ca. 90 kPa wird er von vielen schon als äußerst unangenehm empfunden“, sagt der Experte.

Die Stärke eines Strahls hat auch Einfluss auf die Funktion. Mit einem intensiven Strahl lassen sich z. B. Duschgel und Shampoo leichter von der Haut abspülen. Beim morgendlichen Duschen macht sich darüber kaum jemand Gedanken, außer vielleicht Spezialisten wie die im Labor von Hansgrohe.

Auf einem Tisch neben Wöhrle liegen einige Prototypen. Manche sind filigrane Gebilde aus dem 3-D-Drucker, andere kantige Acrylklötze mit einem Wasseranschluss. Wöhrle greift nach einem Exemplar, schraubt den Wasserschlauch im Teststand an und dreht den Hahn auf. Schon sprudelt ein breiter Strahl aus dem Prototypen hervor. Zu dem Plätschern des Wassers gesellt sich schnell ein schlürfendes Geräusch.

Es stammt von einem kleinen Schlitz, durch den Luft eingezogen und mit dem Wasser vermischt wird. „Nach dem Venturi-Prinzip wird das Wasser durch eine Engstelle im Prototyp beschleunigt, erzeugt eine Unterdruckzone und fließt so an einer Belüftungsöffnung vorbei“, erklärt Wöhrle.

Anders als der Normalduscher weiß der Ingenieur, dass der Charakter von Wasserstrahlen von der Technologie zur Strahlbelüftung und -gestaltung abhängt. Dicktropfige Regenstrahlen werden durch Tropfenfolgen aus den Düsen erzeugt. Weiche, spritzarme Strahlen – sogenannte Softstrahlen – erhält man durch homogene Belüftung. Die Art macht sich auch nach dem Duschen bemerkbar. „Spritzarm“ heißt nämlich auch geringerer Putzaufwand. Natürlich spielt bei letzterem auch der Kalkgehalt, also die Wasserhärte, eine Rolle.

Christian Clausecker studiert Maschinenbau in Pforzheim und ist Werksstudent bei Hansgrohe. Für seine Bachelorarbeit nimmt er jeden einzelnen „Nippel“ am Duschkopf ins Visier. „Ich verändere die Geometrie und untersuche, wie sich das auf die Strahlbilder auswirkt“, erklärt er. Wie stark ein Strahl sprüht oder wie fokussiert er ist, wird über Kameraaufnahmen bestimmt. Gleichzeitig misst ein Manometer den Wasserdruck und auch der Durchfluss wird festgehalten. „Die veränderten Details der Düsen bewegen sich teils in Größen von einem hundertstel Millimeter“, präzisiert Wöhrle.

Die Technik für die Versuche ist relativ simpel. Es sind schnelle, günstige Vorversuche, um die Parameter für eine spätere Computersimulation einzuschränken. Alles zu simulieren wäre zu teuer, sagt Clausecker. „Sobald der Wasserstrahl austritt, haben wir eine Kombination mit der Umgebungsluft, also mehrere Phasen. Solche Simulationen sind sehr rechenaufwendig.“

Das Experimentelle ist charakteristisch für die Strahlforschung. Mit Grundlagenerkenntnissen, wie sie der Werksstudent sammelt, könnten Endkunden zwar nichts anfangen, trotzdem sind sie wichtig für die Endprodukte. Wöhrles Credo: „Eine neue, moderne Düse kann nur mit Grundlagenuntersuchung entwickelt werden.“

Morgens duscht Michael Klüh nur kurz. Abends, nach dem Sport lässt er sich aber Zeit. Als Leiter des Forschungs- und Entwicklungslabors ist auch seine Duschkabine ein Ort für Feldtests und bestens ausgestattet. Gimmicks wie die Seitenbrause nutzt er allerdings kaum, auch ein Porsche fährt schließlich selten 300 km/h.

Eigentlich hat Klüh Maschinenbau studiert und einige Jahre in der Fahrzeugindustrie gearbeitet. Jetzt leitet er das neue Forschungslabor von Hansgrohe. 4,5 Mio € hat die 600 m2 große Einrichtung gekostet. Eine Wasserversorgungsanlage fördert im Standardbetrieb 500 l/min an Wasser im Kreislauf zu etwa 80 Testständen, in Spitzen sogar bis zu 800 l/min. Im Vergleich zum alten Labor hat sich die Fördermenge vervierfacht. Außerdem sind die Teststände nun automatisiert: „Meine elf Mitarbeiter können in der Zeit Analysen machen, statt Tests zu überwachen“, erklärt Laborleiter Klüh. Seit Mai diesen Jahres laufen hier Hydraulikprüfungen, Belastungstests, Durchfluss- und sogar Schallmessungen. Denn im neuen Akustikteil des Labors wird sogar der Sound der Dusche optimiert.

30 cm dicke, schallabsorbierende Wände: In der Mitte des ca. 25 m² großen Raumes hängt eine Kopfbrause von der Decke, daneben steht, auf die Brause ausgerichtet, ein Mikrofon mit Ständer. Wie klingt denn eine optimale Dusche? „Ein Rauschen wie bei Regen wird als angenehm empfunden“, erklärt Melanie Chaloupka, Maschinenbauingenieurin mit Schwerpunkt Akustik. Und wie klingt eine schlechte? „Ein Pfeifen oder ein Klappern wäre unangenehm.“ Das sei ähnlich wie bei Autotüren, wo die Billigen schepperten und die Hochwertigen mit sattem „Wums!“ schlössen.

An den Laborgängen mit Stahlgitterboden aufgereiht stehen links und rechts die Teststände. Hinter großen Scheiben bedienen Roboterarme Wasserhähne bis zu 500 000 mal, während Sensoren Wasserfluss und den Widerstand bei der Bedienung messen. Duschköpfe versprühen hinter beschlagenen Scheiben ununterbrochen Wasser mit abwechselnd 70 °C und 20 °C.

Hier werden Produkte auf ihre Widerstandsfähigkeit getestet. Die Duschen müssen im Test beispielsweise der Verformung durch den Temperaturunterschied standhalten. „Kunststoffe haben ein anderes Ausdehnungsverhalten als die Chromoberfläche, wodurch Bauteil und Verchromung gestresst werden“, sagt der Laborchef.

Dieser Versuchsaufbau ist simpel, doch es geht auch komplexer: Um einen Wasserhahn mit seitlich abstehendem Einhebelmischer zu öffnen, muss sich der Roboterarm entlang einer Kugeloberfläche bewegen, je nachdem ob er den Hebel auf heiß oder kalt dreht. Dafür sind entsprechende Kugelkoordinaten nötig. „Vor jedem Test müssen dem Roboter bis zu 18 Punkte angelernt werden, aus denen er sich dann die Kugelbewegung berechnet“, erklärt Klüh.

Manchmal fallen die Produkte auch durch: In einem Teststand hängen Schläuche oben an einem Anschluss, der hin und her wippt. Am unteren Ende ist ein Gewicht befestigt und es wird Druckluft eingeblasen. Es ist ein Knicktest und einer der Schläuche zeigt bereits einen deutlichen Knick. „Der muss nochmal zurück in die Entwicklung“, sagt Klüh.

Carmen Vetter drückt die Snooze-Taste ihres Weckers einmal, zweimal, dreimal. Erst dann steht die Leiterin der Abteilung Schutzrechte auf und geht wie jeden Morgen wortlos ins Bad. Anfangs duscht sie mit warmem Wasser, am Ende kalt. Für Frühstück bleibt keine Zeit, denn sie hat noch eine Stunde Autofahrt vor sich.

Jeden morgen pendelt sie von Offenburg nach Schiltach. Von dort aus begibt sie sich auf die Jagd nach Designverletzungen. „Früher änderten Produktpiraten oft nur eine Kleinigkeit – beispielsweise die Farbe der Silikondüsen – und verkauften die kopierten Duschköpfe unter eigenem Namen. Heute sehen sich die Nachahmer unsere Schutzrechte genau an und suchen Schlupflöcher, mit denen sie unseren Schutzbereich umgehen können“, sagt Vetter.

öchstens wegen des viel niedrigeren Preises tippen Kunden manchmal auf ein Plagiat. Diese zu erkennen ist eine Kunst, und hier triumphiert der Mensch – zumindest Experten wie Vetter – noch über die Maschine.

Die Quereinsteigerin reist immer mal wieder um die Welt, häufig nach China, denn dort wird am meisten kopiert. Die gelernte Umweltingenieurin hat die Designs von Hansgrohe mittlerweile verinnerlicht und erkennt Plagiate vor Ort im Handumdrehen. „Man muss dann noch wissen, in welchem Land man welches Schutzrecht belegt hat. Nur dort kann man gegen die Nachahmer vorgehen“, sagt sie.

Zurück in der Strahlforschung. Am Rand der Werkstatt sind Holztische als verlängerte Fensterbänke angebracht. Unter ihnen stapeln sich grüne Kisten mit Prototypen und Technologiemustern, auf den Tischen blaue Kisten und Fächer mit Werkzeug und dicken Papierstapeln. Mittendrin sitzt Klaus Butzke. Er ist einer der Dienstältesten in der Strahlforschung. Seit 1974 – seit über 40 Jahren – arbeitet der Mechaniker bei Hansgrohe.

Er inspiziert ein großes Plastikquadrat, das mit Noppen übersäht ist. Die Entwicklung der Kopfbrause „Raindance 2.0“ hat fast 18 Monate gedauert. „Das geht los mit dem Strahlkörper, dann kommt der Strahleinsatz aus Silikon“, erklärt er und schrabbelt mit den Händen über die Plastiknoppen. „Danach werden die Beschleunigungsbohrungen abgestimmt.“ Die Luft wird durch ein Loch in der Mitte gezogen. Das Wasser-Luft-Gemisch wird dann bis in die letzte Ecke verteilt.

Butzke arbeitet schon jetzt an Projekten für 2019. Zukünftige Entwicklungsthemen sind beispielsweise Kopfbrausen mit über 30 cm Durchmesser, aber auch der Wasserverbrauch. Trockenregionen, wie Kalifornien in den USA kämpfen immer wieder mit Wasserknappheit. Für solche Märkte gibt es besonders sparsame Versionen vom Typ WaterSense. Der Durchfluss müsse bei diesen Modellen geringer als 7 l/min sein, weiß Butzke. Für Europäer ist das zu wenig. Die Sparvariante hat hierzulande immer noch 9 l/min. „In Europa fließen im Regelfall noch zwischen 12 l/min und 16 l/min durch eine Kopfbrause“, sagt Butzke. Darüber sollten auch Normalduscher einmal nachdenken.

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